Warum denn in die Ferne schweifen … Vor einem Jahr hat das akzent Magazin ausführlich über die thermische Nutzung des Bodensees berichtet. Seither ist viel passiert – neben der sich zuspitzenden Klimakrise ist durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine eine akute Verknappung und Verteuerung fossiler Energieträger deutlicher und der Blick auf die Vorteile regenerativer Energien intensiver geworden. Kann der Bodensee für die Dreiländerregion Teil einer größeren Lösung sein?
Die thermische Nutzung des Bodensees ist inzwischen Teil des Energie- und Klimaschutzkonzepts vieler Städte und Kommunen mit dem Ziel, schädliche CO2-Emissionen zu reduzieren sowie Versorgungssicherheit und Energieunabhängigkeit zu erlangen. Egal wen am Bodensee man fragt – alle zeigen bewundernd auf die Schweizer, denn in der Schweiz ist die Nutzung der Energie, die in ihren Seen steckt, nichts Neues – es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass die Versorgung von Kommunen, Unternehmen, Institutionen oder Wohnquartieren bereits seit Langem erfolgreich mit thermischer Nutzung von Gewässern funktioniert. In den Jahren 2020 und 2021 hat der Kanton Thurgau die Machbarkeit der thermischen Nutzung von Bodensee und Rhein untersuchen lassen. Dabei zeigte sich unter anderem, dass die Voraussetzungen zur Nutzung von Wärmeenergie aus dem See in Arbon gut sind.
Arbon: Ökologisch und ökonomisch sinnvoll
In Folge dieser Ergebnisse gab der Arboner Stadtrat eine zusätzliche Machbarkeitsstudie in Auftrag, um die konkreten Möglichkeiten genauer zu bestimmen. Diese neue Studie, die seit dem Sommer 2022 vorliegt, bestätigt den positiven Befund der kantonalen Untersuchung und zeigt: In Arbon ist es wirtschaftlich, technisch und ökologisch machbar, Wärmeenergie aus dem Bodensee zu nutzen. Sie kommt zum Schluss, dass der Stadt Arbon mit dem Bodensee eine ausgiebige lokale und erneuerbare Energiequelle zur Verfügung steht. Mit einem entsprechenden Wärmeverbund könnte rund ein Viertel des Stadtgebiets erschlossen und beheizt werden. Der See würde jedes Jahr so viel Energie liefern wie rund 2,6 Millionen Liter Heizöl. Durch eine thermische Nutzung des Sees könnte zudem der CO2-Ausstoß in Arbon jährlich um rund 7.000 Tonnen reduziert werden. Auch wirtschaftlich bringe eine Wärmenutzung des Sees Vorteile: Die regionale Wertschöpfung würde gesteigert, und es könnten neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Zudem ließe sich die Abhängigkeit vom Ausland in Bezug auf fossile Energieträger markant verringern. Vor diesem Hintergrund hat der Arboner Stadtrat beschlossen, das Projekt Seewasser-Wärmeverbund voranzutreiben, wie Thomas Steccanella von der Stabsstelle Kommunikation der Stadt Arbon berichtet. Die geschätzten Investitionskosten belaufen sich auf rund CHF 51 Millionen. Das Projekt dürfte mit Fördergeldern in Höhe von etwa CHF 14,6 Millionen unterstützt werden. So resultieren Netto-Investitionen von rund CHF 36,4 Millionen. Würde das Projekt ohne Verzögerungen vorangetrieben werden, könnte die erste Etappe eines Seewasser-Wärmeverbundes mit der Heizsaison 2028/2029 in Betrieb genommen werden.
Eine sichere Energiequelle direkt vor der Haustüre
Ein großartiges Beispiel, das allerdings auch zeigt, dass selbst bei schnellster und engagiertester Umsetzung solcher Projekte Jahre ins Land ziehen – und zudem hohe Investitionskosten entstehen. Die Frage, warum nicht schon früher über die thermische Nutzung des Bodensees nachgedacht wurde, immerhin ist die Klimakrise nicht erst seit 2022 bekannt, erklärt sich Dr. Thomas Wolf vom Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) in Langenargen damit, dass bislang wohl der wirtschaftliche Druck nicht groß genug war. Das Bewusstsein für die Vorteile einer Selbstversorgung mit Energie sei mit den aktuell hohen Preisen gestiegen. Zudem sei das Vertrauen in eine sichere Energieversorgung mit Energieträgern aus dem Ausland erschüttert. Deshalb rücke die Nutzung des Bodensees als umweltfreundliche, sichere und stets verfügbare Energiequelle direkt vor der Haustüre in den Vordergrund.
