Er war seiner Zeit voraus. Bereits in den 1980er-Jahren hatte Prof. Dr. Christian Schaffrin seine Studierenden aufgefordert, sich aktiv mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen – und über die Fridays for Future-Bewegung sagt er freudig: „Auf die habe ich nur gewartet!“ Jetzt ist das unter seiner Regie entwickelte, erste ingenieursmäßig projektierte Solarboot der Welt von Konstanz nach Berlin ins Deutsche Technikmuseum umgezogen. Mit ihm hat er Geschichte geschrieben. Ein Rückblick.
„Ich habe umfangreiche Vorlesungen entwickelt zum Thema Nachhaltigkeit mit dem Schwerpunkt Energieversorgung. Meiner Meinung nach muss jeder Studierende mit diesem Problem vertraut werden“, so der emeritierte HTWG-Professor Dr. Christian Schaffrin. Wie können Heizungen umgestellt werden? Wie die Mobilität? Wie können wir die Energiewende schaffen? Sein Appell an seine Studierenden: „Es ist an euch, die Zukunft zu gestalten!“ Doch das, was so brandaktuell klingt, ist über 20 Jahre her. Den heute 76-Jährigen hat das Thema erneuerbare Energien schon immer beschäftigt: „In der Nachkriegszeit aufgewachsen, mussten wir früh lernen, mit dem Wenigen, was vorhanden war, auszukommen. Dann kam die Zeit, in der es uns immer besser ging. Aber auch immer schneller, immer größer, immer besser …“ Mit dem Buch Die Grenzen des Wachstums, einer Studie zur Zukunft der Weltwirtschaft, drang es 1972 langsam ins Bewusstsein der Menschen, dass etwas getan werden musste. „Und auch mir wurde klar, dass man etwas tun muss“, sagt Schaffrin. So kam schon früh seine Idee, aus dem, was man kostenfrei ernten darf, etwas zu machen. Und auch Sonnenenergie lässt sich ernten …
Initialzündung Tour de Sol
Als 1983 der Ruf nach Konstanz als Professor für elektrische Messtechnik an die damalige Fachhochschule – heute Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) – kam, hat er dort seine Vorlesung zum Thema Nachhaltigkeit etabliert. Bis zu 100 Hörer und Hörerinnen folgten ihm. „Ich habe gefragt: wo gibt es Ansätze? Ein Ingenieur braucht Utopien, um entwickeln zu können … Ich habe versucht, die Studierenden zu bewegen.“ Das war ihm schließlich auch gelungen. In den 1980er-Jahren war gleichzeitig ein wahrer Hype um solarbetriebene Autos entstanden. 1985 wurde in der Schweiz mit der Tour de Sol gar das weltweit erste Rennen für Solarfahrzeuge ausgetragen. „Die zweite Tour de Sol 1986 führte von Freiburg im Breisgau nach Suhr im Kanton Aargau“, erinnert sich Schaffrin. Gewonnen hatte die Ingenieurschule Biel. „Nach einer meiner Vorlesungen nach der Tour kamen vier meiner Studenten, mit denen ich sogar heute noch Kontakt habe, auf mich zu und meinten: ‚Das, was die Bieler können, können wir auch!‘ – und so starteten wir unser Projekt.“ Inspiriert durch den Seerhein, der direkt an den Gebäuden der HTWG vorbeifließt, kam Schaffrin auf die Idee, das Thema Solarantrieb an einem Boot weiterzuentwickeln. Das war neu und wurde schließlich zum Forschungsschwerpunkt.
Das Ganze muss als System optimal sein, nicht nur einzelne Komponenten.
Nachhaltige Energieversorgung
Das Boot wurde auf den Namen Korona getauft. Korona bezeichnet die Zone der Sonne, von der die Strahlung aus und in den Weltraum abgeht, zudem enthält Korona die Buchstaben KN, die auch bei Schiffen das Kürzel für den Herkunftsort Konstanz sind. Alles für das Boot wurde speziell entwickelt, da es quasi nichts am Markt gab: angefangen vom Bau am Chiemsee bei einem auf E-Boote spezialisierten Bootsbauer bis hin zu den sonderangefertigten Solarpanelen bei Telefunken. Nach zwei Jahren Entwicklungszeit war die Korona startklar und wurde 1989 auf dem Welt-Solarkongress in Japan vorgestellt. Über 40 Studien- und Diplomarbeiten folgten zur Korona im Laufe der Jahre unter Professor Schaffrin. Bereits zu Beginn begann das Team zudem eine Software zu entwickeln, um Simulationen im Modell durchzuspielen. Die Software wurde in den nächsten fast 15 Jahren weiterentwickelt zu einer Anwendung, die ganze Energieversorgungsanlagen simulieren kann. Elektrische und Wärmeversorgung gekoppelt in einem System. „Das ist heute interessant, aber vor 20 Jahren hat sich in der Wirtschaft noch keiner dafür interessiert“, resümiert Schaffrin nachdenklich und schiebt lachend nach: „Wir waren einfach zu früh dran.“
Wenn der Grundstoff kostenlos ist, kann auch ein schlechter Wirkungsgrad akzeptiert werden.
