Christoph Nix ist seit 2006 Intendant am Stadttheater Konstanz, 2020 wird er das Theater verlassen. Das Publikum ist ihm überwiegend gewogen, die Stadtspitze weniger. Ein Gespräch über Liebe und Intrigen, über christlichen Kommunismus und einige der großen Fragen des Lebens.
akzent: Die neue Spielzeit eröffnet im Stadttheater mit „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth. Die Uraufführung war 1932, es spielt „in unserer Zeit“. Sehen Sie Parallelen zwischen 1932 und heute?
Christoph Nix: Naja, ich bin keiner, der den Faschismus wieder neu beschwören will. Die Parallele ist, dass in den 20er Jahren die Intellektuellen und die Künstler unendlich frei waren und ganz viel experimentiert wurde wie nie zuvor in den letzten zwei Jahrhunderten – in der Musik, in der Theaterästhetik, im Schreiben; und keiner hat gespürt, außer Leute wie Horváth, dass so ein radikaler, brutaler Politikwechsel ansteht. Vom Elend her – nein, da sehe ich keine Parallele, jedenfalls was uns gesettelte Leute angeht. Die Ureuropäer, was immer das sein soll, die sind heute relativ gut abgesichert, auch wenn die Kinderarmut steigt. Aber die Frage stellt sich ja trotzdem: Was gehört zur Liebe und wann hört die Liebe auf?
akzent: „die Liebe höret nimmer auf“, so lautet das Motto des Stücks.
Christoph Nix: Naja, das wünscht sich der Horváth. Es geht mir schon darum, mich mit einem Stoff zu beschäftigen, bei dem es um das Aufhören von Liebe und Zuneigung geht und in welchem Zusammenhang das zu den gesellschaftlichen Verhältnissen steht. Das ist ja einer der Punkte aus dem Stück, wenn Kasimir sagt: Einer, der wie ich abgebaut ist, der ist nicht mehr attraktiv. Ich mag ja dieses Gedicht von Kästner, Sachliche Romanze: „Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut) / kam ihre Liebe plötzlich abhanden / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut. …“
Klar kann die Liebe aufhören, das wissen ja viele. Das ist so. Ich kenn das ja auch, bei meiner ersten Freundin und mir, irgendwann war’s vorbei und keiner weiß so richtig, warum, und manchmal ist man erschüttert drüber und manchmal nicht. Also wenn die Liebe überhaupt eine Erfindung der Romantik ist, dann hört sie eben auch manchmal auf.
akzent: Sie beschäftigen sich oft mit christlichen Ideen: Das erste Stück der kommenden Spielzeit, „Franziskus, der Gaukler Gottes“ von Dario Fo, wird in der altkatholischen Kirche aufgeführt, die vorletzte Spielzeit stand unter dem Motto „Ist da wer?“, 2014 wollten Sie zum Papst pilgern und 2015 war der Priester Luis Zambrano Rojas als Monk in Residence am Theater Konstanz. Was interessiert Sie denn an den Ideen und an Leuten wie Franz von Assisi und Papst Franziskus?
Ich bin kein Dogmatiker
Christoph Nix: Ihnen scheint mein christlicher Kommunismus nicht zu behagen … Nein, ich weiß das nicht genau, ich bin ja kein Dogmatiker. Franziskus war einer der letzten Menschen, der aufbegehrt hat gegen den Zug der Zivilisation. Es gab sicherlich andere, aber er ist eben historisch übrig geblieben. Ich meine schon, dass es um die innere Kraft geht, wenn man die Welt verändern will. Ob die jetzt religiös sein muss oder nicht, das ist eine individuelle Entscheidung.
akzent: Ihre Begeisterung für den Papst hat aber schon etwas nachgelassen, oder?
Christoph Nix: Ja … manchmal freut man sich, dass einer so ein bissel charismatisch rummacht, und dann wird der auch angepasst. Ich denke, dass es ihm auch so gegangen ist, aber weil er der einzige Charismatische war, hat er mir halt gefallen.
akzent: Als Sie vor 13 Jahren hier als Intendant angefangen haben, mit welchen Gefühlen sind Sie da morgens hierher gekommen, und mit welchen Gefühlen kommen Sie jetzt hierher?
Christoph Nix: Die Gefühle sind die gleichen geblieben. Ich wusste genau, ich hab wenig Chancen, ich werde Gegner haben, aber ich werd’s irgendwie schaffen. Jetzt bin ich müder als vor 13 Jahren. Die Widerstände waren nicht weniger als ich erwartet habe.
akzent: Sie haben die Widerstände erwartet?
Ich bin ein ziemlicher Schnellmerker
Christoph Nix: Ich bin ein ziemlicher Schnellmerker und habe den Apparat hier schnell durchschaut, wer mit wem und wer mit wem nicht kann. Die Widerstände habe ich beim Publikum nach wie vor nicht, es gibt nur eben keine starke Lobby in dieser Stadt. Für nichts gibt’s ne starke Lobby. Also es gibt ein bisschen eine Fahrradlobby, aber keine für eine Veränderung der politischen Verhältnisse hier. Die Leute sind hier sehr träge und sehr zufrieden und das ist dann einfach ein bisschen langweilig. Ich mag sowas wie seemoz, aber es bleibt alles so wie es ist, da findet keine wirkliche Bewegung statt. Das ist kein Drama, weil so richtig drängt nichts zur Handlung. Insofern guck ich jetzt, dass ich in einem Jahr aufhöre, und das tut mir dann schon leid.
akzent: Zu Beginn Ihrer Intendanz hier haben Sie „Ein Bekenntnis“ veröffentlicht, in dem es in Anlehnung an Marx heißt: Es kommt darauf an, sie (die Welt) zu verändern. Haben Sie seither die Welt, haben Sie sich selbst verändert?
