Wenn du in eine fremde Stadt kommst, musst du zuerst auf den höchsten Punkt gehen. Dieser Rat soll von Goethe sein, aber auch ohne ihn hat sich die Methode bewährt, und das nicht nur bei Städten, denn auch eine „überschaubare“ Landschaft sieht man am besten zuerst mal von oben an.
Gerade hier, wo man von der „Großstadt Bodensee“ spricht, ist dieser Tipp hilfreich. Dabei muss es hier nicht der Säntis als höchster Berg – und „Hausberg“ – der Region sein, es reicht auch ein niedrigerer Berg, wenn er an der richtigen Stelle steht.
Der Gehrenberg ist nur der Hausberg des (gerade noch) badischen Städtchens Markdorf, aber wer eine Bodenseekarte nimmt, kann leicht feststellen, dass es von dort zum westlichen Ende des Sees bei Stein am Rhein etwa 40 Kilometer sind, zum östlichen bei Bregenz nur unwesentlich weniger. Damit man von diesem weitgehend bewaldeten Berg den Überblick über den See und das Bodenseeland hat, wurde hier 1903 ein Aussichtsturm errichtet. Er steht für die erste Generation dieser Türme, für die Frühzeit der Sonntagsausflüge. In dem Fall profitierte nicht nur die Stadt davon, denn kurz vor der Jahrhundertwende hatte die Bodensee-Gürtelbahn von Überlingen her Markdorf erreicht und 1901 dann Friedrichshafen. Wie in der Zeit üblich, ist der Gehrenbergturm eine Stahlfachwerkkonstruktion, in dieser Epoche wurden aber auch Türme aus Stein oder Holz gebaut.
www.gehrenberg-bodensee.de
Wenn Aussichtstürme oft dort stehen, wo die Sicht durch Bäume oder Wälder eingeschränkt ist, muss man nur nach den waldreichsten Landschaften suchen, um auch viele Türme zu finden. Auf dem Randen im Kanton Schaffhausen, einem gerade mal 50 Quadratkilometer großen Waldgebiet, gibt es vier Aussichtstürme, was wohl die höchste Dichte in der Schweiz ist, vielleicht in ganz Europa. Sie zeigen auch die Geschichte der Aussichtstürme in Mitteleuropa. Am schönsten sind die Randen-Türme, wenn sie im Winter gerade über dem Nebel stehen und darüber die Sicht frei ist zu den höheren Bergen##.
Am leichtesten zu erreichen ist der Beringer Randenturm am südlichen Rand des Randen (S-Bahn bis Beringen und durch das Dorf hochlaufen), der ursprünglich 1884 gebaut und 1998 durch einen neuen ersetzt wurde, beide als Stahlfachwerkbau ausgeführt. Der wohl älteste Aussichtsturm in dieser Bauweise stand seit 1882 auf dem Siblinger Randen, er musste aber Anfang dieses Jahrhunderts durch einen Neubau ersetzt werden. Seit November 2014 steht hier der neueste und der wohl schönste der Türme: eine dreieckige Konstruktion aus Stahl und Lärchenholz, mit einer großen Aussichtsplattform in 19 Metern Höhe. Der Schleitheimer Randenturm ist von 1909, der Hagenturm bei Merishausen ist der höchstgelegene (912 m), wurde erst 1989 erbaut und hat über der Plattform eine Antennenkuppel der Schweizer Armee.
www.randenvereinigung.ch
Wer jetzt nach einem Aussichtsturm im dritten Land am See sucht, wird leider enttäuscht: In Vorarlberg gibt es keinen einzigen – das Ländle braucht einfach keine! Im Rheintal geht von jeder Stadt die am östlichen Rand des Rheintals liegt, ein Bus auf einer Straße hinauf zu einem der höher gelegenen Orte, die als Aussichtsterrassen dienen: von Eichenberg über Bildstein bis Viktorsberg – und Restaurantnamen wie Schönblick und Schöne Aussicht weisen darauf hin.
Einen ganz neuen Aussichtspunkt gibt es seit 2016 auf dem Dornbirner „Hausberg“ Karren (970 m), der eigentlich nur ein Nebengipfel des fast 500 Meter höheren Staufen ist: Die „Karren-Kante“ ist ein Aussichtsbalkon, der fast ganz aus Glas besteht und zwölf Meter über den Abgrund hinausragt – hier ist der Ausblick wohl tatsächlich „atemberaubend“.
www.karren.at
Weitere Aussichtstürme
Moleturm, Friedrichshafen: 2000, deutlich bessere Aussicht als von der Terrasse des Hafenbahnhofs.
Wiler Turm: 2006, auf dem Hofberg bei Wil SG, www.wiler-turm.ch
Gewerbeturm bei Amriswil: 2012 vom Gewerbeverein gestiftet, die dreieckige Stahl-Holz-Konstruktion ist eine Augenweide für Techniker.
Napoleonturm bei Wäldi auf dem Seerücken: 2017, mit fast 40 Metern einer der höchsten der Region.
Text: Patrick Brauns
Beitragsbild: Randenturm Siblingen | (c) Switzerland Tourism / Ivo Scholz