Gebraut wird klimaneutral, der Bioanteil liegt bei über 50 Prozent:
Damit wurde die Brauerei Clemens Härle zur größten Bio-Bierbrauerei Baden-Württembergs. Es gibt nicht nur ein „Bier for future“, sondern auch das alkoholfrei prickelnde Seezüngle. Ungewöhnliche Produkte im Patchwork-Familienunternehmen, das heute von Gottfried Härle und Esther Straub geführt wird.
Die erste Ernte der Apfelbeeren war aufregend, auch für Brauereichef Gottfried Härle: An einem schönen Tag im September konnte sie nach drei Jahren endlich eingebracht werden, tief dunkelrote Beeren in bester Bioqualität. Ein wenig herb und säuerlich schmecken sie, aber nicht bitter. Die Felder gehören Landwirt Christoph Rittler, der an diesem besonderen Tag von seiner Frau begleitet wird. Sie hat sich extra Urlaub genommen. Mit dem Bio-Landwirt Rittler arbeitet Gottfried Härle schon lange zusammen, das neue Projekt hat er wiederum mit seiner jungen Geschäftspartnerin Esther Straub angeschoben und betreut.
Weniger Zucker, mehr Frucht
Die Apfelbeere oder Aronia-Beere kommt ursprünglich aus Sibirien, erklärt der Brauereichef. Sie ist vitaminreich und saftig. Dazu anspruchslos in der Pflege, ideal also für den Bio-Anbau. Christoph Rittler ist der Partner für die Beeren, in Stoffenried bei Ulm hat er seinen Hof, und liefert auch die seltenen schwarzen Johannisbeeren.
Beeren? Fürs Bier sind die natürlich nicht, denn das wird in Härles Brauerei in Leutkirch im Allgäu ganz traditionell gebraut, nach dem deutschen Reinheitsgebot: nur Wasser, Hopfen, Hefe und Malz. Aber die Apfelbeere ergibt die fünfte Sorte Seezüngle, ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk, prickelnd und fruchtig. „Nein, keine Limo!“, korrigiert Gottfried Härle die Reporterin sofort. Denn Limo darf sie nicht heißen, dafür habe sie zu wenig Zucker. Wie bitte, zu wenig Zucker? Tatsächlich muss ein Erfrischungsgetränk, das sich in Deutschland Limonade nennen möchte, mindestens sieben Prozent Gesamtzucker enthalten. Seine Seezüngle haben rund 50 Prozent weniger Zucker, nur knapp vier Prozent. Dafür mehr Fruchtsaft, unterschiedlich je nach Sorte, aber immer aus heimischen Früchten. Diese werden aus der nächsten Umgebung bezogen und biozertifiziert angebaut. Kirsch-, Birnen- und Träuble-Züngle aus schwarzen Johannisbeeren waren die ersten Sorten, dann kam der Rhabarber hinzu und im Mai 2021 die Apfelbeere.
Bio-Gerste fürs Fruchtgetränk
Ein ungewöhnliches Produkt für die Brauer, die sich zunächst einmal herantasten mussten. Denn zugrunde liegt auch beim Seezüngle ein Sud, gebraut in der großen kupfernen Sudpfanne wie beim Bier. Als Basis dient die Bio-Gerste, angebaut von einem der fünfzehn Vertragsbauern der Brauerei Härle, alle aus der Region. Daraus wird das Gerstenmalz gewonnen, was heißt, dass die Gerste keimen darf und dann wieder getrocknet wird. Dann gilt es, das Gerstenmalz im Sudkessel mit Brauwasser einzumaischen und zu erhitzen: Dadurch löst sich die Stärke und verzuckert. Nun wird mit wertvollen Milchsäurebakterien versetzt, und die Masse darf gären. Die einzigartige Basis fürs Seezüngle entsteht. Dann erst folgen Saft, Rübenzucker und etwas Kohlensäure. Wer mag, kann die sieben Arbeitsschritte auf der Homepage nachlesen, oder sie sich bei – üblicherweise stattfindenden – Brauereiführungen auch erklären lassen.
Tradition und Innovation
Seezüngle also, ein innovatives
Produkt der Traditionsbrauerei. Kein Nischenprodukt mehr, immerhin rund 30 Prozent des Umsatzes generiert diese Sparte, der Rest die insgesamt 15 Sorten Bier, davon bereits sechs in Bioqualität. 1897 wurde die Brauerei vom Urgroßvater Gottfried Härles gegründet; das imposante dreistöckige Ziegelgebäude steht noch heute und wird nicht als Museum, sondern fürs Brauen
genutzt. Das Fabrikgebäude war es auch, das Esther Straub schon als Kind faszinierte. Sie ist in der Nachbarschaft aufgewachsen, erledigte Ferienjobs in der Brauerei und mehr. Nach dem Abi leitete sie interimsmäßig ein Gasthaus in Leutkirch, bevor sie zum Studium nach Mannheim ging. Sie lebte in Frankreich und in Istanbul – und entschied sich dann doch wieder für die Heimat. Gottfried Härle hatte sie als Nachfolgerin für seine Brauerei ausgeguckt, und sie konnte dem Ruf nicht widerstehen. Klarer und zielorientierter als er sei sie, so lobt sie Härle, sie habe eine größere Stringenz beim Arbeiten. Inzwischen hat sich das Team gefunden, im Patchwork-Familienunternehmen.
Die ehrgeizigen Umweltziele hatte Härle allerdings bereits umgesetzt, bevor Esther Straub dazukam. Gottfried Härle war schon in den 1980er-Jahren aktiv in der Friedens- und Umweltbewegung und hat diese Ziele nicht vergessen: Als erste Brauerei in Deutschland arbeitet Härle bereits seit 2009 klimaneutral, mit Wärmeenergie aus Hackschnitzeln und 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Unvermeidliche CO2-Emissionen werden finanziell kompensiert. Zahlreiche Auszeichnungen bestätigen das Engagement. Bier und Seezüngle kommen in Mehrwegflaschen daher, die Kisten sind aus Recycling-Kunststoff. Da brauchte es nur noch ein Etikett aus Altpapier, und das „Bier for Future“ war so gut wie fertig. Die Spezialedition, ein leichtes Lagerbier, war eine Idee von Esther Straub, geboren auf einer Fridays for Future-Demo in Leutkirch. Und das ist in diesem Fall wahrlich kein Etikettenschwindel!
Brauerei Clemens Härle
Am Hopfengarten 5
D-88299 Leutkirch
Tel. +49 7561 98280
www.haerle.de
www.seezuengle.de
Text: Doris Burger