Christoph Nix: Also das eine geht ja nicht ohne das andere. Die, die religiös sind, meinen, der Mensch muss sich selber verändern und zu Gott hinkommen und dann würde die Welt sich ändern. Das funktioniert so nicht, meine ich. Der dogmatische Kommunismus sagt, man muss erst die Verhältnisse ändern, dann ändert sich der Mensch. Nein, das ist ein Prozess, der Hand in Hand geht. Aber um es jetzt mal auf den Punkt zu bringen: Ich finde schon, dass mich das Chefsein eher im negativen Sinne verändert hat. Die Apparate verändern einen, man verändert den Tonfall, wenn man über andere Menschen Entscheidungen mit trifft, aber ich halte das nicht für unumkehrbar, solange der liebe Gott mir noch ein bissel Zeit lässt. Meine Entscheidung, dass ich Intendant werde, hat meinem Wesen sicherlich nicht gut getan. Natürlich habe ich die Welt nicht verändert! Ich habe vielleicht ein paar Menschen Chancen aufgezeigt und ein paar Leuten in Afrika, und nicht nur dort, Perspektiven gegeben, die sie nie gehabt hätten, das behaupte ich schon.
Es wird schlimmer … Putin, Trump, Johnson
Manchmal ist es mir gelungen, jemandem zu helfen, der aus dem Knast kam oder in psychisch schwierigen Bedingungen gelebt hat. Mehr war gar nicht drin, weil ich ja auch nicht Teil einer revolutionären Erhebung war, die es hier auch nicht gegeben hat. Ich bin zufrieden mit mir, weil ich keine Leichen im Keller habe, auch als Anwalt nicht, und ich bin auch nicht auf einen Zug der linken Bewegungen aufgesprungen oder von irgendwelchen autoritären Systemen, Mao Tse-tung oder Stalin … Aber diese Großmundigkeit, die Welt zu verändern, muss man ja haben als Künstler, selbst wenn man nicht daran glaubt, um anderen Hoffnung zu vermitteln. Als ich 15, 16 war, habe ich gedacht, wenn ich mal alt bin, so in 50 Jahren, dann leben mehr Menschen in sozialistischeren Verhältnissen, im guten Sinne, dass die extremen Unterschiede von arm und reich abgebaut sind. Jetzt sieht es eher schlimmer aus, solche Menschen wie Putin, Trump und Johnson haben jetzt das Sagen. Aber ich frage mich immer: Wie ging es Leuten, die wirklich in tragischen Situationen waren, wie Stefan Zweig oder Walter Benjamin, die sich das Leben genommen haben, die mit 60 sehen mussten, dass die Welt in eine völlige Barbarei gerät? Und das wird uns allen so gehen, wenn wir die Welt verlassen, wir werden neugierig sein, wie es so weitergeht. Ich denke, ich versuchs mit Optimismus, bei jungen Menschen, soweit ich da immer noch Mut machen kann, mache ich das wirklich mit großer Leidenschaft: pessimistisch und oft traurig zu sein; und ohne verlogen zu sein, nach außen hin eine gute Energie zu vermitteln, dass sich immer wieder jeder Tag lohnt. Mein Lieblingsgedicht ist von Borchert: „Ich möchte Leuchtturm sein / in Nacht und Wind / für Dorsch und Stint / für jedes Boot / und bin doch selbst / ein Schiff in Not“.
akzent: Nochmal zu Ihrem Bekenntnis zum Theater: „Ich möchte mit meinen Mitarbeitern einen respektvollen Umgang pflegen“. Ist Ihnen das gelungen?
Jemand wie ich hat Gegner
Christoph Nix: Ja, immer … Es gibt aber so ein paar Knackpunkte, mit denen ich nicht glücklich bin. Wenn ich mich im Ton vergriffen habe, weil ich in einem hohen Level der Überarbeitung bin, kann ich mich aufrichtig entschuldigen, und zwar nicht nur formelhaft, sondern mit Blick in die Augen. Ich bin jemand, der auch nach außen viel erreichen will, in einem guten Sinn, und ich bin nicht unzufrieden mit mir. Umgekehrt habe ich noch nie so viele Intrigen gegen mich erlebt wie in diesem Haus: Strafverfahren – das Verfahren wurde nach drei Jahren eingestellt –, Denunziationsberichte, anonyme Mails, gehackte Accounts … Wer so viel will und so ist, der hat halt auch Gegner.
akzent: Was erwartet denn die Zuschauer in der letzten Spielzeit, abgesehen von dem, was schon im Spielzeitheft steht?
Christoph Nix: Aufbruch, Terror, verbrannte Erde …
akzent: Oha?
Christoph Nix: Dummes Zeug! Was erwartet sie … was ihr gesehen habt die letzten Jahre, gutes Theater. Was ich gemacht habe, wird sich noch weiter fortsetzen und das wars.
akzent: Gut, dann war’s das. Danke.
Theater Konstanz | Konzilstraße 11, D–78462 Konstanz | +49 (0)7531 900 150, www.theaterkonstanz.de
Foto: Michael Schrodt, Interviewerin: Anja Böhme