Im grauen November sieht man weniger, vor allem bei Nebel, und so kann man sich besser auf die akustischen Reize konzentrieren – auch bei der Architektur.

Sprechende Häuser

Wer alte Mauern anschaut, kann von ihnen schon Geschichten hören, aber das ist ein anderes Thema (das wir auch schon hatten). Im Jargon der Architekten sprechen auch die Häuser, ein Neubau kann sogar antworten auf die Bauten, die vorher schon da waren und dann die Nachbarschaft bilden. Das sind schöne Metaphern, man kann die Ausdrücke aber auch wörtlich verstehen. Meistens reflektieren die Gebäude nur, was sie selbst „hören“. Bei großen Sälen mit geraden Wänden kann man außen wie innen das Echo hören wie in der Natur. In Konzertsälen will man das aber gerade nicht haben.

Man spricht von „guter Akustik“, wenn kein Nachhall das Konzerterlebnis stört. Aber wer sich näher damit beschäftigt, erfährt mit der Zeit, dass es nicht die gute Akustik gibt, sondern immer nur für bestimmte Zwecke. Ein Konzertsaal braucht und hat andere akustische Eigenschaften als ein Theatersaal oder ein Kongresssaal. Und Politiker, die eine Stadthalle versprechen, die für alles geeignet ist (Vorträge, Sinfonie- und Rockkonzerte), müssen nach der Wahl zugeben, dass es die „akustische eierlegende Wollmilchsau“ nicht gibt.

Architektur und Musik

Das Verhältnis von Architektur und Musik wurde schon in vielen weisen Sätzen formuliert, etwa von dem Philosophen Arthur Schopenhauer (1788–1860): „Architektur ist gefrorene Musik.“ So sieht natürlich ein Barockschloss aus wie eine Stein gewordene Barock-Sinfonie, bei der modernen Architektur mit der heutigen stilistischen Vielfalt ist die Parallele etwas schwieriger.

Akustikelemente im Seemuseum Kreuzlingen

Architektur hören

Die im September angekündigte Auftaktveranstaltung für den Denkmaltag im Thurgau fand in einem historischen, frisch umgebauten Gebäude, dem Seemuseum in Kreuzlingen, statt. Der Raum für die Sonderausstellungen des Museums in der früheren Kornschütte des Klosters war  in den alten Zeiten ein Lagerraum für Getreidesäcke. Seine massiven Deckengewölbe sind rein funktional, sie mussten nur die darüberliegenden Geschosse tragen. Deshalb hatten sie eine miserable Akustik, was für Vernissagen ebenso unpraktisch ist wie für Hochzeitsaperos.
Im Zuge der Renovierung und Modernisierung 2019/2020 wurde nicht nur mehr Platz für das Museumscafé geschaffen und ein Aufzug eingebaut, sondern auch an der Akustik des Ausstellungsraums gearbeitet. Mit minimalen Eingriffen wurde die Akustik hörbar verbessert, z.B. durch die kaum sichtbaren weißen Deckensegel und die schwarzen Kapitellkrempen.
Verantwortlich für die akustische Verbesserung ist ein schweizerisch-österreichisches Büro für Akustische Architektur, dessen kreative Köpfe nicht von der Architektur her kommen, sondern von der Musik: Inès und Fabian Neuhaus gestalten Räume als Resonanzräume, und als Saxophonistin und Flötist können sie das Ergebnis gleich akustisch dem Praxistest unterziehen. www.ifneuhaus.com, www.seemuseum.ch

Akustik für Predigt und Orgel

Die Akustik ist aber nicht nur bei Konzert- und Veranstaltungssälen ein Thema, sondern auch bei Kirchen. Diese mussten früher, vor der Erfindung von Lautsprecheranlagen, so gebaut sein, dass die Predigten im ganzen Raum gut hörbar sind. Für diese Zwecke gut gebaut sind Kirchenräume, die einerseits nicht zu glatt sind, andererseits darf der Schall sich nicht zu sehr in Seitenkapellen und Querschiffen verlieren. Obwohl es in der Barockzeit noch lange nicht die heutigen akustischen Messverfahren gab, sind die Jesuitenkirchen bekannt für ihre (für Kirchenzwecke) gute Akustik. So ist die frühere Jesuitenkirche in Konstanz, die Christuskirche St. Konrad neben dem Stadttheater, für Konzerte kleiner Ensembles besser geeignet als das benachbarte Münster. Als Konzertsäle wären aber auch moderne Kirchen gut nutzbar, was längerfristig zwei Probleme lösen könnte: leerstehende Kirchen und den Bedarf an guten Konzertsälen.

Text und Bilder: Patrick Brauns

Beitragsbild: Deckengewölbe der früheren Jesuitenkirche Konstanz von der Orgelempore aus