„In einem Industrieland kann man alles unter einen Hut bringen“
Am Tag, bevor sich die Bundesregierung auf ein Klimapaket einigt – zufällig (?) auch der Tag vor dem weltweiten Klimastreik –, trifft sich akzent mit Andreas Jung, MdB für den Wahlkreis Konstanz. Wenige Tage später tagt die zweite deutsch-französische parlamentarische Versammlung. Sowohl am Klimapaket als auch am Zustandekommen der Versammlung ist Andreas Jung maßgeblich beteiligt.
akzent: Im März dieses Jahres wurde das deutsch-französische Parlamentsabkommen geschlossen, und kommenden Montag tagt die zweite deutsch-französische parlamentarische Versammlung, die Sie als „Herzstück“ des Abkommens bezeichnen. Nun gibt es bereits den Élyséevertrag, den deutsch-französischen Kulturrat, den deutsch-französischen Kulturfonds, die deutsch-französische Freundschaftsgruppe und zahlreiche andere Gruppen dieser Art – wozu noch eine?
Andreas Jung: Weil es 55 Jahre nach dem Élyséevertrag Zeit war zu sagen: Der Élyséevertrag und der Aachener Vertrag sind Regierungsabkommen – deutsch-französische Partnerschaft ist aber viel mehr als ein Regierungsabkommen. Es ist im Kern eine Freundschaft der Menschen in den beiden Ländern; und der Bundestag und die Assemblée Nationale sind die Volksvertretung, und damit haben wir eine entscheidende Aufgabe zwischen der Zivilgesellschaft einerseits und den Regierungen andererseits. Das war echt überfällig, auch ein Parlamentsabkommen zu haben, in dem wir die Zusammenarbeit unserer beiden Parlamente auf eine neue Stufe heben. Was wir jetzt machen, nämlich eine parlamentarische Versammlung aus 50 deutschen und 50 französischen Abgeordneten, die miteinander beraten, Impulse geben für die Partnerschaft, auch für Europa, ist weltweit einzigartig. Es gibt nirgendwo zwei Parlamente, die so eng zusammenarbeiten. Natürlich verbinden wir damit einen ganz konkreten inhaltlichen Anspruch, nämlich das Zusammenleben zu verbessern, Hürden abzubauen, und wir werden auch den Regierungen ein bisschen auf die Finger schauen. Da ist für uns übrigens das Thema Grenzregionen etwas sehr Wichtiges. Es gelingt uns mit dem Aachener Vertrag und jetzt in der Umsetzung, die Zusammenarbeit in den Grenzregionen stark zu verbessern, weil wir sagen, in den Grenzregionen muss Europa erlebbar werden. Und da sind in der Vergangenheit eher neue Hürden entstanden, als dass es einfacher wurde. Dann verzweifeln die Menschen aber an Europa und sagen: Wenn’s hier schon nicht klappt, wie soll’s dann im Großen gehen? Da ist es uns jetzt gelungen zu verankern, dass die Grenzregionen eigene Rechte, eigene Kompetenzen, eigene Ressourcen bekommen sollen. Da kommen wir jetzt in unsere Region: Was in der Zusammenarbeit mit Frankreich möglich wird, das muss auch mit der Schweiz gehen, und auch da haben wir Luft nach oben. Wir haben viele Institutionen, die sich um deutsch-schweizerische Zusammenarbeit kümmern, aber es fehlt immer noch der Schritt dahin, dass wir wirklich ein gemeinsamer Wirtschafts- und Kultur- und Wissenschaftsraum sind. Wir haben noch zu viele Hürden, deshalb ist eigentlich das, was wir jetzt machen in der deutsch-französischen Zusammenarbeit, Vorlage für das, was wir jetzt konkret aufgreifen wollen in der Zusammenarbeit mit der Schweiz.
akzent: Was meinen Sie konkret mit Hürden? Ich hatte noch nie eine Hürde, nach Frankreich oder in die Schweiz zu fahren und wieder zurück.
