Dicke Krokodilstränen in Konstanz und Singen wegen des Endes und der Doch-wieder-Rettung von Karstadt. Mal Wehmut, dann wieder Freudentränen. Die Augen kann man sich so oder so reiben.
An anderen „Bodensee-Metropolen“ ging der tränenreiche Kelch indes vorbei, weder in der oberschwäbischen noch in der bayerischen Fußgängerzone, weder nah am Rheinfall noch im St. Gallischen Dorf wollte sich doch jahrzehntelang ein „Kaufhaus“ ansiedeln. Ohne Hertie, Galeria und Karstadt wähnte man sich als nicht vollwertiges Shopping-Erlebnis. Allein die Zeit heilt bekanntlich alle Kunden!
Denn nun ist es offenbar: Das gute alte Kaufhaus hat als City-Magnet ausgedient!
Einst eine glamourös beleuchtete, schillernd-verführerische Einkaufswelt, durch die man auf Rolltreppen mit glänzenden Augen entlang unzähliger Warenpräsentationen auf und ab fuhr, ist es heute eher eine gemütlich-ruckelige Fahrt abwärts. Nach der zweiten Abstiegs-Spirale im Karussell der Risiko-Sozialisierung, das der „talentierte Mr. Benko“ äußerst gewinnbringend – zumindest für sich – betreibt, wird einem schon ganz schwindelig. Und Schwindel ist hier systemimmanent!
Als sich nun die jäh vom Sofa aufgeschreckte städtische Bürger- und Kundschaft erstmal den Angstschweiß (übrigens mit jüngst bei Amazon ach so günstig erstandenen modischen Tüchlein) von der runzelnden Stirn getupft hatte, ging auch schon das Wehklagen los: Das Veröden der Innenstädte wird betrauert, hier insbesondere, aber auch sonst so ganz allgemein.
Die Frage, wann man denn vielleicht selbst dort, vor Ort einen nennenswerten Einkauf jenseits der „vergessenen Schuhcreme“, des „Nähsets, das es ja wirklich nur noch hier zu finden gibt“ und vielleicht einem Ausverkaufsschnäppchen in der Shop-in-Shop-Markenansammlungsetage getätigt habe, ging unter im lauten Wehklagen. Doch was erwartet man(n) & frau, wenn statt der Karstadtkasse nurmehr zu Hause der Postmann zweimal klingelt? Wenn ganze Städte jahrzehntelang Kunden-Vergrämung propagieren, Einkaufs- und Gastroangebote diametral zur Parkplatzanzahl stadtentwickelt werden, die frohe Botschaft verkündend: Kommet zuhauf, aber bitte ohne Car!
Und nun? Nun wurde die Botschaft erhört! Oder anders ausgedrückt, sozusagen von hinter dem Verkaufstresen aus: „Es rechnet sich nicht mehr.“ Hat sich längst nicht mehr wirklich gerechnet und jetzt halt bei aller Trickserei auch nicht mehr. Oder nicht mehr lange. Natürlich gäbe es auch andere, spannende Konzepte an der Stelle und Unternehmer, die sich da was zutrauen, zumindest mehr, als nur Risiken auf die Allgemeinheit abzuwälzen und Gewinne einzusacken. Allerdings ist das auch grad unternehmerisch ziemlich angesagt und man möchte ja bei Karstadt mit der Zeit gehen, bevor man mit der Zeit geht.
Und wenn mit der Zeit eben mehr geht, dann hat das eben nicht nur mit „städtischen Verordnungen“, allgemein „denen da oben“ oder gar „kapitalistischen Ausbeutern“ zu tun, sondern schlicht mit dem eigenen Konsumverhalten. Wie sagte schon die selige Tante Emma: „Ihr macht wieder so lange, bis einer heult …“