Es hat lange gedauert, bis wieder ein spitzengastronomisches Lebenszeichen in Ravensburg zu schmecken war. Das wohl stärkste Zeichen in dieser Richtung setzt im Augenblick Christian Ott im Restaurant Atelier Tian, das sich über der Stadt in der Veitsburg befindet.
von Erich Nyffenegger
Der besondere Zauber des Speiseraums mit seinem Fischgratparkett und dem dunkel gehaltenen Mobiliar entfaltet sich durch den enormen Ausblick über die Stadt. Die Speisekarte funktioniert nach dem Baukastenprinzip: Aus diversen Elementen darf der Gast sein Menü aus zwei bis sieben Gängen selbst komponieren. Wobei sich Otts Stilistik für keine Schublade so richtig gut eignet. Sein Feinschmecker-Konzept orientiert sich an dem, was gerade gefällt. Hochwertige Zutaten wie Kaviar, Trüffel oder Kaisergranat blitzen auf. Modern erzählte Gourmet-Küche, aber mit Bodenhaftung.
Aus der Küche grüßt eine raffinierte Ochsenschwanz-Praline. Der Happen ist von einer knusprigen Schicht umhüllt, bekleckst mit etwas Püree. Das mürbe Fleisch im Innern konzentriert den satten Geschmack des geschmorten Ochsenschwanzes. Originell die Brot-Idee: Es wird mit French-Dressing und Rinder-Jus serviert. Das Brot dampft noch, es wird in Stücke gezupft und dann in die beiden Tunken getaucht. Das Dressing zeigt eine ausgewogene Säure-Balance mit mayonnaisigem Schmelz. Die Jus ist ein sehr dichtes Konzentrat dunkler Fleischaromen.
Den damit geweckten hohen Erwartungen werden die folgenden Gänge vollauf gerecht: Zum Beispiel die glasige Jakobsmuschel mit Gurkenwürfeln in Gelee, Kopfsalat und Mayonnaise. Stark abgeschmeckt, mit ein paar Croutons für mehr Spaß im Mund. Die Variationen vom Mais inszeniert Ott in diversen Texturen und Formaten: als Kuchen, dichten Schaum, als Polenta sowie in Form von Popcorn. Die Küche kitzelt sehr gekonnt die verschiedenen Nuancen von Mais heraus. Lediglich die Polenta zeigt Schwäche, weil sie gar zu salzig abgeschmeckt ist.
Als bemerkenswerter Hauptgang zeigen Mittelmeergarnelen aus Wildfang maritimen Geschmack. Das Bett aus Safran-Risotto hat den idealen Biss allerdings verpasst. Und das Salz, das in der Polenta zu viel war, ist an dieser Stelle zu wenig. Grandios gelingt der Aromen- und Texturen-Reigen im Dessert aus Zitrusfrüchten. Süß, kalt, warm, bitter, weich, säuerlich und sogar scharf. Christian Otts Kunst – getragen von einem herausragend aufmerksamen Service-Team – zeigt fast immer kulinarische Intelligenz und handwerkliche Meisterschaft. Firlefanz nur da, wo er eine echte Pointe verspricht. Ansonsten klar und selten überzeichnet. Kurzum: Da ist der Weg zum Stern nicht mehr weit.