Der Zustand des Sees darf nicht beeinträchtigt werden
Die Genehmigungsverfahren laufen in Deutschland über die Landratsämter, bei großen Anlagen können auch Regierungspräsidien einbezogen werden – in Österreich und in der Schweiz treffen vergleichbare Behörden die Entscheidungen. Das Institut für Seenforschung der LUBW arbeitet mit den internationalen Landratsämtern und Regierungsbezirken zusammen, die vor einer Entscheidung die Expertise des Instituts einholen. Mit der Thematik der thermischen Nutzung des Bodensees werde rund um den See sehr verantwortungsvoll umgegangen, sagt Wolf und versichert: „Höchste Priorität hat der Schutz des Gewässers und des Ökosystems Bodensee. Dementsprechend sind die Genehmigungsverfahren und die technischen Vorgaben sehr streng.“ Ob und wie der Bodensee thermisch genutzt werden darf, sei im Kapitel 5 der Bodensee-Richtlinien „Thermische Nutzung von Bodenseewasser“ der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) genau festgehalten. Der übergreifende Gedanke der IGKB sei, dass die Anrainerstaaten sich miteinander abstimmen – denn der See kennt keine Grenzen. Die Zusammenarbeit der Anrainer geschehe auf vielen Ebenen schon lange Zeit sehr konstruktiv und erfolgreich. Dem Kapitel 5 ist folgender Leitgedanke vorangestellt: „Die thermische Nutzung von Bodenseewasser zur Wärme- und zur Kältegewinnung ist soweit zulässig, als der Zustand des Sees und seiner Lebensgemeinschaften weder in seiner Gesamtheit noch regional beziehungsweise lokal nachteilig beeinträchtigt werden.“ Dieser Leitgedanke dominiere alle Entscheidungen und Genehmigungsverfahren und werde sehr strikt umgesetzt. Ein jährliches Monitoring aller Aktivitäten rund um den See führe alle Daten und Maßnahmen bei der IGKB zusammen und harmonisiere die Projekte am Bodensee.

Im Bodensee schlummert ein riesiges Energiepotenzial
Wenn der See im Winter dampft, gibt er die im Sommer gespeicherte Wärme teils in Form von Nebelschwaden ungenutzt ab. Im Sommer ist es umgekehrt: Wer im See schwimmt, spürt die gespeicherte Kälte. Das in der Tiefe konstant vier bis zehn Grad kalte Seewasser kann Privathaushalte, Bürogebäude und Fabriken kühlen. Allein am Schweizer Ufer könnten 2800 GWh zum Heizen und 1400 GWh zum Kühlen entnommen werden, besagt die Studie des Kantons Thurgau. Die ungefähre heutige Nutzung dort betrage zehn GWh Wärmenutzung und 25 GWh Kältenutzung. Generell habe der Bodensee als Energiespeicher ein so gewaltiges Potenzial, dass auf lange Sicht nicht mit Veränderungen zu rechnen sei. „Dies ist ein Schatz, der geborgen werden kann und darf und besonders im Kontext mit dem Klimaschutz ein großes Thema geworden ist“, sagt Wolf. Es sei vorstellbar, dass ganze Siedlungen an solche Wärmeverbunde angeschlossen werden, wenn dies in der Planung frühzeitig berücksichtigt wird. So gebe es seit 2015 mit der Minergie-Siedlung Witenzelg in Romanshorn den ersten größeren Verbund am Bodensee. Dort werden 165 Wohnungen mit Seewasser beheizt. „Die thermische Nutzung von Seewasser in Wärmeverbunden ist ein sehr vernünftiges Konzept – im Bodensee ist eine enorme Energiemenge vor Ort vorhanden und stets verfügbar – das macht die Bodenseeregion unabhängig und autark, wenn auch die Anlagen und die notwendige Infrastruktur, um den Schatz zu bergen, erstmal teuer sind.“
Konstanz: Stadtwerke Konstanz prüfen Potenziale
Die thermische Nutzung des Bodensees ist auch in Konstanz wichtiges Thema. „Wir prüfen aktuell gemeinsam mit Partnern aus der Schweiz die Machbarkeit, den Bodensee als Wärmequelle zu nutzen. Diese Machbarkeitsstudie läuft noch, mit Ergebnissen rechnen wir in diesem Frühjahr“, erläutert Christopher Pape aus der Unternehmenskommunikation der Stadtwerke Konstanz den Status quo. In Konstanz sollen in den kommenden Jahren große Wärmenetze entstehen. Grüne Wärme, etwa aus der Nutzung des Bodensees, könne dabei eine zentrale Option sein. Die Stadtwerke Konstanz sind hierbei ein wichtiger Akteur. Ihre Expert*innen prüfen gerade, welche Möglichkeiten sich für Konstanz auftun. Auf dem Weg, sich unabhängiger von fossilem Erdgas zu machen, arbeiten die Stadtwerke Konstanz mit kommunalen Energieversorgern, Verbänden und Unternehmen aus der Schweiz zusammen. Mit Energie Kreuzlingen sowie dem Verband KVA Thurgau und der EKT AG prüfen sie aktuell die Machbarkeit einer Fernwärmeleitung aus Weinfelden sowie die thermische Seewassernutzung, welche Kreuzlingen und Konstanz künftig gebietsweise mit Wärme versorgen könnte. Fachlich begleitet wird das Projekt durch die Swisspower AG.
