Der Bodensee scheint das Land der Blühstreifen, überall leuchtet es sommers bunt am Wegesrand. Vor Feldern und entlang der Straßen, zwischen den Obstbäumen und im Weinberg. Können diese Blüten was? Oder sind sie reine Zierde?
Text und Fotos: Doris Burger
Bunt leuchten die Felder, zumindest am Rand. Pinkfarbene und blaue Blüten schwanken im Wind, darüber ragen hoch die Sonnenblumen. Da möchte man doch gleich vom Rad steigen und sich das Beet genauer anschauen. Tatsächlich, zumindest an den Sonnenblumen herrscht reger Insektenverkehr. Honigbienen lassen sich entdecken, einen Stock tiefer brummen die Hummeln. Gerade an den kleinen und unscheinbaren Blüten machen sie sich zu schaffen, untersuchen akribisch jeden noch so schmalen Kelch.
Zum Herbst fahren wir wieder an derselben Stelle entlang, erst struppig der Rand, dann sauber untergepflügt die ganze Blütenpracht. Macht das Sinn?, fragen wir uns. Vor allem, nachdem selbst Mitarbeiter des NABU (Naturschutzbundes) Einwände vorbrachten: Mehrjährig sollten die Blühstreifen sein, um Faltern das Überleben zu ermöglichen, die ihre Ei-Kokons an die Stängel heften. Um bodenbrütende Wildbienen zu schützen. Rückzugsraum für Vögel und Niederwild sollen die Streifen bieten, dazu eine winterliche Futterquelle durch die Samen der verblühten Pflanzen. „Blühstreifen werden zu Todesfallen“, titelte gar die Stuttgarter Zeitung.

Sind die Blühstreifen in der Landwirtschaft also nur kurzfristige Augenweide oder ein echter Beitrag zum Artenschutz? Um das zu klären, verabreden wir uns bei der Bodensee-Stiftung, die in Radolfzell ihren Sitz hat. Sechs Umwelt- und Naturschutzverbände rund um den See sind Stifter: NABU, BUND, und DUH (Deutsche Umwelthilfe) in Deutschland, Pro Natura und WWF in der Schweiz, sowie der Naturschutzbund in Österreich. Das laufende Geschäft wird durch Fördermittel für gezielte Projekte bestritten, vor allem von der EU.
Tankstellen in der Landschaft
Wir treffen Geschäftsführer Patrick Trötschler, der das PRO PLANET Apfelprojekt am Bodensee betreut, bei dem seit 2010 regelmäßig die Artengruppe der Wildbienen untersucht wird. Er fasst zusammen: Die mehrjährigen Blühstreifen im Obstbau unterstützen „die echten Schätzchen“, also die raren Wildbienen-Arten, deren Lebensräume immer mehr beschnitten werden. Die einjährigen nützen der breiten Insektenmasse aber ebenfalls. Wenn im Sommer kaum noch etwas blüht, fliegen sie die bunten Streifen an, die wie Insektentankstellen wirken. Also Nahrung bieten, auch für Schwebfliegen und Falter.
„Die Honigbiene, auf die meist geachtet wird, ist ein Nutztier“, erklärt Projektmanagerin Christine Kewes (Foto), „und wird im schlimmsten Fall von ihrem Imker gefüttert. Die anderen Arten aber nicht.“
Mit Christine Kewes gehen wir ins Detail. Wichtig sei die richtige Auswahl der Samenmischung: am besten sind insektenfreundliche Sorten mit heimischen Wildpflanzen, die vielleicht etwas weniger prächtig aussehen. Sie sollten keine gefüllten oder exotischen Blumen enthalten, die möglicherweise gar zu invasiven Arten werden können und die einheimischen verdrängen. Idealerweise sind die Saaten an die Region und damit die klimatischen Bedingungen angepasst, dann gedeihen sie auch am besten.

