Anders als im Obstbau sehen die Weinerzeuger am Bodensee noch keine direkte Bedrohung durch Hitzesommer wie 2022. Im Gegenteil: Viele Winzer nutzen die Chancen, die ihnen die Klimaerwärmung bietet – beispielsweise für neue Weinsorten.

von Heide-Ilka Weber

Die Traubenernte des Jahres 2022 blubbert längst im Stahltank. Die meisten Seewinzer sind sehr zufrieden mit dem Ertrag und der Qualität der Trauben. Der rekordverdächtige Hitzesommer hat dem Bodenseewein nicht geschadet. Trotz Hitze und Trockenheit wird ein guter bis sehr guter Weinjahrgang erwartet. Die allgemeine Klimaerwärmung bereitet den Winzern am Bodensee also (noch) wenig Probleme. Im Gegenteil – sie kommt ihnen und den Weinen sogar entgegen. Nicht nur die Qualität profitiert davon; das warme Wetter unterstützt auch Weinsorten, die sonst eher in mediterranen Gefilden gedeihen. Das fördert die Vielfalt.  

Was die Winzer allerdings fürchten, sind die Begleiterscheinungen des Klimawandels: zunehmende Wetterkapriolen wie Spätfröste, die die Rebenblüte vernichten können, und Extremwetterlagen wie Starkregen und Hagel. Aber auch extrem nasse Sommer wie in 2021, wo der dadurch ausgelöste starke Pilzbefall der Trauben vor allem bei Biowinzern auf beiden Seiten des Sees beinahe zum Totalausfall geführt hatte, auch bei den Demeter-Weinen im Winzerverein Hagnau. Die starke Trockenheit, die mit dem diesjährigen Hitzesommer einherging, bereitete den hiesigen Weinerzeugern hingegen weniger Kopfschmerzen. Die Bodensee-Weinregion profitiert von der Nähe zum See und den Alpen, wo sich doch das eine oder andere Regenwölkchen bis zu den Weinbergen ausbreitet. Überdies wurzeln Reben mit zunehmendem Alter bis zu 15 Meter tief. Und gegen Sonnenbrandschäden bei den dafür besonders anfälligen Traubensorten wie Riesling und Bacchus gibt es vorbeugende Schutzmaßnahmen.

Andererseits unterstützt die allgemeine Klimaerwärmung die Experimentierfreude der hochmotivierten jüngeren Winzergeneration, die in den letzten Jahren die Regie in den Weinbergen und in den Kellern am See übernommen hat. Ihnen genügt es nicht, „nur“ die Qualität der Bodenseeklassiker – Müller-Thurgau, Weiß-, Grau- und Spätburgunder – immer weiter zu verbessern. Sie versuchen sich auch in Sorten, die man hier noch vor zehn Jahren kaum erwartet hätte. So finden sich in vielen Weinregalen der Winzer heute ganz selbstverständlich Chardonnay und Sauvignon Blanc mit Herkunft Bodensee, neuerdings auch Riesling, Scheurebe, Kerner, Gutedel (Chasselas), Muskateller und die weniger bekannte Burgundersorte Auxerrois. Der Winzerverein Meersburg hat sogar den alten Ruländer wieder aufleben lassen. Bei den Rotweinen reifen neuerdings auch Zweigelt, Blaufränkisch, Regent und Cabernet Dorsa auf den Weinbergen der Seeregion, im föhnigen St. Galler Rheintal sogar Syrah und Malbec.

Pilzwiderstandsfähige Neuzüchtungen wie Johanniter, Cabernet Blanc, Solaris, Muscaris sind mittlerweile nicht nur in Biobetrieben populär: Auch konventionelle Kellereien experimentieren in den letzten Jahren vereinzelt mit Piwis; der Winzerverein Reichenau verbucht gute Erfolge mit seinem Souvignier Gris. Und das Staatsweingut vereint in diesem Jahr die beiden neuen Piwis Cabernet Blanc und Souvignier Gris in der Cuvée Annette. Fans von mediterranen Rotweinen werden sich gern anfreunden mit der vollmundigen Schweizer Piwi-Züchtung Cabernet Jura, die am deutschen Bodenseeufer allerdings noch selten ist.

Fazit: Weingenießer genießen inzwischen neben ausgezeichneten Weinqualitäten bei Müller-Thurgau, Spätburgunder & Co. eine durchaus vielfältige Weinauswahl am Bodensee. Der Klimaerwärmung sei (zumindest in dieser Hinsicht) Dank.