Fleischlos essen ist angesagt. Doch wie fast bei jedem Trend gibt es eine Gegenbewegung – hin zum bewussten und nachhaltigen Fleischkonsum. Jürgen David in Worms gilt seit Jahren als Vorreiter in Deutschland. Und Michael Vogt in Staad bei Rorschach dürfte der erste „New Age“- Metzger der Schweiz sein, der mit eigenen Rindern und alten Kühen einen ganz neuen Fleischgenuss propagiert.
Von Peter Hummel
Der Trend zu fleischloser Ernährung mag die Metzger natürlich kaum freuen, da sich diese Entwicklung langsam auf ihren Umsatz auswirkt – auch wenn sich der Anteil der Vegetarier noch im einstelligen Prozent-, der Anteil von Veganern gar im Promillebereich bewegt. Dass die konventionelle Fleischproduktion hinterfragt wird, das finden aber engagierte Metzger selber gut: „Von dieser Diskussion kann ja unsere Branche nur profitieren, da dies auch ein zunehmendes Bewusstsein für Qualitätsfleisch fördert“, erklärt Michael Vogt von der Hinterhofmetzgerei in Staad.
Und diese Metzg liegt ja wirklich im Trend – alles ganz stylish und authentisch zugleich: Eisenträger der vormaligen Metzgerei mit großen Haken quer durch die Räume, alte hellbeige Fliesen und zwei Räucheröfen als stimmige Relikte; eine Wand mit dekorativ drapierten Ohrmarken der geschlachteten Tiere, der imposante Dry-Age-Kühlraum und eine überlange Tavolata-Tafel als Blickfänge der neuen Hinterhof-Ära. Und ganz trendig natürlich der Chef selbst: Nichts vom üblich-adretten Metzger-Zwirn: Mit urigem Karohemd, Lederschürze plus Vollbart und Baseballcap wirkt Michael Vogt wie der Fleischhauer von altem Schrot – was er mitnichten ist. Er war nämlich über 20 Jahre als Drucker in seinem Unternehmen Extremprint tätig. Aber alle Achtung: Der Quereinsteiger betreibt seinen neuen Job seit 2019 ausgesprochen professionell und konsequenter als die allermeisten seiner Kollegen hierzulande. Und von geschicktem Marketing hat er sowieso viel mehr Ahnung.

Ob Gruber Rind oder alte Kuh – Hauptsache Spitzenqualität
Für die Fleischqualität, wie Vogt sie sucht, muss alles stimmen. Drum hält er im Hof Ruchweid auf der Seeseite der Gemeinde Grub seine eigenen Tiere, stets ein gutes Dutzend, damit er etwa eins pro Monat schlachten kann. Es sind ausgewählte Rassen, nämlich Angus-, Hereford-, Limousin- und Wagyu-Rinder, und sie fressen genau das, was eine Kuh fressen sollte, nämlich Gras, Kräuter und Heu – und kein Getreide: „Das kann man beim Fleischgenuss sehr wohl schmecken“, so Vogt. Seit die Hoftötung in der Schweiz vor gut zwei Jahren erlaubt wurde, setzt er nur noch auf diese Methode, weil die Betäubung in gewohnter Umgebung für das Tier am wenigsten Stress bedeutet und dazu die beste Voraussetzung für höchste Fleischqualität schafft. Im nahen Schlachthof Wolfhalden wird das Tier geviertelt und dann zur Lagerung in die Metzgerei gebracht. Um der zunehmenden Nachfrage gerecht zu werden, hat er inzwischen in Appenzell Innerrhoden noch zwei Bauern gefunden, die ihm Fleisch aus ebensolcher Tierhaltung liefern können. Neben dem Fleisch dieser regionalen Rinder bietet der neue Metzger noch eine zweite Exklusivität an: alte Kühe. Alte Kühe? Genau: Inspiriert haben ihn die Spanier mit ihren alten Tieren, genauer die Basken mit dem Txogitxu-Fleisch, das unter internationalen Fleischgourmets als kaum zu übertreffende Delikatesse gilt. Im Gegensatz zu renommierten Steakhäusern, die das Kuhfleisch aus Spanien einführen, will Vogt mit seiner Nachhaltigkeits-Philosophie auch diese Spezialität nur in der Schweiz beziehen.
Traditionelles Knowhow – unkonventionelle Mission
Rinder- und Kuhrücken, die Filetstücke, erfahren in der Hinterhofmetzgerei eine Trockenreifung. Bei diesem Dry Aging hängen die Teile während 35 bis 90 Tagen am Knochen in der Reifekammer bei einer konstanten Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Mit der Zeit verlieren sie an Gewicht, gewinnen aber an Geschmack. Durch das Dry Aging wird das Fleisch nicht nur fester als das herkömmliche, in der Plastikverpackung gereifte, es entwickelt dadurch auch feinere, nussige Aromen.
