Zur Erforschung, aber auch zum Schutz und zur Bewahrung des archäologischen Kulturerbes in Gewässern ist die Unterwasserarchäologie ein wichtiger Bestandteil. Prof. Gunter Schöbel ist Taucharchäologe und hat die Geschichte des Tauchsports und die Entwicklung der Tauchtechnik nicht nur am Bodensee miterlebt. Im Interview gibt der Direktor des Pfahlbaumuseums Unteruhldingen Einblicke in submarine Erfahrungen.
Von Hildegard Nagler
Was bedeutet Tauchen für Sie?
Prof. Schöbel: Als archäologischer Taucher sind für mich die Plätze an den Voralpenseen und an den Flüssen besonders interessant, in denen noch Informationen zu unserer Geschichte schlummern. Das sind die Pfahlbauten, alte Hafenanlagen, Furten oder Landestellen für die historische Schifffahrt. Unterwasserforschungen stellen beim Ausgraben große Anforderungen an die Genauigkeit und an die Funktionsfähigkeit des dazu nötigen Equipments. Zudem verlangen sie vor allem viel Geduld. Es ist sehr wichtig, jeden einzelnen Schritt vorher genau zu überlegen und dann akribisch zu dokumentieren, damit keine Informationen verloren gehen. Unterwassergrabungen im ungewohnten Milieu geben aber vor allem die Möglichkeit, höchst fein auszugraben. Durch die Wasserbrechung des Lichts erscheinen alle Objekte etwas größer als an Land. Bei sorgfältigem Arbeiten sieht man jede Einzelheit besser. Das macht viel Freude und erzielt gute Ergebnisse.
Tauchpioniere am See
Wann ging es am Bodensee mit dem Tauchen los? Mit welchem Equipment?
Prof. Schöbel: Der Anfang liegt in den 1950er-Jahren. Die Aqualunge, ein unabhängiges Pressluftatemgerät, ebnete die Bahn für den Breitensport. Sie wurde erfunden und erprobt durch die Marinetaucher Hans Hass auf deutscher und Jacques Cousteau auf französischer Seite. Tauchclubs entstanden, vom Bodensee bis an die Nordsee, im Westen und in der damaligen DDR. Anfangs reichten für den Sommereinsatz die Badehose und die Schnorchelbrille. Bald kamen der wasserdichte Gummianzug und das Pressluftgerät hinzu. Große, heute noch bekannte Tauchausrüstungsfirmen entstanden. In Meersburg etwa wurde durch den Sporttaucher Eberhard Graf ein spezieller Trockentauchanzug zum Patent angemeldet.
Wer waren die Pioniere?
Prof. Schöbel: Sie fanden sich in Tauchclubs zusammen. Es waren oft ehemalige Marinetaucher, Tauchlehrer, die eine Ausbildung organisierten, Wassersportbegeisterte, Biologen. Und es waren auch gleich zu Anfang Archäologen wie Hans Reinerth aus dem Pfahlbaumuseum oder Gerhard Kapitän aus dem Osten Deutschlands darunter, die die wissenschaftliche Seite vertraten und die auch mit den ersten
Untersuchungen am Mittelmeer oder in der Ostsee vertraut waren. In Überlingen wurde der Verband der Deutschen Sporttaucher gegründet. In Unteruhldingen fanden die ersten Unterwasseraufnahmen in den Pfahlfeldern statt. Am Überlinger See untersuchten englische Marinetaucher die Pfahlbauten in Sipplingen. Mit selbstgebastelten Kameras versuchte sich etwa der Wissenschaftsjournalist Theo Löbsack
aus Konstanz mit der Unterwasserfotografie – nach Anleitung durch das Uhldinger Museum.
Waren diese Pioniere organisiert?
Prof. Schöbel: Es war schnell klar, dass nur eine flächige Organisation in Tauchclubs das nötige Wissen und auch die Sicherheit des Sports für alle gewährleisten konnte. Ausbildungsrichtlinien wurden erarbeitet, Tauchkurse und Prüfungen entwickelt. Gemeinsame Jahrestagungen fanden in den 1950er-Jahren in ganz Deutschland statt – dort gab man sich Richtlinien. Auf dem Markt waren Tauchzeitschriften
wie etwa Delphin oder Neptun. Unterwasserforschung In den 1950er-Jahren wurde der Verband der Deutschen Sporttaucher gegründet.
Welche Rolle spielte dabei die Unterwasserforschungsgruppe Bodensee?
Prof. Schöbel: Der Verband der Deutschen Sporttaucher organisierte sich unter seinem ersten Präsidenten
Prof. Reinerth von den Pfahlbauten, der auch die Unterwasserforschungsgruppe Bodensee entwickelte. Sie gaben sich ein Programm und hatten das Ziel, vor allem die unter Wasser liegenden Pfahlbauten am Bodensee zu erforschen. So entstanden die ersten Pfahlpläne der Pfahlbauten unter Wasser. Endlich konnte man sie Auge in Auge erfassen und musste nicht länger mühsam von der Wasserfläche aus mit Guckkästen nach unten schauen, ohne dort arbeiten zu können. Versunkene Schiffe wie etwa das Salzschiff in Unteruhldingen oder Einbäume wurden kartiert und zeichnerisch aufgenommen. Das Netzwerk bezog auch frühe Untersuchungen an der italienischen Riviera wie etwa unter Nino Lamboglia in Albenga oder Jacques Cousteau bei Cannes mit ein. Man kannte sich, und neben der Meeresarchäologie entwickelte sich auch die Version an den Binnenseen.
Wie ging es am Bodensee weiter?
