D – Konstanz | bis 30.12. | Unter dem Eindruck des weltweiten Klimawandels gehen Dr. Tobias Engelsing – seit 2007 Direktor der vier städtischen Museen Konstanz – und sein Team in einer großen Sonderausstellung der Geschichte der Naturkatastrophen am Bodensee nach. akzent hat nachgefragt.

akzent: Ganz allgemein: Ist der Bodensee für seine Anwohnerinnen und Besucher gefährlicher als vergleichbare Seen in Mitteleuropa?
Tobias Engelsing: Durch seine Lage im Voralpenraum ist das Wetter etwas tückischer als an anderen Binnenseen. Wer schon einmal einen plötzlich losbrechenden Föhn-Sturm auf dem See erlebt hat, der innerhalb von Minuten das Gewässer „kochen“ lässt, hat einen Eindruck davon, was die Menschen früherer Jahrhunderte in ihren schwerfälligen Lädinen bei Gewitter und Sturm erlebt haben. Als es noch große Seegfrörnen gab, unterschied sich der Bodensee nicht vom Zürichsee oder vom Genfersee: Diese Voralpenseen froren erst bei sehr großer Kälte und dann in einer genauen Reihenfolge zu, der Bodensee mit seiner starken Rheinströmung ganz zum Schluss.
akzent: Seen wirken heutzutage in der Regel eher anziehend auf Menschen und sind begehrte Wohngebiete, je näher am See, desto besser. Wie war das in früheren Zeiten –sind die alten Fischerhäuser etwa in Ermatingen das historische Pendant zur eleganten Konstanzer Seestraße?
Tobias Engelsing: Heute erleben wir den Bodensee als riesigen Freizeitpark, der Einheimischen und Touristen vor allem als Wohlfühl-Kulisse dient. Bis zur Einführung der Dampfschifffahrt um 1830 war das Gewässer aber eine äußerst gefährliche Arbeitsfläche und eine Naturgewalt, vor der die Menschen so gehörigen Respekt hatten, dass vor dem Auslaufen eines Schiffs gemeinsam zum Heiligen Nikolaus als dem Schutzpatron der Seefahrer gebetet wurde. Selbst am Ufer zu wohnen war gefährlich, denn alle paar Jahre kam das Hochwasser, überschwemmte die Wohnhäuser, brachte Seuchen und verdarb die Ernte.

akzent: Wer/was ist die größere Bedrohung: der See für den Menschen oder der Mensch für den See?
Tobias Engelsing: Bis zur Industrialisierung und Technisierung der westlichen Welt im 19. Jahrhundert erschienen die durch das Wetter entfesselten Naturkräfte dem Menschen als geheimnisvolle Zeichen des göttlichen Willens. Mit der technisch möglich gemachten Kanalisierung von Flüssen und Seen und mit dem Fortschreiten der Naturwissenschaften überhaupt verschwand dieser strafende Gott aus der Wahrnehmung. Bald darauf kehrten sich die Verhältnisse um: Die fortschrittsgetriebene Ausbeutung der Natur durch den Menschen gefährdete deren Bestand. Mit dem auch menschengemachten Klimawandel unserer Tage scheint es so, als ob die Natur zurückschlägt – Sturmfluten, Orkane und andere Naturkatastrophen treffen allerdings überwiegend die ärmsten Teile der Weltbevölkerung.
akzent: Wurde der Bodensee eigentlich auch reguliert, um das Hochwasser abzusenken?
Tobias Engelsing: Nein, der Bodensee ist einer der wenigen europäischen Binnenseen, dessen Wasserstände nicht technisch „korrigiert“ wurden. Es gab allerdings Pläne, sogar den Rheinfall zu sprengen und Staustufen einzubauen. Damit sollte Hochwasser vermieden, Hochrhein und Bodensee sollten für Großtanker schiffbar gemacht werden. Zwei Weltkriege und eine Volksabstimmung der Thurgauer haben diese Pläne zum Glück vereitelt.

akzent: Wie sieht es mit der Kooperation der Bodensee-Anrainer im Hinblick auf die Nutzung bzw. den Schutz des Bodensees aus?
Tobias Engelsing: Soweit ich das beurteilen kann, achten die Bodensee-Anrainer seit den 1960er-Jahren, als der See wegen Überdüngung durch ungeklärte Abwässer fast umkippte, sehr streng auf die Güte des Wassers. Schwieriger sieht es schon beim Schutz der Uferlandschaft aus: Wenn wir sehen, wie hemmungslos etwa am Schweizer Seeufer derzeit seenah gelegene Zonen mit architektonisch grauenvollen Betonburgen versiegelt werden, stellt sich schon die Frage, ob die Propagierung der „Großstadt Bodensee“ der ökologisch richtige Weg ist.
akzent: Wie setzen Sie dieses sowohl historische als auch aktuelle Thema spannend in eine Ausstellung um? Schleppen Sie etwa Schiffswracks ins Museum?
Tobias Engelsing: Ja, in der Tat: Wir schleppen einen der ältesten hölzernen Fischerkähne vom Untersee in den Museumssaal, um zu zeigen, wie gefährlich dieser Job früher war. Im Übrigen erzählen wir spannende Geschichten von Naturkatastrophen an Alpenrhein und Bodensee, zeigen Relikte von Unglücksfällen und präsentieren Geheimnisse aus der Tiefe des Bodensees. Gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern, dem Turmhof in Steckborn und dem Seemuseum Kreuzlingen, bieten wir im Rahmenprogramm Exkursionen, Erzählabende und packende Führungen zu vielen Facetten unseres „gefährlichen Sees“.

Buch zur Ausstellung
Der gefährliche See – Wetterextreme und Unglücksfälle an Bodensee und Alpenrhein.
Das Ausstellungsprojekt mit Begleitbuch und mit einem eigenen Naturerziehungsprogramm für Kinder und Jugendliche unter dem Titel „Wir schützen unser Wasser!“ wird von mehreren Museen mitgetragen und von namhaften Stiftungen der Bodensee-Region unterstützt.