Andreas Jung: Ja, fragen Sie mal nach zum Beispiel bei der IHK, was die wirtschaftliche Tätigkeit angeht. Durch verschiedene Regelungen, Entsendegesetz ist das Stichwort, ist die Tätigkeit von deutschen Unternehmen in Frankreich schwieriger geworden. Es müssen bestimmte Dinge vorgelegt werden, es müssen teilweise Sprachkenntnisse nachgewiesen werden, es ist furchtbar bürokratisch geworden.
akzent: Sprachkenntnisse sind ja durchaus förderlich.
Andreas Jung: Die sind förderlich, aber sie sollten in einem gemeinsamen Markt nicht Voraussetzung dafür sein, dass man im anderen Land tätig werden darf. Natürlich, wir legen besonderen Wert auf Sprache, wir legen besonderen Wert auch darauf, dass Französisch gelernt wird und Englisch nicht als das Alleinseligmachende gesehen wird. Nur wir sollten jetzt im grenzüberschreitenden Handel beim Tätigwerden von Handwerkern und anderen nicht sagen, wenn einer tätig werden will, dann muss er automatisch die Sprache des Nachbarn sprechen. Wenn ein Unternehmen in der Schweiz tätig wird, dann muss es acht Tage vorher anmelden, wer genau da kommt, dann muss es Bürgschaften bezahlen, damit mögliche Verstöße gegen die Entsendegesetze auch tatsächlich vollstreckt werden können und vieles mehr. Und deshalb gibt’s da ganz konkrete Punkte, wo wir sagen, da müssen die Hürden geringer werden, und dazu wollen wir einen Beitrag leisten. Wir müssen zudem aus diesem Kirchturmdenken raus: Wir brauchen einen durchgängigen öffentlichen Nahverkehr, wir brauchen durchgängige Energienetze, die haben wir noch gar nicht. Wir reden alle über die Energiewende und Elektromobilität. Wenn wir jetzt über Elektromobilität sprechen, dann ist doch auch der Gedanke: Ich will mit meinem Auto Mobilität im Sinne von Freiheit haben und die soll nicht an der Grenze enden. Aber wenn Sie heute mit dem Elektroauto nach Paris fahren, bleiben Sie auf halber Strecke liegen, weil die Ladestation entweder gar nicht da ist und wenn sie da ist, dann brauchen Sie das französische Kärtchen, oder wenn Sie ein französisches Kärtchen haben, dann ist die Infrastruktur nicht synchronisiert. Das gilt an der Grenze zu Frankreich, das gilt aber genauso an der Grenze zur Schweiz.
akzent: Sie haben sich schon als Jugendlicher politisch engagiert und sind mit 15 Mitglied der Jungen Union geworden – war das nicht wahnsinnig uncool damals?
Andreas Jung: Es war eine Zeit, in der unwahrscheinlich intensiv politisch diskutiert wurde. Warum? Weil damals der Fall der Mauer war, weil in Osteuropa die Menschen auf die Straßen gegangen sind. Wir hatten einen Gemeinschaftskundelehrer, den Freddy Meyer, in der Region als Historiker bekannt, der hat wirklich mit Begeisterung diese Themen rübergebracht und seine Botschaft war: Mensch, da gehen Leute auf die Straße, riskieren dafür ihre Freiheit, vielleicht ihr Leben. Bei uns haben wir das alles, Freiheit, Demokratie und wer engagiert sich eigentlich? Und das war für mich der Anstoß, mich zu engagieren. Ich war da nicht allein, in unserer Abiturklasse waren von 38 Leuten 13 in der Jungen Union, was zeigt, dass es nicht furchtbar uncool war.
akzent: Haben Sie denn eine Überzeugung, die der herrschenden Parteilinie der CDU widerspricht?
Andreas Jung: Ich glaube es ist ganz normal, dass es bestimmte Punkte gibt, bei denen man nicht automatisch deckungsgleich mit dem CDU-Programm ist.
akzent: Und welche sind das bei Ihnen?
