von Markus Hotz

Nach wie vor gehört für viele Touristen am Bodensee der Verzehr eines Felchens zum Pflichtprogramm. Da jedoch die Felchenausbeute von Jahr zu Jahr geringer wird, fällt das Auge des Genießers neuerdings auf: das Rotauge.

Was durchaus berechtigt ist. Der Fisch ist schön, er hat festes, weißes Fleisch, schmeckt delikat und hat mit 25 bis 50 Zentimetern Länge eine gute Größe. Und es gibt ihn zuhauf, im Gegensatz zu Felchen und Kretzern, die auch in der Schweiz als Eglis immer seltener auf den Menükarten angeboten werden. 

Lecker, vielseitig und unkompliziert

Die Köche am See haben mittlerweile gelernt, das Rotauge vielfältig zuzubereiten, denn wegen der teils feinen Gräten ist es eine kleine Herausforderung für die Küche. Doch gilt bekanntlich: „Keine schönduftende Rose ohne Dornen“. Und weil die Fischer den Gräten der Rotaugen schon direkt nach dem Fang zu Leibe rücken, haben diese ihren Schrecken in der Küche verloren. Die so vorbereiteten Filets lassen sich nicht nur zu leckeren „Fischknusperli“ ausbacken: Mancher Spitzen­gastronom verwendet schon lange das entgrätete Fleisch dieser Fische als Grundlage für Fischpasteten und andere kulinarische Besonderheiten. Und sogar die kleinen Rotaugen (bis 15 Zentimeter) eignen sich hervorragend als knusprige „Backfischli“ oder als roh marinierte Variation der spanischen boquerones. Übrigens gibt es spezielle Einschneidemaschinen, die in engen Abständen Schnitte durch die Filets ziehen, sodass nach dem Braten nichts mehr von den missliebigen Gräten zu spüren ist.

Das Rotauge erreicht ein Gewicht von bis zu drei Kilogramm und hat einen hochrückigen Körper mit grünlichschimmernder Ober- und weißer Bauchseite. Augen und Flossen sind rötlich, wobei die besonders auffallend leuchtend rote Iris dem Fisch den Namen gab. Rotaugen schmecken überaus lecker, mitunter besser als ein Karpfen oder eine Forelle. Das liegt unter anderem an der Ernährung des Fisches, die aus allerlei tierischen und pflanzlichen Kleinorganismen besteht. Sie schätzen besonders die aggressiven, invasiven Quagga-Muscheln und entlasten so das Ökosystem. Das Rotauge wird maximal 14 Jahre alt und ist der vielleicht häufigste Karpfenfisch in unseren Gewässern.

Die Berufsfischerei am gesamten Bodensee leidet seit Jahrzehnten an einem besorgniserregenden Fangrückgang vor allem beim Felchen, dem „Brotfisch“. Die Nährstoffumstellung im See, der mittlerweile Trinkwasserqualität hat, bekommt den Felchen schlecht, da sie es plankton- und nährstoffreich lieben. Doch anderen Fischarten kommt das klare Wasser sehr gelegen. Die Familie der karpfenartigen Fische, zu deren Hauptvertretern das Rotauge gehört, profitieren von der Nährstoffarmut und landen somit häufiger in den Netzen der Berufsfischer.

Tatar vom Rotauge

Wildfang fördern

Da letztere dem Rückgang der Fischbestände nicht weiter untätig zuschauen wollten, hat sich im Oktober 2020 eine Schutzgemeinschaft Bodenseefisch gegründet. Dazu haben sich Berufsfischer, Gastronomen und auf Nachhaltigkeit bedachte Tourismusorganisationen rund um den See in einer Solidargemeinschaft zusammengeschlossen, um sich gemeinsam für die Erhaltung einer nachhaltigen Berufsfischerei mit Bodenseefisch aus Wildfang zu engagieren. Auch die Kultur der Fischerei an allen Seeteilen wird somit erstmals unter einem Dach gefördert und geschützt. Die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Berufsfischern am internationalen Bodensee einerseits und Abnehmern wie Lebensmitteleinzelhandel, Großküchen, Gastronomiebetrieben und Verbrauchern andererseits soll dabei Verknüpfungen schaffen. Gerade den Fang und die Verarbeitung der Rotaugen unterstützt diese Gemeinschaft nach Kräften.

