Als Verbraucher hat man es in Deutschland nicht leicht, gerade beim Thema Essen. Beispiel Fleisch: Da wird den Konsumenten von allen Seiten vorgeworfen, ihre Empörung über die industrialisierte Tierhaltung sei zwar groß, ihre Bereitschaft, für bessere Haltungsbedingungen tiefer in den Geldbeutel zu greifen, dagegen klein. Nur: Wie sieht man bei all den irreführenden Labels dem plastikverpackten Nackensteak oder Putenschnitzel an, welches Maß an Tierwohl drinsteckt?

Ein Mehr an Tierwohl kostet. Umfragen zufolge sind auch die meisten Fleischkäufer grundsätzlich bereit, für bessere Haltungsformen in den Ställen zu zahlen. Zwar schwant ihnen, dass dem Tier, dessen Fleisch für 3,95 Euro das Kilo beim Discounter angeboten wird, zeitlebens nicht sehr wohl gewesen sein kann. Aber sie wissen es nicht wirklich. (Zudem ist der Preis längst kein Indikator mehr, denn jahrelang wurde den Verbrauchern hierzulande beigebracht, dass Geiz „geil“ und es schlau sei, billig zu kaufen.) Zudem ist es natürlich das billige Fleisch, das am aggressivsten beworben wird.

Tierwohl im Label?

Da das von Julia Klöckner, der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft geplante Tierwohllabel auf sich warten ließ, hatte ein Großteil der Discounter 2019 in der BRD ein freiwilliges, einheitliches, vierstufiges System der Haltungskennzeichnung eingeführt. Das war ein erster Schritt, um mehr Transparenz beim Fleischeinkauf herzustellen, solange es keine gesetzlich verpflichtende Fleischkennzeichnung – ähnlich wie bei frischen Eiern – gibt. Das Label „Haltungsform“ soll dem Fleischkäufer die Entscheidung erleichtern. In vielen Supermärkten sind Fleischpackungen, die in Selbstbedienungstheken ausliegen, inzwischen damit gekennzeichnet. Detaillierte Angaben zu den Haltungsbedingungen finden sich allerdings nur auf der Website(s. Kasten). Das Label ist in vier Stufen eingeteilt. Stufe 1 ist am billigsten. Sie steht für ausschließliche Stallhaltung, entspricht lediglich den gesetzlichen Anforderungen und bietet den wenigsten Platz. In Stufe 2, der Stallhaltung plus, gibt es etwas mehr Raum. Noch mehr Raum und Frischluft-Kontakt haben die Tiere bei Stufe 3. Haltungsform 4 bietet den meisten Platz im Stall und einen Auslaufbereich. Auch Biofleisch wird in diese Stufe eingeordnet.

Dazu muss man wissen: Die niedrigste Stufe 1, die für konventionelle Stallhaltung steht, gestattet einem etwa 110 Kilo schweren Mastschwein ein Platzangebot von 0,75 Quadratmetern. Die Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte die gesamte Kennzeichnung als „Mogelpackung“: Sie gaukele Verbrauchern vor, sie könnten mit ihrem Einkauf die Zustände in den Ställen maßgeblich verbessern, dabei gehe es nur um formale Haltungsbedingungen. Das garantiere nicht, dass es den Tieren gut gehe.

Die große Lücke

Zudem lässt die Kennzeichnung des unverpackten Fleisches an den Bedientheken der Supermärkte stark zu wünschen übrig. Interessant ist hier eine Stichprobe der Umweltorganisation Greenpeace, die im Frühjahr 2021 bundesweit in 99 Filialen von Rewe, Edeka und Kaufland stattfand. Das Ergebnis: Nur in 22 der 99 getesteten Filialen waren an den Fleischtheken Informationen zur Haltungsform zu finden. Bei Kaufland war dies immerhin bei sechs von elf Filialen der Fall. Bei Edeka gab es nur in 9 von 44 Filialen Informationen, bei Rewe sogar nur bei 7 von 44. Unterm Strich zeigte sich, dass gerade die niedrigste Haltungsform am wenigsten ausgezeichnet wurde. Für Kunden, die Wert auf „gutes“ Fleisch legen, heißt das: Ohne Nachfrage geht es nicht. Und auch dann ist es noch längst nicht sicher, dass der Mensch hinter der Theke auch die Antwort weiß. Beim „Metzger seines Vertrauens“ kann einem das nicht passieren.

Verwirrung, überall

Nicht einfacher wird es den Verbrauchern in Vorarlberg und der Schweiz gemacht. Wer hier in einem Supermarkt Fleisch kauft und Wert auf Tierwohl legt, sollte findig sein. In Österreich ist die zwar Herkunftsangabe auf der Verpackung Pflicht, nicht aber die Haltungsform. Um Genaueres zu erfahren, muss man auf die Website des Produzenten gehen. Labels gibt es en masse, und auch, ob es sich bei dem angebotenen Stück Schwein um ein Alp- oder Strohschwein handelte, wird angegeben. Aber alles beruht auf Freiwilligkeit. Hofer, der Austro-Aldi, hat 2017 mit der Eigenmarke FairHOF immerhin ein Label geschaffen, das „österreichisches Fleisch aus artgerechter Haltung“ garantiert.

Wer nun meint, in der Schweiz mit ihren scharfen Tierschutzbestimmungen sei es besser, dem sei gesagt, dass auch hier fehlende Transparenz, Labeldschungel, auf Freiwilligkeit basierende Angaben Usus sind. Auch hier bleibt dem kritischen Konsumenten der Blick ins Netz nicht erspart: Webseiten wie www.beobachter.ch/ernahrung/fleisch-essen-welche-tierwohl-label-gut-sind klären darüber auf, was genau hinter den einzelnen Labels steckt.

Aldi prescht vor

In den deutschen Supermärkten ist das Angebot an Fleisch der höheren Stufen 3 und 4 bisher gering. Nur wenig mehr als zehn Prozent des gekennzeichneten Fleisches stamme aus diesen Haltungsformen, hatten die Verbraucherzentralen im vergangenen Jahr bei einem bundesweiten Marktcheck festgestellt. Es liegt also überwiegend Fleisch in den Kühlregalen, das gerade mal die gesetzlichen Mindeststandards erfüllt. Obwohl, wie eingangs erwähnt, die Konsumenten bereit sind, mehr Tierwohl zu honorieren.

Das staatliche Tierwohllabel wird jedenfalls in dieser Legislaturperiode nicht mehr kommen. Für die Schlachttiere ist das kein Grund zur Traurigkeit, denn das auf Freiwilligkeit beruhende Prestigeprojekt von Julia Klöckner wurde von einem Großteil der Betroffenen ohnehin als Farce eingestuft. Übrigens haben kürzlich die Discounter Aldi Nord und Aldi Süd zugesagt, bis 2025 vollständig auf Fleisch von Rind, Schwein, Hähnchen und Pute aus der Haltungsform 1 verzichten zu wollen. Ein Jahr später soll dann ein Drittel des Frischfleisch-Umsatzes aus den Stufen 3 und 4 kommen. Und ab 2030 will Aldi überhaupt kein Fleisch der beiden unteren Haltungsstufen mehr verkaufen. Schön, aber noch lange hin.

Die Entwicklungen bei Aldi Deutschland beobachte man aufmerksam, heißt es bei Aldi Suisse. Derzeit sei eine analoge Regelung allerdings nicht angedacht.

Zum Glück gibt’s den Metzger um die Ecke.

www.haltungsform.de