Andreas Jung: Das entscheidende sind die Wertefragen, dass man also bei den Grundwerten übereinstimmt. Und dann gibt es immer Fragen, wo man auch mal im Konflikt ist mit der Parteilinie. Bei mir war das über viele Jahre die Umweltpolitik, wo ich mir immer gewünscht hatte, dass die CDU in den Fragen von Umwelt und Naturschutz auf Töpfer-Kurs (benannt nach dem früheren Umweltminister Klaus Töpfer) kommen sollte. Das war sie aber damals noch nicht. Papst Franziskus spricht von der Verteidigung von Mutter Erde, es geht auch um das Gefühl für Heimat, und wenn wir jetzt sehen, wie Wälder bedroht sind, wie sich am Bodensee Dinge verändern, die Landwirte klagen über Naturereignisse, heißt das, es passt originär zu unseren Werten, und trotzdem haben wir eine Lücke entstehen lassen. Wir haben leider den Eindruck vermittelt, dass es bei uns mehr um Wirtschaft, Finanzen und Haushalt und Sicherheit geht, das ist alles absolut richtig und notwendig, das ist alles unsere Kernkompetenz, aber Umwelt und Klimaschutz und Naturschutz sind es eben auch. Und deshalb habe ich bei der Klimadebatte gesagt, es geht jetzt um die Aufforstung der CDU! Damit meine ich, dass wir genau diese Lücke schließen und klarmachen, dass für uns Nachhaltigkeit die ganze Breite bedeutet, Ökonomie und Soziales, aber gleichberechtigt eben auch die Umweltfragen.
akzent: Sie gelten inzwischen als Umweltgesicht der CDU – haben Sie nie mit den Grünen geliebäugelt? Denn die hatten das Umweltthema ja lange Zeit für sich besetzt.
Andreas Jung: Ich hab da nicht mit geliebäugelt, für mich war damals sehr klar, dass ich zur Jungen Union gehe. Und gleichzeitig haben wir auch uns in der Jungen Union immer sehr für Umweltschutz eingesetzt und eigentlich schon immer an dem gearbeitet, was wir mit dieser Aufforstung jetzt vorantreiben.
akzent: Was unterscheidet Sie denn von Robert Habeck, außer dass Sie sechs Jahre jünger sind?
Andreas Jung: Also wahrscheinlich unterscheidet uns sehr viel, das ist aber gar nicht meine Frage. Was verbindet mich mit ihm? Ich war mit ihm gemeinsam in der Kommission für die Endlagersuche. Aber jetzt geht’s mir gar nicht um die Person, sondern um die Parteien. Wir haben ja erst einmal unterschiedliche Ansätze: Wir stellen Innovationen in den Mittelpunkt und wollen diese durch Anreize, durch Impulse, durch Bepreisung, und wir sind überzeugt, dass klimafreundliche Technologien der Schlüssel sind. Andere sagen, wir wollen’s eher durch immer mehr Verbote oder durch Verzicht. Jetzt geht es darum, auch mit FDP und Grünen, mit Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zu verhandeln, um ausgehend vom gemeinsamen Ziel und unterschiedlichen Ansätzen einen nationalen Klimakonsens zu erreichen. Wir suchen also nicht die Gegensätze, wir suchen die Gemeinsamkeiten, warum? Die Aufgabe Klimaschutz ist ja eine langfristige und die braucht auch langfristig Akzeptanz, da man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass es noch Thema sein wird, wenn die große Koalition irgendwann kein Thema mehr ist. Ein wichtiger Punkt ist für uns zum Beispiel die Steuerförderung von Gebäudesanierungen, da müssen aber die Länder zustimmen, sonst hätten wir eine Hängepartie, die ewig geht. Was wir jetzt aber brauchen, ist schnelles Handeln.
akzent: Im Klimaprogramm der CDU, an dem Sie maßgeblich beteiligt sind, steht gleich auf der ersten Seite eine wirklich kühne Aussage: „Wir kennen die Lösung: Nur durch ein entschlossenes Handeln der Weltgemeinschaft und die drastische Reduktion des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen haben wir die Möglichkeit, den Klimawandel zu bekämpfen.“ Bereits dieser Satz macht doch deutlich, dass eine Lösung unmöglich ist: Wie soll sich denn die Weltgemeinschaft jemals einigen?