Und so tritt, vom bayrischen Ufer herkommend, das Rotauge seinen Siegeszug an als neuer Brotfisch am See. Um den Fisch den Einheimischen und Gästen schmackhaft zu machen, werden auf der bayrischen Seite seit einigen Jahren die „Internationalen Rotaugenwochen“ zelebriert. Zusammen mit dem Verein und den Betrieben aus Bayern haben sich 2022 erstmals auch Fischer und Gastronomen aus Vorarlberg, Württemberg und dem Untersee beteiligt. Dank der Zusammenarbeit werden immer neue Kreationen gemeinsam entwickelt und so steigen die Rotaugen – ehemals nichts anderes als Beifang – weiterhin in der Gunst der Gourmets. Es gibt sie unter anderem als Matjes oder sauer eingelegt (die Gräten lösen sich hierbei auf), als Seeburger und frittierte Bodenseefisch-Knusperle, in Fischweggen, Fischsuppe, Maultaschen und Salat, als Wurst und Fischlasagne, als klassisch pochiertes oder – auch mal mit Cornflakeskruste – paniertes Filet.

Rotaugen-Matjes

Mehr Bewusstsein vonnöten

Ziel des Vereins ist es auch, den Geschmack der Menschen zu schulen und das Bewusstsein zu öffnen: Fisch vom Bodensee ist lecker und gesund. Weil er aus dem größten und reinsten Trinkwasserspeicher Europas kommt. Weil er nicht gezüchtet wurde, nicht in engen Netzen gehalten und mit Antibiotikacocktails und Industriefutter gestopft wurde. Er kann frei schwimmen in einem wunderbaren, großen See.

Und die Konsumenten? Von der Industrie auf Fischstäbchenformat geeicht und Pangasius-Import-Filets als exotische Spezialität glorifizierend, verstehen sie leider oft die einfachsten Dinge nicht mehr: Dass es wichtig ist, die Wertschöpfungskette regional zu unterstützen, damit das ausgegebene Geld hier kleinen Betrieben zugutekommt und nicht dem Food-Großkonzern. Und dass Fische, die aus Polen, aus Kanada oder vom Gardasee an den Bodensee gebracht und hier als „Bodenseefisch“ deklariert werden, nicht gerade förderlich für die CO2-Bilanz sind. Zudem hat man hier maximale Transparenz direkt vor der Haustüre, man kann echten Menschen vor Ort begegnen und ihnen dabei zuschauen, wie sie sich, vom Fang über die Zubereitung bis zum Teller, mit einem wirklichen „Lebensmittel“ beschäftigen.

Es gilt also nicht zuletzt, das Bewusstsein der Konsumenten zu schärfen, zugunsten der Fischer und Gastronomen am See, für die Umwelt und nicht zuletzt für den guten Geschmack.

Rotauge, sei wachsam: Ein Verein passt auf

Im Verein „Schutzgemeinschaft Bodenseefisch“ versammeln sich derzeit 54 Mitglieder, darunter 25 Berufsfischer, fünf Verarbeiter, 18 Gastronomen und sechs unterstützende Organisationen. Tendenz steigend. Gleich auf Anhieb haben sich 35 Gründungsmitglieder im Herbst 2020 in Fischbach zusammengefunden, um ein internationales Netzwerk rund um den „Bodenseefisch“ aufzubauen. Von der ersten Stunde an dabei waren auch wichtige Unterstützer wie die Tourismusverbände, Slow Food Bodensee, Südland Köche, Bodensee PURE, die Randegger Ottilienquelle, die seezunge und viele andere, die den Prozess bis zur Eintragung der Marke stark unterstützen.


Die Schutzgemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, den Bodenseefisch aus Wildfang – gefischt mit traditionellen Fangmethoden– aminternationalen Bodensee nachhaltig zu fördern und zu schützen. Zur Erreichung dieses Ziels unterstützt die Schutzgemeinschaft insbesondere die nachhaltige Berufsfischerei am Bodensee mit der Entwicklung von gezielten Maßnahmen wie dem Markenschutz für den „Bodenseefisch“.

Weitere Informationen unter www.bodenseefisch.eu