Jedes Baudenkmal, jede alte Mauer kann Geschichten erzählen, wenn man genau hinschaut – oder wenn sie erklärt werden, wie bei den Veranstaltungen des Europäischen Denkmaltags. Die Zeiten hinterlassen aber auch Spuren an den Gebäuden, und viele Spuren findet man nur unter der Erde, wo dann die Archäologen tätig werden.

Ungelöste Fälle
Der „Tag des offenen Denkmals“ am 11. September hat dieses Jahr in Deutschland ein ganz spannendes Thema: „KulturSpur. Ein Fall für den Denkmalschutz“. Die Spurensuche wird also kriminalistisch verstanden, sie wird sogar mit der Forensik verglichen, also der wissenschaftlichen Kriminalistik.

Ein besonders offensichtlicher und auch für Laien nachvollziehbarer Aspekt der Spurensuche ist die Frage, woher die Steine und Hölzer denn kommen, mit denen die großen historischen Bauten erstellt wurden – und wie sie transportiert wurden. Das ist gerade am Bodensee besonders interessant, um die Zusammenhänge zwischen Baugeschichte und Verkehrsgeschichte zu verstehen.

Lange Zeit kurze Wege                  
In der Baugeschichte galten jahrtausendelang Prinzipien, die heute wieder sehr aktuell sind: Sparsamkeit beim Materialverbrauch, kurze Transportwege, Materialrecycling. Es konnten sich nur die reichsten Bauherren leisten, gegen diese Prinzipien zu verstoßen – Könige und Fürsten, Bischöfe und Äbte. Bei reinen Zweckbauten wie Stadtmauern wurde das Baumaterial genommen, das vor Ort leicht verfügbar war: Flusssteine, grobe Steine aus den Drumlins, Steine von abgebrochenen Häusern und anderes Material. In Ravensburg zeigt die Stadtmauer ein entsprechend buntscheckiges Bild, bei dem Geologiestudent*innen Bestimmungsübungen machen könnten.

Steine auf Reisen
Bei der Frage, woher der graue Sandstein des Konstanzer Münsters, des Überlinger Münsters und anderer mittelalterlicher Bauten kommt, ist es noch einfach, denn die Herkunftsangabe steckt schon im Namen des Materials: Der Rorschacher Sandstein kommt von einem Berg hinter Rorschach (von Konstanz aus gesehen), wo die Appenzeller Berge dem See am nächsten kommen. Ein Steinbruch in der Nähe der historischen Abbaustellen ist heute noch in Betrieb. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde der Rorschacher Sandstein – wie andere Güter auch – mit Lädinen auf dem See transportiert. Nach Konstanz ging es einfach am Ufer entlang, nach Überlingen war es schon schwieriger und gefährlicher, quer oder schräg über den See.

Beim westlichen Teil des Reichenauer Münsters ist abwechselnd grauer und roter Sandstein verwendet worden – wie bei der Westfassade des Doms von Speyer. Woher kommt der hier farblich aus dem Rahmen fallende rote Sandstein? Die nächsten möglichen Steinbrüche sind im Südschwarzwald, und es muss bei den damaligen Verhältnissen sehr aufwendig und entsprechend teuer gewesen sein, die Steine mit Ochsenkarren an den Untersee zu bringen – richtige Landstraßen gab es erst im 18. Jahrhundert.

Die mittelalterliche Alte Kirche in Romanshorn ist noch aus Seesteinen (große Kiesel) gebaut, die große, von Weitem sichtbare neoby­zantinische katholische Kirche (1913) ist aus gelbem Jurakalk. Auch bei diesem ist die Herkunft bekannt: Der Jurakalk wird im mittleren Jura (Biel – Neuchâtel, ca. 200 km entfernt) abgebaut, er konnte deshalb erst hier verwendet werden, als die Eisenbahn solche Steine in größeren Mengen transportieren konnte.

Freizeit-Denkmäler
Auf Schweizer Seite hat der Denkmal-Tag 2022 das Motto „Freizeit“ und geht über das ganze Wochenende, mit einem sehr vielseitigen Programm. Dazu gehört z.B. im Thurgau auch eine Führung durch das Arboner Strandbad von 1932, mit Eva Büchi, der Autorin der schönen Bäder-Kulturgeschichte „Als die Moral baden ging“ über die Zeit von 1850 bis 1950.

In Österreich ist der Tag des Denkmals erst am 25. September, in diesem Jahr unter dem Motto „Denkmal voraus: Denkmalschutz = Klimaschutz“. Geöffnet sind dann 40 Baudenkmäler in ganz Vorarlberg, darunter die Talstation der Pfänderbahn in Bregenz und das Jüdische Museum in Hohenems. Das Programm gibt es auf der Website, Infos auch über die App (Bundesdenkmalamt – Tag des Denkmals: appwebit.at).

Europäischer Denkmaltag (European Heritage Day)
Tag des offenen Denkmals, www.tag-des-offenen-denkmals.de
Nationale Informationsstelle zum Kulturerbe, www.nike-kulturerbe.ch  
Tag des Denkmals, www.tagdesdenkmals.at          
Rorschacher Sandstein, www.baerlocher-natursteine.ch (Thal-Staad)

Text: Patrick Brauns
Beitragsbild: Reichenauer Münster, linkes Seitenschiff mit grauem und rotem Sandstein | © Patrick Brauns