von Andrea Vonwald

Nachhaltig und regional – die Landwirtschaft am Bodensee geht immer innovativere Wege und die Anzahl an BIO-Betrieben steigt stetig. Ob Agri-Photovoltaik, Forschungsarbeit oder Programme wie „Nachhaltigkeit Früchte“ und „Swissmilk Green“: Die Bodenseeregion geht beispielhaft voran und zeigt, wie eine noch nachhaltigere Landwirtschaft funktionieren kann. Neben Verbänden und Institutionen spielen bei diesem Wandel auch viele regionale Firmen und vor allem die Konsument*innen eine entscheidende Rolle. Die akzent Redaktion hat sich am Beispiel der Schweizer Bodensee-Kantone St. Gallen und Thurgau ein Bild zu diesem Thema gemacht.

„Der gesellschaftliche Wandel und die Erwartungen der Bevölkerung spielen eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft“, legt Sebastian Menzel vom Landwirtschaftsamt des Kanton Thurgau dar und fügt an: „Die Gesellschaft fordert zunehmend eine Landwirtschaft, welche die Aspekte Klimaschutz und Nachhaltigkeit stärker fokussiert. Damit steigt automatisch auch der Anteil an BIO-Betrieben stetig.“ Bruno Inauen vom Landwirtschaftsamt des Kanton St. Gallen pflichtet Menzel bei: „Die Nachfrage der Konsument*innen beeinflusst letztendlich die Nachhaltigkeit der Schweizer Landwirtschaft. Mit nachhaltigen Labels, innovativen Projekten und viel Engagement reagieren die regionalen Verbände auf die gestiegene Nachfrage und fördern damit die Nachhaltigkeit, was wir sehr begrüßen.“ Durch Direktzahlungssysteme, der Unterstützung bei baulichen Maßnahmen im Bereich Klimaschutz und der Beratung bei der Umstellung auf BIO, unterstützen die Kantone die landwirtschaftlichen Betriebe auf verschiedenen Ebenen. Im Thurgau wurde am Arenenberg beispielsweise eine kantonale Beratung für produktionstechnische Fragen eingerichtet.

Der Meinung, dass die Konsument*innen den größten Einfluss auf den Wandel hin zu einer noch nachhaltigeren Landwirtschaft haben, schließen sich auch alle anderen befragten Verbände, Firmen und Institutionen in der Eidgenossenschaft an – sei es der Schweizerische Verband der Zuckerrübenpflanzer oder die Schweizer Zucker AG, der Schweizer Bauernverband, der Dachverband der Schweizer Milchproduzenten oder der Schweizer Obstverband. Sie alle spüren den Trend der Konsument*innen hin zu mehr Nachhaltigkeit und die dadurch gestiegene Nachfrage nach mehr BIO-Produkten.

Einfluss der regionalen Firmen

Doch welche Rolle spielen die regionalen Unternehmen, die als Hersteller oder Händler letztendlich zwischen der Landwirtin oder dem Landwirt und der Konsumentin oder dem Konsumenten stehen? Peter Schweizer vom Verband Thurgauer Landwirtschaft erklärt, dass dies auf die einzelnen Unternehmen und deren Tätigkeitsbereiche ankommt. „Die Bandbreite der Betriebe ist sehr groß und reicht vom Nischen- bis zum Großabnehmer von Landwirtschaftsprodukten“, so Schweizer. Für ihn spielen alle beteiligten regionalen Unternehmen – ob groß oder klein – eine wichtige Rolle, zumal einige davon bereits mit gutem Beispiel vorangehen.

Ceres Heilmittel – Vorbild aus Kesswil

„Ceres ist eine Pionierin im Bereich Bio, Nachhaltigkeit und ressourcenschonender Verarbeitung“, berichtet Pascal Kalbermatten, Co-CEO der Ceres Heilmittel AG. Bereits vor 31 Jahren hat das Unternehmen aus Kesswil einen Prozess entwickelt, mit dem in sorgfältiger Arbeit pflanzliche Arzneimittel mit einem bis zu zehnfach höheren Wirkungsgrad hergestellt werden können als es konventionell möglich wäre. „Es kommt nicht nur auf die optimale Qualität der Rohstoffe, sondern vor allem auch auf den richtigen Verarbeitungsprozess an. Dabei sind für uns Sorgfalt, Handarbeit und Zeit entscheidende Faktoren, die oft vergessen werden“, so Kalbermatten, der ergänzt, dass Ceres nur so viel erntet, wie die natürliche Pflanzen-Population am jeweiligen Ort verträgt. Der Verzicht auf chemische Substanzen wie Schädlingsbekämpfer oder Düngemittel ist für das Unternehmen ebenfalls selbstverständlich. „Wir beziehen alle angebauten Pflanzen ausschließlich von bio- oder biodynamisch arbeitenden Landwirtschaftsbetrieben“, sagt Kalbermatten. „Das macht uns zu einem zuverlässigen Abnehmer für diese Betriebe in der Ostschweiz und im Wallis. Durch unsere Philosophie möchten wir zu einem Paradigmenwechsel hin zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaft beitragen.“