Das Solarboot konnte aber so systemisch optimiert werden. Denn mit der Bootsentwicklung traten Fragen auf: Wie muss man das elektrische System auslegen? Wie groß muss die Batterie sein? Wie groß der Antriebsmotor? „Das Ganze muss als System optimal sein, nicht nur einzelne Komponenten. Das war unser Ziel. Mit dem Boot konnten wir auch die Idee der nachhaltigen Energieversorgung von Fahrzeugen anstoßen“, so Schaffrin. Da ein Boot keine Netzanbindung hat, muss ein weiterer Energieträger an Bord sein, zum Beispiel in Form eines wasserstoffbasierten Speichers, für den Fall, dass die Solarenergie nicht ausreicht. „So hat man einen ganzen Strauß an Optionen für die zukünftige Energiewende“, erklärt der Forscher.
2007 hat die Korona an der HTWG Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik unter der Leitung von Christian Schaffrin und Richard Leiner Zuwachs bekommen: das Forschungsschiff Solgenia, das als weiteren Energiespeicher an Bord Wasserstoff hatte, inzwischen allerdings umgebaut wurde auf Methanol. „Das ist die Technologie, die sich in nächster Zeit im Mobilitätsbereich etablieren wird, da sie einfacher handhabbar ist als Wasserstoff“, so Schaffrin. Das Forschungsprojekt wird unter anderem gefördert durch das Umweltministerium des Landes Baden-Württemberg und das Bundesverkehrsministerium.
Sonne ernten
Dennoch sind nachhaltige Systeme aufgrund ihres schlechten Wirkungsgrades häufig in der Kritik. „Ich sage aber, wenn man so viele Vorteile und Optionen bekommt, dann darf man auch mit Energie bezahlen – und diese kostet uns in Zukunft ja gar nichts, wenn wir die Sonne nutzen! Wir müssen nur die ‚Erntemaschinen‘ finanzieren“, so Schaffrin. Wenn der Grundstoff kostenlos sei, könne man auch einen schlechten Wirkungsgrad akzeptieren.
Ein Strauß an Optionen für die zukünftige Energiewende.
Neben all den zukunftsweisenden Forschungen, wurde übrigens auch die initiale Herausforderung gemeistert: Die Korona konnte bis auf eines alle Rennen gewinnen, bei denen sie von 1988 an am Start war. Den Professor freut das noch immer: „Es hat gezeigt, dass unser System funktioniert. Die Aufgabe war ja, die über die Rennzeit geerntete Sonnenenergie effizient zu nutzen.“ Die Siegerpokale stehen bis heute in einer Vitrine an der Hochschule – und das Boot selbst ist im November 2021 an das renommierte Deutsche Technikmuseum in Berlin verlegt worden und findet dort seinen würdigen Altersruhesitz.
Christian Schaffrin
Der Ingenieurswissenschaftler wurde 1944 geboren. In den Wirren der Nachkriegszeit wechselte er mit seiner Familie mehrmals den Standort und kam so durch ganz Deutschland. 1963 bis 1965 startete er mit dem Studium der Elektrotechnik an der RWTH Aachen, später folgten Mathematik und Physik an der University of Southampton und schließlich Nachrichtentechnik an der TH Karlsruhe, wo er 1975 promoviert wurde. 1983 kam der Ruf nach Konstanz als Professor für Elektrische Messtechnik an die damalige Fachhochschule – heute Hochschule Konstanz für Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG). Christian Schaffrin wurde 2009 emeritiert und lebt noch immer gerne in der größten Stadt am Bodensee.
Beitragsbild: Christian Schaffrin | Foto: HTWG