Die Universität Konstanz kühlt übrigens Lüftungs- und Klimageräte für die Bibliothek und die Hörsäle, Großgeräte in den Laboren und insbesondere das Rechenzentrum der Universität bereits seit 1972 mit Seewasser.
Therme Meersburg: See könnte genügend Wärme liefern
Die Meersburger Therme am Bodensee ist knapp zwanzig Jahre alt und muss, auch aus Hygienegründen, saniert werden. Gut elf Millionen Euro sollen Umbau und Sanierung kosten. Thermen befinden sich grundsätzlich wegen ihrer hohen Energiekosten in einer schwierigen Situation. Beim Umbau der Bodensee-Therme soll darum laut Sitzungsvorlage des Gemeinderats auf eine möglichst autarke Energieversorgung in Verbindung mit Seewärme gesetzt werden. Nach ersten Gesprächen mit Fachleuten könnte die Seewärme genügend Wärme liefern und die notwendige Anforderung für die Therme gewährleisten, heißt es. Diese Überlegung fließe in das Energiekonzept ein.

Bregenz: Wärme- und Kältelieferung ab 2025 denkbar
In Vorarlbergs Landeshauptstadt Bregenz ist die Seewassernutzung für die Wärme- und Kälteversorgung des neuen Hallenbades und des Festspielhauses mittels Wärmepumpen und „free cooling“ wichtiges Thema. Bürgermeister Michael Ritsch betont, dass der Stadtrat der Planung und dem Bau einer entsprechenden Anlage sowie den daraus folgenden Maßnahmen grundsätzlich zugestimmt habe. Betrieben werde die Seewassernutzung von der Stadtwerke Bregenz GmbH, die auf diese Weise eine Wärmemenge von 3.300 und eine Kältemenge von 1.330 MWh pro Jahr liefern will. In einer zweiten Ausbaustufe könnte das Bodenseewasser auch in einem erweiterten Versorgungsgebiet wie zum Beispiel „Bregenz Mitte“ als regenerative Energiequelle genutzt werden. Die Stadt rechnet in der Projektphase I der Seewassernutzung mit Kosten von rund zehn Millionen Euro, wobei mit drei Millionen Euro an Förderungen durch Bund und Land gerechnet werde und somit ein Finanzierungsbedarf von sieben Millionen Euro zu schultern sei. Eine Wärme- und Kältelieferung wäre ab 2025 denkbar.
Romanshorn: 30 Jahre lange Erfahrung
In Romanshorn gibt es seit über 30 Jahren einen Wärmeverbund, der Bodenseewasser als Energiequelle nutzt und die Kantonsschule Romanshorn, rund zehn Mehrfamilienhäuser der politischen Gemeinde Romanshorn sowie die Sekundarschulgemeinde Romanshorn-Salmsach mit Energie versorgt. Die Stadt sieht nun vor allem bei der Versorgung von Haushalten im Zentrum weiteres Potenzial in der thermischen Seewassernutzung. Erste Wärmelieferungen wären bei Umsetzung des aktuell geprüften neuen Projekts etwa 2025 möglich.
Ökologischer und wirtschaftlicher Nutzen
Die hohe Investition für den Aufbau der Wärmetauscheranlagen ist in Zeiten hoher Preise für fossile Energieträger und ins Wanken geratener Sicherheit der Energieversorgung inzwischen vor allem für größere Bauprojekte in Ufernähe ökonomisch interessant. Die Energiepreise für Seewasser-Energie sind stabil und vom Weltmarkt unabhängig, die Bodenseeregion kann damit durchaus energetische Selbstständigkeit erreichen. Kommunen, größere Unternehmen und Institutionen am See sind prädestiniert, den energiereichen Schatz aus dem Bodensee zu bergen und Nutzer solcher Anlagen zu bündeln. Aktuell gibt es rund um den Bodensee einiges an Aktivitäten – über die Diskussion um das „Ob“ sind viele Städte und Kommunen schon hinaus, nun geht es vielfach um die Machbarkeit und die Umsetzung solcher Projekte. Die eingangs gestellte Frage dürfte damit deutlich mit Ja beantwortet sein.
www.lubw.baden-wuerttemberg.de
www.stadtwerke-konstanz.de
www.arbon.ch
www.igkb.com
www.bregenz.at
www.meersburg.de
www.eawag.ch
www.ewz.ch
Die komplette Studie des Kantons Thurgau: Kanton Thurgau (tg.ch)
Text und Fotos: Susi Donner
Beitragsbild: Weitblick: Blick vom Gebhardsberg auf Bregenz. Die Stadt plant aktuell die Seewassernutzung für die Wärme- und Kälteversorgung. | (c) Susi Donner