In den Ferienwochen wollen sich die meisten entspannen und Schönes sehen und erleben. Deshalb versprechen die Reiseführer die „schönsten Schlösser“, die „schönsten Wanderungen“ und andere Schönheiten. Bei der Architektur ist die Schönheit oft erst auf den zweiten Blick zu erkennen – oder wenn man sie versteht.
Die Schönheit ist Thema
Die gute Architektur muss oft auf Geschmacklosigkeiten „antworten“, wie die Architekten sagen. Mit der Schönheit als Begriff befassen sich Architekten eher selten, vielleicht auch ungern. Es ist wichtiger, dass ein Haus zweckmäßig ist, dass es gut funktioniert. Architekturpreise werden nicht für „schöne Bauten“ vergeben, sondern für „gutes Bauen“ oder „beispielhaftes Bauen“. Das Schöne überlassen die Architekten lieber den Publikumszeitschriften wie „Schöner Wohnen“. Weil die Rubrik „Seeraum“ die schönste Nebensache dieser Zeitschrift ist, wollen wir hier mal schauen, was es sonst über die Schönheit in der Architektur zu berichten gibt.
Ein bisschen ändern sich auch bei diesem Thema die Zeiten. In den Programmen der Architekturforen, die ja die Aufgabe haben, die Diskussion über gute Architektur in die Öffentlichkeit zu bringen, kommt der Begriff der Schönheit durchaus vor. Das Architekturforum Ostschweiz, mit Sitz in St. Gallen, hat die Schönheit sogar als Jahresthema für das Programm 2020 gewählt. Dabei geht es auch um Themen am Rand der Architektur, so bei einer Diskussion mit dem japanischen Architekten Sou Fulimoto um „Schönheit und Mode“. Moderiert werden die Veranstaltungen (jeweils am ersten Montag im Monat) nicht von einem Künstler, sondern von einer Philosophin und einem Ethiker.
Architekturforum Ostschweiz, www.a-f-o.ch
Gerüste für das Schöne
Im Dezember 2018 hatten wir unter den Beispielen für bemerkenswerte Texte an Baustellen auch den Slogan „Wo Schönes entsteht“ der Schweizer Firma Roth Gerüste, die als eine der anspruchsvolleren Aufgaben in den letzten Jahren die Bergstation auf dem Chäserrugg hatte. In Flums, im Süden des Kantons St. Gallen, hängt der Satz an einem größeren Wohnungsbauprojekt sogar auf Rätoromanisch, der vierten Landessprache, deren Klang als schöner als das harte Schwyzerdütsch empfunden wird. Für das Projekt selbst wird passenderweise mit dem Slogan „Leben im Paradies“ geworben – dann muss es ja auch schön werden.

Das Grauen und die Sünden
Am Untersee werden Parks und Gärten touristisch vermarktet, und in Städten wie Konstanz gibt es Tage der offenen Tür bei privaten Gärten. Nur in einer kleinen, aber leider wachsenden Minderheit der Gärten bleiben große Flächen grau. Die Mode der Stein- oder Schottergärten (hier ein Beispiel aus dem Osten der Region) wurde in den vergangenen zwei Jahren durch eine Facebook-Seite und ein im letzten Herbst erschienenes Buch unter dem Etikett „Gärten des Grauens“ bekannt. Der Ausdruck hat inzwischen auch Eingang in die Alltagssprache gefunden, wenn Medien über ein „Verbot von ‚Gärten des Grauens‘“ berichten. In Baden-Württemberg sollen diese Steinwüsten nach einem Gesetzentwurf vom Juni verboten werden, und auch in der Schweiz erlassen Gemeinden entsprechende Vorschriften, so etwa in Heiden im Appenzellerland – da war nur die FDP dagegen.
Buchtipp: Ulf Soltau: Gärten des Grauens, Eichborn Verlag, 2019

In der Frühzeit dieser Rubrik, im Frühjahr 2005, wurde die Leserschaft hier nach den schlimmsten Bausünden gefragt, also nach dem Gegenteil des schönen Bauens. Bei solchen Fragen werden immer gerne die Einkaufszentren und Hochhäuser genannt, in dem Fall waren es für Konstanz das LAGO und das frühere Telekom-Hochhaus. Letzteres wird bis 2022 zu einem Wohnhochhaus umgebaut und bekommt dadurch eine gründliche Verschönerungskur: Die Fassaden werden aufgebrochen und durch begrünte Balkone und Wintergärten aufgelockert – man darf auf das Ergebnis gespannt sein.
Zitat des Monats:
Die französische Architektin Charlotte Perriand (1903–1999), eine frühere Mitarbeiterin von Le Corbusier, wollte „das Nest des Menschen schaffen“, dazu aber auch „den Baum, der es trägt“.
Text + Fotos: Patrick Brauns