Rund 800 Werke umfasst die Sammlung von Jupp und Marielle Eisele aus Ravensburg. Das Ehepaar hat seine Bestände Ende 2023 der Stadt Ravensburg geschenkt.

VON ANTJE MERK

30 Jahre lang hat er sich ehrenamtlich in Ravensburg engagiert, 30 Jahre lang in seiner Freizeit unermüdlich mit der Kunst der Gegenwart beschäftigt. Gemeint ist Jupp Eisele, der von 1966 bis 1996 die Städtische Galerie Altes Theater geleitet hat – neben seiner Tätigkeit als Konrektor und später Rektor des Albert-Einstein-Gymnasiums (AEG). Stets unterstützt wurde Eisele von seiner Frau Marielle. Schon früh haben die beiden begonnen, Kunst zu sammeln. Anfangs vor allem Grafik, „weil die eben günstig war“, sagt Marielle Eisele. Später kamen dann auch peu à peu Gemälde und Skulpturen dazu. Von fast allen Ausstellungen in der Städtischen Galerie haben sie über die Jahre hinweg Kunstwerke angekauft: von Joseph Beuys, Jürgen Brodwolf, Rupprecht Geiger, Sigmar Polke, A.R. Penck und, und, und. Jupp Eisele ist inzwischen 88 Jahre alt, seine Frau 81. Schon länger beschäftigt sie die Frage: Wohin mit der Sammlung nach unserem Ableben? Der gemeinsame Sohn hat kein Interesse daran. Nach reiflicher Überlegung kam das Ehepaar Eisele nun zu dem Entschluss, ihre Kunstkollektion mit rund 800 Exponaten der Stadt Ravensburg zu schenken.

Dokument der Zeitgeschichte
„Wir waren freudig überrascht“, sagt Kulturamtsleiterin Verena Müller bei der offiziellen Übergabe der Schenkung im Haus des Ehepaars. So ein umfassendes Konvolut werde der Stadt nicht alle Tage angeboten. „Das ist ein Riesenglücksfall, denn diese Kunstsammlung passt perfekt zu unseren Beständen.“ Schließlich hat auch die Stadt anlässlich der Ausstellungen immer wieder Kunst angekauft. Darüber hinaus sei die Sammlung Eisele ein wichtiges Dokument der Zeitgeschichte zum Ravensburger Kulturgeschehen.
So werden neben den kleinen und großen Werken aus der Kollektion Eisele auch sämtliche Aufzeichnungen, Fotos sowie Briefwechsel mit den Künstler*innen aus jener Zeit übergeben. Letztere wandern allesamt ins Stadtarchiv. Die Sammlung selbst ist jetzt erst einmal zu Dokumentationszwecken im städtischen Depot. Was dann damit passiert, ist noch offen. Ein Teil wird wohl – wie viele Kunstwerke aus den Beständen der Stadt – in den Verwaltungsgebäuden aufgehängt. Zeitgenössische Kunst gab es früher in Ravensburg, wenn überhaupt, nur in der Galerie Döbele zu sehen. Erst dank Jupp Eiseles Einsatz hat sich das geändert. Bei seiner ersten eigenen Ausstellung im Jahr 1966 stellte er Werke von Horst Antes und Wilhelm Loth vor. Heute sind das zwei Klassiker, damals gab es gleich einen Skandal. „Ein städtischer Arbeiter hatte angemerkt, dass auf einem Antes-Gemälde etwas aus dem Hosenladen hing“, erinnert sich Jupp Eisele. Oberbürgermeister Albert Sauer bekam davon Wind und schlug vor, die Schau besser gar nicht zu eröffnen. „Um die Wogen zu glätten, habe ich besagtes Bild dann einfach gegen ein anderes ausgetauscht“, so Eisele. Zur Vernissage kamen wider Erwarten viele Gäste – vor allem aus der Schweiz und Frankreich. Antes hatte zahlreiche Sammler in diesen Ländern. Zudem war er im selben Jahr gemeinsam mit zwei Kollegen für die Gestaltung des Deutschen Pavillons auf der Biennale in Venedig ausgezeichnet worden.