Prof. Schöbel: Tauchunfälle mit Todesfolge im Mittelmeer und fehlende Versicherungen für Tauchkameraden führten Anfang der 1960er-Jahre zu einem Aus der Unterwasserforschungsgruppe
Bodensee. Man sammelte zwar für die Hinterbliebenen, aber das Problem war zu groß und unlösbar für eine unbeschwerte Fortführung der Vereinigung. In der Schweiz, etwa am Zürichsee, oder in Österreich,
an Atter-, Mond- und Hallstätter See, entwickelten sich neue Forschergruppen, die die Methode für die Seen weiterentwickelten. Von dort aus kamen dann 1980 mit Ulrich Ruoff, unserem Kollegen der Stadtarchäologie Zürich, auch wieder die ersten Forschungstaucher an den Bodensee zurück. Sie untersuchten mit der Denkmalpflege in Wochenend-Aktionen stichprobenartig die alten Pfahlbausiedlungen in Bodman oder Sipplingen. Eine junge Truppe von Archäologen der Universität Freiburg konstituierte sich und begann mit dem Denkmalamt Baden-Württemberg 1981 mit Sondagen unter Wasser, von Wangen am Untersee bis nach Fischbach und Manzell bei Friedrichshafen. Die großen Siedlungen Bodman, Sipplingen, Unteruhldingen, Hagnau konnten mithilfe von Doktorarbeiten untersucht und vorgelegt werden. In der Schweiz im Kanton Thurgau entstand eine archäologische Tauchergruppe. Mit den Kollegen aus Bayern wurden Siedlungen und Einbäume am Starnberger See untersucht. Heute gibt es in Baden-Württemberg und in den Nachbarländern fest angestellte Taucharchäologinnen und -archäologen, die sich dieser Aufgabe widmen. Einen großen Anschub gab es 2011 mit dem Label des Weltkulturerbes für die Pfahlbauten. Seither finden regelmäßige Untersuchungen und jährliche Überprüfungen dieser Stellen statt, die ja auch etwa durch die Quaggamuschel oder andere
invasive Arten gefährdet sind. Die Pfahlbauten müssen geschützt werden, damit die in ihnen liegenden Informationen nicht verloren gehen.
Wie beurteilen Sie heute das Neben- und Miteinander der Sporttaucher und der archäologischen Forschungstaucher?
Prof. Schöbel: Das eine ist Freizeitsport und das andere ist Wissenschaft. Als archäologischer Forschungstaucher braucht man eine Ausbildung. Für diesen Job muss man sich qualifizieren und
lernen, damit dann alle Informationen und Quellen sachgerecht in eine archäologische Interpretation
einfließen können. Wühlereien und Aufsammlungen ohne Dokumentationen zerstören Wissen. Das betrifft die Pfahlbauten wie die Schiffswracks im Bodensee gleichermaßen und das geht gegen die Ehre der meisten Taucher, entspricht also nicht dem gewünschten Verhaltenscodex. Auf der anderen Seite ist das Interesse der Sporttaucher an solchen Objekten sehr verständlich. Auch sie wollen erkunden und sehen, ohne zu zerstören. Dies aber braucht Formen des Miteinanders, die gefunden werden müssen.
Tauchempfehlungen
Haben Sie Tipps für Taucher, die gerne den Bodensee erkunden möchten?
Prof. Schöbel: Aktuell gibt es am Bodensee nicht die Möglichkeit, Unterwassersites zu beobachten. Es gab Ansätze des Konstanzer Tauchclubs, geführte Tauchgänge zu unternehmen oder gar Unterwasserausstellungen einzurichten. Heute ist das Landesamt für Denkmalpflege mit seiner Außenstelle in Hemmenhofen am Untersee hierfür die Anlaufstelle.
Welche Plätze am Bodensee sollte man als Taucherin oder Taucher gesehen haben?
Prof. Schöbel: Es gibt archäologischen Museen am Bodensee, wo Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Im Pfahlbaumuseum Unteruhldingen wird dazu ab Juni 2024 im neuen Ausstellungsgebäude
einiges zu sehen sein. Das Archäologische Landesmuseum in Konstanz ist mit seiner Schiffsausstellung auch ein guter Tipp. Vielleicht gibt es zukünftig, wie bereits in anderen Ländern möglich, Unterwasserausstellungen hinter Stahlkäfigen, die das Gut schützen und dennoch informieren können.
Welche Tauchplätze sind Ihre Favoriten?
Prof. Schöbel: Das ist schwer. Jeder Platz am Bodensee birgt Wissen, das es zu entdecken gilt – ob wir uns in der Steinzeit, im Mittelalter oder in der Neuzeit befinden. Schiffe erzählen uns etwas über den Handel und die Kommunikation. Siedlungen lassen uns das Leben der frühen Menschen ermitteln. Und selbst Teile vom Zeppelin, die ins Wasser gefallen sind, zeigen uns im Museum Spannendes über die frühe Industriegeschichte am See. Aber sie können das alles nur, wenn unter Wasser sachgerecht ermittelt wird. Deswegen ein Appell an alle Sporttaucher: Nehmt nichts weg, wühlt nicht und arbeitet mit der zuständigen Denkmalpflege oder den Museen zusammen, wenn ihr etwas entdeckt oder gefunden habt. Schiffswracks wie die „Jura“ haben uns gezeigt, wie schnell ein Denkmal zerlegt und zerstört werden kann. Unter Wasser liegen Zeugnisse, die wir nur als geschlossene und intakte Funde archäologisch und heimatgeschichtlich verwerten können.
www.denkmalpflege-bw.de
www.pfahlbauten.de
Foto: Bergung Einbaum © Landesamt fuer Denkmalpflege FloriaH