Die restlichen Stücke durchlaufen 28 Tage lang ein Aqua-Aging: Am Tag nach der Schlachtung wird das Fleisch ausgelöst und in Reifeboxen gelegt, wo es im eigenen Saft reift. Und das genau ist dann die nächste Spezialität von Michael Vogt: Er zerlegt nämlich Rinder- und Kuhviertel nach amerikanischem Vorbild in Special Cuts, was im Filet- und Wurstland Schweiz die wenigsten Metzger kennen und können. In den USA, wo alles vergrillt wird, sind etwa drei Dutzend solcher Zuschnitte bekannt, Vogt bietet gut zwei Dutzend an, vom Flatironsteak über das Inside Skirt bis zum Merlotsteak (von vorn nach hinten). Aus Partien, deren Fleisch andere Metzgereien zu Gulasch oder Hackfleisch verarbeiten, schneidet Vogt wunderschöne „Edelstücke“ heraus. Das erlaubt ihm, rund 50 Prozent des Schlachtkörpers als sogenannte Kurzbratstücke zu verwenden. Das ist für den nachhaltig denkenden Metzger die Umsetzung des angesagten Slogans From Nose to Tail, denn ein Schlachttier von 400 Kilogramm gebe nur etwa ein Prozent klassisches Filet her. Was auch bei ihm noch übrig bleibt, verarbeitet er zu exklusiven reinen Rindswürsten, Mostbröckli, Hamburgern oder Trüffelbüffel-Fleischkäse. Neben seiner handwerklichen Vision ist der Hinterhofmetzger auch noch von einer Mission beseelt: „Ich will beweisen, dass die Schweiz mit ihren Steaks international mindestens mithalten, wenn nicht an die Spitze gelangen kann.“

Von schrägen Blicken zum Ritterschlag
Ein erstaunlicher Anspruch und auch ein verblüffendes Knowhow – denn das Zuschneiden von Papier und das von Fleisch sind doch ziemlich unterschiedliche Fakultäten. Der Quereinsteiger macht auch keinen Hehl daraus, dass er nicht ausgebildeter Metzger ist; immerhin hat er sich sein Handwerk leidlich gut angeeignet: „Die wiederkehrenden Haltungs- und Schlachtskandale haben mir irgendwann die Lust auf Fleisch ziemlich verdorben“, sagt der Staader. Weshalb er sich entschied, sich der Fleischverarbeitung zu widmen, vorerst als Hobby. „Mein Wissen habe ich mir zuerst aus Büchern geholt, und dann bei meiner Ausbildung zum Fleischsommelier.“ Für die praktische Erfahrung habe er zwei Jahre lang einmal pro Woche in der Metzgerei eines Freundes gearbeitet, um das Zuschneiden zu erlernen. Natürlich ernte er als Selfmademan in der Fleischbranche immer wieder mal schräge Blicke, berichtet Vogt weiter. Der Ruf des Staader Premiumfleischs ist mittlerweile aber in der gehobenen Gastronomie von der Ostschweiz (Silvio Germanns Mammertsberg und Sven Wassmers Memories in Bad Ragaz) bis nach Bern und ins Tessin gelangt. §Diese Aufträge sind für mich der Ritterschlag“, sagt Vogt. Aber auch bei der Privatkundschaft hat er sich einen Namen gemacht. Jeweils am Samstagvormittag, wenn die Hinterhofmetzg geöffnet ist, steht Kundschaft aus der ganzen Deutschschweiz und weit über den Bodenseeraum hinaus Schlange. Sie ist gerne bereit, für Special Cuts Preise zu zahlen wie anderswo für Filet (94 Franken). Dry Aged Filetstücke gehen sogar für 120 Franken über die Theke. Dafür werden noch Tipps für den perfekten Genuss zu Hause franko mitgeliefert. Wer sich aber fachmännisch in die höhere Liga des akkuraten Fleischgenusses einweihen lassen will, der bucht am besten mit einer Freundesrunde (8 bis 18 Personen) eine Tavolata. In mehreren Fleischgängen leitet der Fleischsommelier seine Gäste unter anderem dazu an, das Fleisch ausgiebig zu kauen und nicht einfach zu verschlingen. Seit der kürzlichen Auszeichnung mit dem „Best of Swiss Gastro“ – Award 2022 für das beste Casual Dining und als Master-Gewinner (Sieger aller Kategorien) haben sich die Wartezeiten zwar noch verlängert, doch auf telefonische Anfrage können Einzelpersonen gelegentlich Restplätze belegen.
Alte Kuh wird salonfähig
Kuhfleisch, das ist für den Durchschnittsschweizer besten- (oder schlimmstenfalls) die Erinnerung an zähes „Militäressen“. Doch richtig gereift sind die Edelstücke von einer Kuh alles andere als zäh. „Kuhfleisch hat immer einen gewissen Biss, eine andere Textur, als man das in unserer Gegend gewohnt ist. Und vor allem viel mehr Geschmack – für mich das wichtigste Qualitätsmerkmal bei Fleisch“, erklärt Michael Vogt. Je älter ein Tier, desto intensiver sei das Fleischaroma dank des zunehmenden intramuskulären Fettgehalts. In der Regel handele es sich hier um mindestens fünfjährige Tiere, die als Milch- oder Zuchtkühe gedient hatten. Der Hinterhofmetzger ist sich allerdings darüber bewusst, dass der Begriff Alte Kuh die meisten Konsumenten immer noch vor den Kopf stößt, weshalb man sie noch kaum auf den Speisekarten antrifft. „Mutige Gastronomen können sich mit dieser Delikatesse aber profilieren, wenn sie sich Zeit nehmen, den Gast genügend aufklären.“