RAUSCH – Nachhaltigkeit mit Tradition

Seit seiner Gründung vor über 130 Jahren verfolgt die Kreuzlinger Firma RAUSCH den Weg, mit natürlichen Ressourcen so umzugehen, dass diese nicht nur genutzt, sondern zugleich bewahrt werden. Geführt von einer hauseigenen Nachhaltigkeitsexpertin, legt RAUSCH einen besonderen Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit. Neben der aktuellen Umstellung der Verpackungen auf nachhaltige Materialien, dem fast ausschließlich veganen Sortiment und dem Anspruch, dass alle Produkte mindestens zu 90 Prozent Rohstoffe natürlichen Ursprungs beinhalten, initiiert RAUSCH auch regelmäßig neue Projekte in diesem Bereich. Das Naturheld*innen Programm kürt beispielsweise einmal im Monat einen Mitarbeitenden für sein Engagement für die Nachhaltigkeit. Zudem verwendet das Unternehmen inzwischen einige Kräuter für seine Produkte aus dem hauseigenen Kräutergarten und durch Kooperationen mit regionalen Vertragsbauern entstehen neue spannende Projekte. Eines davon ist eine Haarpflegelinie, die RAUSCH aktuell entwickelt. Für diese werden Thurgauer Jungäpfel upgecycelt, die ansonsten keine Verwendung finden würden. Das Kreuzlinger Traditionsunternehmen ist, wie Marketingleiterin Petra Hollenstein sagt, der festen Überzeugung, dass jedes einzelne Unternehmen – wenn auch mit kleinen Schritten – zum Klimaschutz beitragen kann: „Je früher Firmen und auch Privatpersonen Produkte, Prozesse sowie die Unternehmenskultur nachhaltiger gestalten, desto schneller können wir gemeinsam dem Klimawandel entgegenwirken und die weltweiten Klimaziele erreichen.“

Klimaschutz auf Verbandsebene

Ein Ansatz, den auch die einzelnen Landwirtschaftsverbände verfolgen. Um passende Angebote für die gestiegene Nachfrage im Bereich der nachhaltigen Produkte bieten zu können und zeitgleich auch ihren Teil zum Klimaschutz beizutragen, engagieren sich die Verbände auf nationaler Ebene allesamt für eine noch nachhaltigere Landwirtschaft. So hat der Schweizer Obstverband 2022 beispielsweise gemeinsam mit dem Handel und Detailhandel das Programm „Nachhaltigkeit Früchte“ lanciert. „Diese Branchenlösung für Kernobst umfasst Maßnahmen in neun Handlungsfeldern und gilt ab der Ernte 2022 national“, erklärt Mediensprecherin Beatrice Rüttimann. „Dadurch wurden einheitliche Regelungen für die Obstbetriebe geschaffen und sie werden nun vom Handel für ihre Mehraufwände fair mit einem Aufpreis von 6 Rappen pro Kilogramm entschädigt.“ Neben diesem neuen Programm laufen beim Obstverband auch erste Pilotprojekte im Bereich der Agri-Photovoltaik (Agri-PV). Hierbei werden zur Energieerzeugung PV-Anlagen über Beerenanlagen installiert. Abgesehen von bürokratischen Hindernissen im Bereich der Raumplanung, die es in der Schweiz nicht überall gestatten, solche Anlagen zu installieren, muss zunächst noch ausgewertet werden, wie die PV-Anlagen die Qualität, aber auch die Quantität der Früchte beeinflussen und welches Obst überhaupt unter welchen Bedingungen für Agri-PV geeignet ist.