Andreas Jung: Das nimmt Bezug auf die Wissenschaft. Das ist ja ein Vorwurf gewesen, der gegenüber der CDU gemacht wurde, wir würden die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht ernst nehmen. Deshalb war‘s uns wichtig, voranzustellen: Wir kennen das Problem, es ist ein menschengemachter Klimawandel, wir sind dafür verantwortlich, daran kann es nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen keinen vernünftigen Zweifel geben. Und zweitens, wir kennen die Lösung, nämlich die drastische Reduktion von Treibhausgasen und haben den Rahmen, das ist der dritte Satz nämlich das Pariser Abkommen, in dem sich international alle verpflichten. Das haben wir bewusst so vorangestellt, um klarzumachen, die Grundlage ist das, was die Wissenschaft uns sagt, der Rahmen ist das, was man in Paris vereinbart hat und es ist eine globale Frage, die können wir nur global lösen. Genauso wichtig ist das, was dann kommt: Wir Deutschen verursachen zwei Prozent der Treibhausgase, sind aber nur ein Prozent der Weltbevölkerung. Das heißt, wenn jeder auf der Welt so handeln würde wie wir, dann würde uns schon alles um die Ohren fliegen. Das wird ja von denen, die sagen: „Wir Deutschen können gar nichts ausrichten“, immer als Argument genommen: Bringt doch eh nix, was wir machen, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist eine globale Frage, bei der wir als Deutsche aber eine besondere Verantwortung haben, weil wir deutlich überprozentual CO2 ausstoßen, und bei der wir jetzt auch eine Chance haben, Klimaschutz so zu machen, dass wir von vornherein wirtschaftliche Entwicklung und soziale Akzeptanz zusammen denken – also die Menschen mitnehmen, Wohlstand erhalten, individuelle Mobilität auch im ländlichen Raum sichern, es darf keiner abgehängt werden. Damit zeigen wir, dass es möglich ist, in einem Industrieland das alles unter einen Hut zu bringen. Und das ist auch sehr wichtig als Botschaft über Deutschland hinaus. Denn andere gucken ja genau, was machen die jetzt in Deutschland? Wenn wir es so machen, dass sie sagen: „Mensch, die in Deutschland, die haben‘s aber gut hingekriegt, und so könnten wir‘s auch machen“, dann wird im Sinn von Klimaschutz in globalen Ansätzen ein Schuh draus.
akzent: Deutschland hat bisher seine eigenen Klimaziele nicht erreicht, ich weiß nicht, ob das so vorbildlich ist.
Andreas Jung: Genau, deshalb sind wir im Moment in einer Situation, in der eine Lücke entstanden ist zwischen den selbstgesetzten Zielen und dem Erreichten, und solange wir die nicht geschlossen haben, sind wir kein Vorbild. Trotzdem ist der Vorwurf: „Ihr habt nichts gemacht“, falsch, denn wir sind das einzige Industrieland, das gleichzeitig aus der Kernenergie und der Kohle aussteigt. Das sollen uns andere nachmachen, bevor sie sagen: „Ihr könntet mehr tun.“ Aus Sicht der Franzosen, mit diesem Anteil von Kernenergie, ist es immer ein bisschen einfacher, für mehr Klimaschutz zu sein. Und wir sind aus guten Gründen aus der Kernenergie ausgestiegen, die ist zwar CO2-neutral, bringt aber andere Risiken mit sich, die unsere Gesellschaft zu Recht nicht tragen will. Wir müssen jetzt 2030 in den Blick nehmen, da müssen wir es verlässlich erreichen. Wir müssen aber sagen, das wird jetzt nicht alles auf einen Schlag gehen, wie sich manche das vorstellen – den Verbrennungsmotor verbieten und möglichst viel auf den Preis draufschlagen. Wir haben hier Menschen in der Region, jetzt nehm ich zum Beispiel eine Krankenschwester in Konstanz. Die arbeitet in Konstanz, lebt in Orsingen und will da gar nicht wegziehen. Selbst wenn, wär’s wahrscheinlich für ihre Familie nicht einfach bei den Preisen, in Konstanz eine Wohnung zu haben. Vielleicht arbeitet ihr Mann irgendwo und pendelt in eine andere Richtung. Und