Ausstellungen auf „höchstem Niveau“
Von Horst Antes befinden sich einige Arbeiten in der Sammlung Eisele, darunter auch eine besonders schöne Kopfplastik. „So etwas konnten wir uns damals aber nicht leisten, diese Werke kamen erst später in unsere Sammlung“, erklärt Marielle Eisele. Baselitz dagegen, der ebenfalls im Alten Theater ausgestellt hat, ist der einzige Künstler, der nur mit einer kleinen Druckgrafik vertreten ist. „Die Bilder, die 1974 gezeigt wurden, waren schlichtweg zu groß für unsere Räume daheim – und zu teuer.“ Bei rund 800 Exponaten spielt das jedoch eine untergeordnete Rolle. „Im Grunde haben wir häufig über unsere finanziellen Verhältnisse gekauft“, sagt Marielle Eisele. Während ihr Mann immer gleich Feuer und Flamme gewesen sei, war sie diejenige, die Zweifel äußerte. In den ersten Jahren hat Jupp Eisele sechs Ausstellungen im Alten Theater pro Jahr auf die Beine gestellt – gezeigt wurde immer zeitgenössische Kunst von „höchstem Niveau“, wie er betont. Einige der Künstler hatten, wie der ehemalige AEG-Rektor selbst, an der Akademie in Karlsruhe studiert. Aus Zeitgründen wurde schließlich das Programm auf vier Präsentationen pro Jahr beschränkt. Die Mischung war immer die gleiche: ein arrivierter Künstler plus drei eher unbekannte. Zu den Letzteren gehörte auch der Bildhauer Robert Schad, der einst Eiseles Schüler war und später international Karriere gemacht hat. Während die Sonntagsführungen, die Jupp Eisele regelmäßig anbot, fast immer ausgebucht waren, sah es bei den Vernissagen öfter mal anders aus. „Bei Penck kamen in den Siebzigern nur sieben Leute“, erinnert sich Marielle Eisele. Viele Jahre später gab es in den Räumen des heutigen Bauernmarkts eine weitere Ausstellung, bei der Penck mit seiner Band auftrat. „Da waren es plötzlich 400 Gäste. Das war die Sensation schlechthin!“ Um stets auf dem Laufenden zu sein, sind die Eiseles regelmäßig unterwegs gewesen: zu Kunstmessen und Ausstellungen, zur Biennale in Venedig, zur documenta in Kassel, zu Atelierbesuchen. Lange Zeit hat die Stadt Ravensburg nur die Anfahrtskosten übernommen. Die Übernachtungen mussten sie selbst bezahlen. Bis Mitte der 1970er-Jahre haben die Künstler*innen sogar bei ihnen im Haus übernachtet. „HA Schult hat klaglos im Esszimmer auf der Luftmatratze geschlafen“, erzählt Marielle Eisele und lacht. Mit der Zeit haben sich daraus dann Freundschaften entwickelt, wie etwa mit Wolfgang Glöckler, Artur Stoll, Fritz Schwegler oder Robert Schad.

Weg fürs Kunstmuseum Ravensburg bereitet
Jupp Eiseles letzte Ausstellung war Monika Brandmeier mit ihren klaren und reduzierten Skulpturen gewidmet. Während andernorts in ländlichen Gegenden solche Werke noch auf Unverständnis stießen, war man in Ravensburg längst offen für Neues. Anschließend wurde die Städtische Galerie von den Kulturamtsleitern betreut, allen voran Thomas Knubben. Im Rückblick kann man sagen, dass das Kunstmuseum Ravensburg ohne die Vorarbeit von Jupp Eisele so nicht denkbar gewesen wäre. „Er hat das Verständnis für die Kunst in der Stadt geweckt“, sagt Marielle Eisele. „Und das alles mit ehrenamtlichem Engagement“, ergänzt Verena Müller. Das Ehepaar Eisele sammelt übrigens nach wie vor Kunst. „Wenn uns etwas begeistert, dann kaufen wir das“, meint Jupp Eisele. Der letzte Ankauf war ein Bild von Paco Knöller anlässlich seiner Ausstellung diesen Sommer im Kunstmuseum Liechtenstein in Vaduz. Auch Knöller, der aus Obermarchtal stammt, hat bereits 1978 in der Städtischen Galerie Arbeiten präsentiert. Zu einem Zeitpunkt, als er noch jung und unbekannt war.

Foto: Rund 800 Werke umfasst die umfangreiche Sammlung des Ehepaars Eisele: (v.l.n.r.): Mariella Eisele, Rechtsanwältin Dr. Bettina Gretter, Kulturamtsleiterin Verena Müller, Jupp Eisele © Wynrich Zlomke