Grüne Milch

Mit „Swissmilk Green“ legt auch der Dachverband der Schweizer Milchproduzenden (SMP) seit 2019 einen noch größeren Fokus auf das Thema Nachhaltigkeit als zuvor. „Das Thema Nachhaltigkeit ist uns sehr wichtig“, erklärt Reto Burkhardt, Kommunikationsleiter des SMP. Mit „Swissmilk Green“ gibt es nun eine Marke, an der sich die Betriebe orientieren können. „Um die Anforderungen dieser Marke zu erfüllen, muss ein Milchproduzent zehn Grundanforderungen in Bezug auf die Nachhaltigkeit erfüllen und weitere Zusatzanforderungen auswählen“, so Burkhardt. Ziel des SMP ist es, die Nachhaltigkeit in der Schweizer Milchproduktion damit über das gesetzliche Minimum hinaus zu steigern und sich so auch von der ausländischen Konkurrenz abzuheben. Welch großen Erfolg der Verband mit „Swissmilk Green“ hat, zeigt ein Blick auf die Zahlen. Laut Burkhardt erfüllen nach den ersten drei Jahren seit Einführung der Marke inzwischen bereits 12.000 von insgesamt rund 18.000 Schweizer Milchproduktionsbetrieben, und damit rund 85 Prozent der Molkereimilch, diesen Standard. Im Laufe dieses Jahres sollen, wie Burkhardt berichtet, möglichst alle Milchproduktionsbetriebe diesen Standard erreichen und damit ebenfalls von der Förderung durch den Verband profitieren können: „Die Bauern, die die Anforderungen von Swissmilk Green erfüllen, erhalten pro Kilogramm Milch 3 Rappen mehr.“

Ökologischer Zuckerrübenanbau

Der Schweizerische Verband der Zuckerrübenpflanzer und die Schweizer Zucker AG setzen ebenso auf Nachhaltigkeit. „Wir als Zuckerrübenpflanzer haben uns entschieden, dass wir noch ökologischer werden möchten. Die Förderung des IP-Suisse Zuckers ohne Fungizide und Insektizide sowie der Ausbau des BIO-Zuckerrübenanbaus liegen uns dabei besonders am Herzen“, erklärt Josef Meyer, Präsident des Verbandes, der selbst seit 30 Jahren Zuckerrüben anbaut. Für ihn spielt mit Blick in die Zukunft vor allem die Forschung eine entscheidende Rolle. Eine Meinung, der sich die Schweizer Zucker AG in Person von Kommunikationsleiter Raphael Wild und der neuen Nachhaltigkeitsbeauftragten Sandra Gruden anschließt. Da die Zuckerrübe aufgrund ihrer Eigenschaften momentan nur sehr aufwendig und mit viel Handarbeit biologisch angebaut werden kann, ist es laut beiden Parteien wichtig, neue Rübensorten zu entwickeln, die weniger anfällig sind als die bisherigen, aber auch Fortschritte in der mechanischen Unkrautbekämpfung zu machen. „Ein Anliegen ist es mir, in diesem Zusammenhang noch zu erwähnen, dass der Prozess hin zum ökologischen Zuckerrübenanbau – ähnlich wie es beim Auto vom Verbrenner hin zum Elektrofahrzeug der Fall ist – Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte, dauern wird“, so Meyer.

Hindernisse und Unstimmigkeiten

Bei all dem Enthusiasmus, der auf kantonaler ebenso wie auf verbands- und unternehmensebene in der Schweiz herrscht, läuft jedoch noch nicht alles so, wie es sollte. So berichtet Sandra Helfenstein vom Schweizer Bauernverband beispielsweise von Hindernissen aufgrund der Preispolitik des Detailhandels: „Der Detailhandel nimmt sich bei Labelprodukten eine besonders große Marge raus und bremst über die Preispolitik den Absatz. Störend ist es vor allem, wenn sich der Handel in der Kommunikation und im Marketing ein sehr grünes Mäntelchen umhängt, die Nachhaltigkeit im Alltag aber nicht lebt.“ Sie spielt damit unter anderem auf Themen wie Billigstaktionen mit nicht nachhaltigen Importprodukten oder unvorteilhaften Platzierungen der wirklich nachhaltigen Produkte im Laden an. Auch für Beatrice Rüttimann vom Schweizer Obstverband ist der Preis ein entscheidender Aspekt: „Das Thema Nachhaltigkeit gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Man muss sich bewusst sein, dass solche Auflagen immer mit mehr Aufwand für die Produzierenden verbunden sind.“ Eine Tatsache, die, wie es klingt, des Öfteren außer Acht gelassen wird. „Es kann nicht sein, dass immer alles auf dem Buckel der Produzierenden ausgetragen wird“, so Rüttimann weiter. „Wenn mehr Nachhaltigkeit gefragt ist, müssen die Produzierenden auch in finanzieller Hinsicht entsprechend entlohnt werden. Sonst ist die Wirtschaftlichkeit und damit zeitgleich auch die Nachhaltigkeit nicht gewährleistet.“