denen jetzt zu sagen: „Ja, ihr habt Pech gehabt, ihr wohnt am falschen Ort“, das kann nicht unsere Position sein. Deshalb sagen wir, wir müssen in der Zeit bis 2030 massiv den ÖPNV ausbauen, da fährt nämlich kein Zug nach Orsingen, es wird wahrscheinlich auch 2030 keiner fahren, das Angebot muss aber trotzdem besser werden. Zudem wird im ländlichen Raum das Auto immer eine wichtige Rolle spielen. Deshalb muss das Auto umweltfreundlicher werden. Dann muss es aber so sein, dass man erstens, wenn man ins Autohaus geht, auch ein entsprechendes Auto bekommt. Das ist häufig schon schwierig. Zweitens, dass ein Normalverdiener sich das leisten kann, deshalb solche Dinge wie Kaufprämie, deshalb die Überlegung, die KFZ-Steuer auf CO2 auszurichten. Heute ist es nämlich so, wer sich ein Ökoauto kauft, tut was für die Umwelt und zahlt drauf. Und es soll genau umgekehrt sein, dass der draufzahlt, der sich entscheidet, ein neues Auto mit viel CO2-Ausstoß zu kaufen. Und drittens fragt er dann: Ja, kann ich das Auto auch tanken? Und heute muss man eben sagen, theoretisch ja, aber wir haben kein flächendeckendes Netz von Ladesäulen, schon gar nicht von Schnellladesäulen, man will ja nicht drei Stunden irgendwo stehen, sondern vielleicht eine Viertelstunde und dann weiterfahren. Deshalb muss eine solche Infrastruktur entstehen. Genau das nehmen wir jetzt in den Blick mit unterschiedlichsten Maßnahmen. Das muss jetzt konsequent Schritt für Schritt umgesetzt werden. Wir müssen ja sagen: Weiter so geht nicht. Sie sagen das ja zu Recht, da ist eine Lücke entstanden, wegen der wir unsere Ziele nicht erreichen, die unsere Glaubwürdigkeit infrage stellt, das heißt, „weiter so“ kann nicht die Botschaft sein, es muss Veränderungen geben. Aber die Veränderungen müssen wir gestalten, und den Menschen, die davon betroffen sind, doch auch Alternativen aufzeigen und sie dabei unterstützen. Und dasselbe gilt im Gebäudebereich, wo wir sagen, der Heizungsaustausch muss verdoppelt werden, die Häuser müssen saniert werden; da gibt es bei vielen Menschen Sorgen: Was heißt das? Was kommt da auf mich zu? Wie hoch sind die Kosten? Und da sagen wir: Ja, es muss Veränderungen geben, aber die Menschen müssen dabei mitgenommen werden, das heißt, es gibt steuerliche Förderungen für Gebäudesanierungen, wir wollen eine Austauschprämie für ineffiziente alte Heizungen, damit wir da vorankommen. Immer technologieoffen, aber so, dass es in den nächsten Jahren schneller geht als bisher.
akzent: Das heißt Klimaschutz ja, aber das darf keinem wehtun?
Andreas Jung: Also ich glaube nicht, dass wehtun die Kategorie ist, ich finde vor allem, dass „Wir müssen jetzt jemandem wehtun“ auch keine richtige politische Forderung ist. Ich glaube, wir müssen klar sagen, es wird Veränderungen geben. Wir müssen auch klar sagen, es kostet Geld, es kostet den Staat Geld. Und natürlich hat eine Bepreisung, bei der wir die Präferenz auf den Zertifikatehandel legen, das Ziel, ein Preissignal zu setzen und das Preissignal heißt, dass man sich drauf einstellen muss, dass fossile Energien in den nächsten Jahren Schritt für Schritt teurer werden, aber mit einem moderaten Einstieg, um nicht am Anfang die Leute zu überfordern. Es kann sich nicht jeder gleich ein neues Auto kaufen. Aber so, dass jeder weiß: Wenn ich mir das nächste Mal ein Auto kaufe oder an die Heizung rangehe, entscheide ich mich besser für die sparsame, klimafreundliche Alternative, weil die andere teurer wird.
akzent: Wobei auch die Elektromobilität schon wieder in die Kritik geraten ist, wegen der umweltbelastenden Herstellung der Batterien und der nicht geklärten Entsorgung; und die E-Roller sind jetzt plötzlich Unfahrzeuge geworden – die E-Mobilität kann ja nicht das Ende der Debatte sein.