Natürlich ist zertifiziertes Saatgut (mit den Labels VWW oder RegioZert, s. Infokasten) teurer, denn die Samengewinnung aus Wildpflanzen ist aufwendig. Wer im heimischen Garten etwas tun möchte, kann ebenfalls auf diese Labels achten. Dazu auf die Bodenbeschaffenheit, denn die Saat muss auch zum Boden passen. Magere, sandige Böden sind eher geeignet als fette.
Je breiter, desto besser
Breite Streifen am Feldrand sind besser als schmale. Zumal, wenn man an Hunde denkt, die überall ihre Nase reinstecken – womit sie Bodenbrüter und Kleintiere aufscheuchen, die Schutz im Streifen suchen. Mehrjährige sind klar besser als einjährige. Aber Kewes bricht eine Lanze für die Landwirte: „Die müssen ja auch wirtschaftlich arbeiten dürfen. Wenn man die Anforderungen zu hoch schraubt, ist es verständlich, dass viele die Lust an zusätzlichen Anstrengungen verlieren. Schön wäre, wenn die mehrjährigen Streifen so gefördert würden, dass sie für Landwirte attraktiv sind.“
Ein Problem seien die zunehmend breiten und asphaltierten Feldwege. Wo früher wilde Möhre, Schafgarbe, wilde Kamille und Ehrenpreis blühten, wurden die Flächen versiegelt. Die Landmaschinen seien größer geworden, aber da müsse man realistisch sein: „Handarbeit geht heute nicht mehr“, so Kewes.
Zudem gäbe es weite Bereiche, wo keiner hinschaue: „Was ist beispielsweise mit den Gewerbegebieten? Hier mal eine Rasenfläche und da drei Koniferen, das bringt der Natur wenig.“ Könne man nicht Hallendächer begrünen und mit Photovoltaik bestücken, was sogar zugleich möglich sei? Die Bodensee-Stiftung startet gerade ein neues Projekt dazu.
Blühstreifen gezielt einzusetzen, verursacht allerdings nicht nur Kosten, sondern kann der Landwirtschaft enorm nutzen. Gerade im Wein- und Obstbau sind spezielle Saatmischungen sinnvoll. Ein Winzer, der die Flächen zwischen seinen Reihen begrünt hatte, stellte laut Kewes erstaunt fest, dass ihm das ganz praktische Vorteile bringt: Selbst bei Regenwetter habe der Traktor mehr Grip und lasse sich besser steuern. An Hanggrundstücken werde zudem die Erosion gebremst.
Winzer nutzen spezielle Blühmischungen, die das Bodenleben verbessern und Insekten Nahrung bieten. Zudem hilft die Begrünung, den Boden in trockenen Sommern feucht zu halten. Dazu werden die Pflanzen plattgewalzt, sobald sie zu hoch werden. Damit entsteht eine grüne Decke, die nachts den Tau aufnimmt und den Boden mit Wasser versorgt.
Auch das Staatsweingut in Meersburg, das erste klimaneutrale Weingut Baden-Württembergs, meldete im Sommer 2022 neue Erfolge. Nicht nur mit den blühenden Krautstreifen zwischen den Reben: Gezielt werden neben den historischen Trockenmauern auch Steinriegel angelegt, als Unterschlupf für Eidechsen und allerlei Getier. Dazu Totholzhaufen, die ebenfalls wertvolle Lebensräume bieten. Die Toleranz der Spaziergänger ist hier gefragt: Nein, das ist kein Unrat, das ist Absicht!
Vorsprung im Bio-Anbau
Langjährige Erfahrungen mit Blühstreifen hat die Bio-Landwirtschaft, beispielsweise Familie Brugger vom Demeter-Obsthof in Friedrichshafen-Spaltenstein. Sie arbeitet seit über 30 Jahren mit den grünen Mittelstreifen zwischen den Apfelbäumen. Öko-Pionier Bruno Brugger hat gar einen speziellen Mulch-Mäher entwickelt, den er in unterschiedliche Höhen einstellen kann. Zu hoch darf das Kraut nämlich auch nicht werden, um Baumpflege und Ernte nicht zu behindern. Ihre Saatmischung haben die Bruggers über die Jahrzehnte optimiert: „Die jetzige Mischung enthält etwa vierzig Pflanzen: wilde Kamille, Klee, Schafgarbe, etwas Minze – davon nicht zu viel, denn sie verdrängt gerne die anderen“, so Christine Brugger. Die Tochter des Öko-Pioniers ist auch bekannt als Brennerin von zwei exklusiven Gin-Sorten. Etliche Kräuter für ihren Gin wachsen in den Blühstreifen, garantiert naturbelassen.

Wichtig sei, auf unterschiedliche Blühzeiten zu achten, so dass sowohl die hofeigenen Bienen, als auch alle wilden Helfer stets ausreichend Futter finden. Meistens braucht es mitten der Saison nochmals eine zweite Einsaat, erklärt Brugger. Dann können Blühstreifen vielerlei: den Boden pflegen, durch eine Mulchschicht feucht halten und Insekten füttern.
Mehr Toleranz!
Bei der Umgestaltung von buntem Wechselflor zu nachhaltigen Staudenbeeten und Grünstreifen braucht es auch im städtischen Umfeld Geduld und Toleranz. Was der Natur und der Artenvielfalt nutzt, sieht möglicherweise erst nach zwei bis drei Jahren üppig aus. Und nicht jede Gärtnerei hat Zeit und Etat für aufklärende Schilder am Wegrand.
Damit es weiter summt und brummt im Land:
Infos für Kommunen: www.stadtgruen-naturnah.de
Projekt insektenfördernde Regionen: https://insect-responsible.org
Infos zur Bodensee-Stiftung: www.bodensee-stiftung.org
Zertifizierte Regio-Saaten: www.natur-im-vww.de