Andreas Jung: Wir werben in unserem Papier sehr für Technologieoffenheit und zeigen, der Staat muss den Rahmen setzen: Man muss besser werden beim Klimaschutz, weniger CO2 ausstoßen, aber welche Technologie sich dann am Ende durchsetzt, das ist eine Frage, die Forschung, Entwicklung, Wirtschaft und am Ende der Kunde entscheidet. Der Kunde wird sich nämlich nicht für irgendwas entscheiden, selbst wenn es eine staatliche Förderung gibt, von dem er technisch nicht überzeugt ist. Wir glauben, dass auch der Verbrennungsmotor in Zukunft eine Rolle spielen wird, deshalb sind wir sehr gegen diese Überlegung, ab 2030 den Verbrennungsmotor zu verbieten. Wenn Sie heute die Steuern angucken, die achten nur darauf, was hinten rauskommt, aber nicht darauf, wie’s entstanden ist und ob dadurch etwa eine CO2-Neutralität über synthetische Kraftstoffe hergestellt wird. Und damit kommt in diesen konkreten Vorschlägen die grundsätzliche Überzeugung im Sinne von Technologieoffenheit zum Ausdruck.
akzent: Sie schreiben: „Nur, wenn die Klimapolitik von den Menschen breit getragen wird, kann sie langfristig erfolgreich sein.“ Ist es denn nicht eher umgedreht, dass die Bevölkerung die Politik vor sich hergetrieben hat? Fridays For Future, das sind inzwischen nicht nur die Schüler, sondern breite Teile der Bevölkerung.
Andreas Jung: Ja, stimmt. Viele Menschen setzen sich für Klimaschutz ein. Fridays For Future geben den abstrakten Zielen für das Jahr 2100 ein Gesicht und konfrontieren auch uns als Politiker damit. Einerseits gibt es also viel Unterstützung für Klimapolitik, andererseits auch eine gewisse Abwehrhaltung: Wenn Sie Umfragen anschauen, sind in etwa genauso viele für einen konsequenten Klimaschutz wie gegen eine Besteuerung für CO2.
akzent: Ja, logisch.
Andreas Jung: Logisch ist es nicht …
akzent: … aber menschlich.
Andreas Jung: Es zeigt, dass es notwendig ist, sich kluge Systeme auszudenken, deshalb ist der Zertifikatehandel das bessere System, weil es ein Klimainstrument ist. Eine Steuer bringt Geld in die Kasse, ohne aber die Umweltziele verlässlich zu erreichen. Um die geht es aber. Und deshalb ist die generelle Aufgabe, das so zu machen, dass es eine langfristige Akzeptanz gibt, die über Legislaturperioden hinweg trägt, und einen Konsens zu erreichen, hinter dem sich über Parteigrenzen hinweg viele versammeln können.
akzent: Was halten Sie denn persönlich von Fridays For Future? Falls es das in ein paar Jahren noch gibt, wenn Ihre Kinder da mitlaufen könnten, würden Sie eine Entschuldigung schreiben?
Andreas Jung: Ich finde vor allem, man sollte es nicht auf die Frage der Entschuldigung reduzieren. Ich hatte mehrere Gespräche mit Fridays For Future. Ein Schüler hat sogar am Abend vor seiner mündlichen Abiturprüfung an einer Veranstaltung teilgenommen, und da habe ich noch mehr Respekt vor diesem Engagement, wie wenn’s während der Schulzeit ist. Und deshalb will ich das eigentlich umgekehrt sagen. Die haben einen Nerv getroffen und sagen uns: „Wir haben die Erwartung, dass ihr diese Lücke, die da entstanden ist, schließt.“ Und da muss man nicht mit jeder einzelnen Position konform gehen, aber sie haben sicherlich einiges bewirkt.
akzent: Ist es nicht letztendlich der Todesstoß für jede Protestbewegung, wenn sogar alle Etablierten applaudieren? Die Bundeskanzlerin hat sich auch schon positiv geäußert.
Andreas Jung: Also ich hab ja gerade gesagt, generell haben die einen Nerv getroffen, die Forderung ist berechtigt. Wir hatten mehrere Gespräche, in Konstanz, Singen und Radolfzell. In Berlin sind wir auch mit Paul Ziemiak und Luisa Neubauer und anderen zusammengesessen. Ernst nehmen heißt für mich, dass wir uns über diese Themen auseinandergesetzt haben und auch festgestellt haben, dass es manche Punkte gibt, wo man nicht zusammenkommt – zum Beispiel was die Geschwindigkeit beim Erreichen der Klimaneutralität in Deutschland angeht.
akzent: Glauben Sie, dass die Menschheit auf Dauer überleben kann?
Andreas Jung: Ja. Wenn man Politik macht, dann gehören zwei Dinge dazu: Ein gerüttet Maß an Optimismus und dass man den Dingen ins Auge blickt und die Realitäten sieht. Und deshalb wissen wir, dass die Herausforderungen groß sind, aber ich möchte in dem Geist rangehen zu sagen, wir kriegen das hin. Ich war so lange auf internationalen Klimakonferenzen, in Bali zum Beispiel, wo es nicht geklappt hat, in Kopenhagen, wo es auch nicht geklappt hat. Dann hat man’s in Paris aber geschafft! Danach gab es wieder Rückschläge, der Rückzug der Amerikaner aus dem Abkommen! Das zeigt: Es ist mühsam und geht oft nicht so schnell, wie man sich wünscht und auf der internationalen Ebene der UN sind die Prozesse sowieso zu langsam, weil man für Beschlüsse ja Einstimmigkeit herstellen muss, selbst mit Staaten wie den OPEC-Ländern, die davon leben, dass sie Öl exportieren. Für die ist Klimaschutz jetzt erstmal nicht das, was ihnen besonders viel Verheißung verspricht, aber alle müssen mit ins Boot. Das zeigt, was das für ein unwahrscheinlich schwerer Prozess ist. Aber ich habe doch Zutrauen, dass wir national, europäisch und als Weltgemeinschaft die Kraft aufbringen, die Dinge anzugehen, die notwendig sind.
akzent: Ein großes Ziel, das sollen ja manche Ehepaare nicht schaffen. Aber die Weltgemeinschaft? Da frage ich mich schon, wo Sie Ihren Optimismus hernehmen. Sie haben ja die ganzen Klimakonferenzen aufgezählt, wo Sie waren.
Andreas Jung: Ja, aber was ist denn dann die Alternative? Soll ich sagen: Wir schaffen’s eh nicht?
akzent: Das können Sie als Politiker nicht machen, klar.
Andreas Jung: Das ist aber auch meine Überzeugung. Nehmen wir das Ozonloch, wo’s einfacher war, weil es eine Frage war, die man durch bestimmte begrenzte Maßnahmen bekämpfen konnte, das ist auch geschafft worden. Leider ist es so, dass es oft erst eine Krise braucht, damit ein Handeln vorangeht. Aber am Ende habe ich doch das Zutrauen, dass es gelingt, weil es gelingen muss.
akzent: Eine letzte Frage: Im allerersten Satz Ihres Klimaabkommens erwähnen Sie Papst Franziskus. Können Sie mir das erklären?
Andreas Jung: Wir haben vorher über unsere Wertgrundlagen gesprochen. Wir sind eine Partei, die sich auf christliche Werte beruft, und wenn man Papst Franziskus zitiert, dann wird damit deutlich, dass die Frage der Bewahrung von Natur und Umwelt ja etwas Wertkonservatives ist und dass Papst Franziskus jetzt als der oberste Sprecher dieses Gedankenguts gilt, jedenfalls in der katholischen Kirche; wir zitieren dann auch noch die evangelische Kirche Deutschlands, die das ja genauso sieht. Dann wird daraus deutlich, dass gerade wir als Christ-Demokraten nicht dran vorbeikommen, dass uns das nicht kalt lassen kann, dass wir entschieden handeln müssen.
Text: Anja Böhme