D – Konstanz | Studieren mal ganz ohne Geldsorgen – der Traum eines jeden Studenten. Für Marit Meinhold ging dieser nun in Erfüllung: sie durfte als Teilnehmerin von „Student in Residence“ ein Jahr lang in einer Luxus Senioren Wohnanlage wohnen. Am Ende des Projektes zieht sie nun eine überraschende Bilanz.
Mitten in der Konstanzer Altstadt, unmittelbar an der Marktstätte liegt die Tertianum Premium Residenz, ein Wohnsitz für vermögende Senioren. Ähnlich einer großen Wohngemeinschaft finden dort momentan knapp 100 Menschen ihr Zuhause, mit Vollverpflegung in edelstem Ambiente versteht sich. Dabei ist es völlig egal, ob man Geselligkeit bevorzugt oder eher Typ Einzelgänger ist. Gut vorstellbar, dass es gerade den kontaktfreudigen Bewohnern eine große Freude war, als Marit Meinhold im letzten Jahr eine der geräumigen Wohnungen bezog. Die 26-jährige Studentin hatte zuvor an einem ausgeschriebenen Bewerbungsverfahren teilgenommen: eine eigene, kostenlose Wohnung im Tertianum mit Vollverpflegung für 1 Jahr. Im Gegenzug muss sie mindestens 20 Stunden Zeit pro Monat gemeinsam mit den Residenzbewohnern verbringen. Letztendlich konnte Marit sich gegen die konkurrierenden Konstanzer Studenten durchsetzen und im September vergangenen Jahres einziehen. Es liegt wohl auf der Hand, dass gerade zu Beginn sehr viele Fragen bestanden. Sie selbst sagt, sie habe sich vor allem Sorgen gemacht, wie sie das ganze Jahr sinnvoll nutzen und füllen solle, ohne dass Langeweile für sie entsteht. Zudem war es eine Herausforderung, das Studium und die Zeit im Tertianum gut aufeinander abzustimmen. Ihr Ziel war es, die Zeit mit den Bewohnern effektiv zu nutzen und möglichst strukturiert an das Projekt heranzugehen. Im Vorfeld hatte sie sich deshalb einige gemeinsame Aktivitäten überlegt, etwa eine gemeinsame Bastelstunde oder sportliche Betätigung. Nachdem die ersten zwei Monate vergangen waren hatte sie die Meisten kennengelernt und fühlte sich wohl. Marit warf ihre vor Einzug geplanten Ideen vollkommen über Bord und ließ sich auf die regelmäßig intensiven Gespräche sehr gern ein. Es sei großartig, wie offen und begeisterungsfähig doch die Meisten wären, so Marit Meinhold.
Immer Up-to-Date
Besonders das Thema Digitalisierung kam im Austausch mit der älteren Generation immer wieder auf. Die Technikaffinität vieler Bewohner sei beeindruckend gewesen. Schnell musste sie feststellen, dass das tägliche Programm keineswegs monoton oder knapp bemessen ausfällt. „Man muss gucken, dass man einen Termin findet“, witzelt Marit und schmunzelt dabei die neben ihr sitzende Residenzbewohnerin Ursula Vorholzer an. Sie war im vergangenen Jahr etwa zeitgleich mit Marit eingezogen; schnell hatten die Beiden einen Draht zueinander entwickelt. Wenn Ursula Vorholzer nicht gerade mit dem neu angeschafften E-Bike unterwegs ist oder sich mit Freundinnen in der nächstgelegenen Weinstube trifft, verbringt sie sehr gern Zeit mit der Studentin. Auch sie ist sich sicher, dass der hier stattfindende Generationendialog für beide Seiten sehr aufschlussreich und inspirierend war.
Zeit für Veränderung
Verantwortlich für das gesamte Projekt ist Anna Schingen, Direktorin Marketing & PR der Tertianum Premium Residences. Ihr wichtigstes Ziel war es, auf den Wunsch nach Generationendialog in der Gesellschaft aufmerksam zu machen. Die Zahl der Pensionäre steigt rasant an, im Jahr 2030 wird es mehr über 60-Jährige als unter 30-Jährige geben. Die Dringlichkeit gerade diese Generation mehr in das gesellschaftliche Leben zu integrieren ist offenkundig. Deshalb ist das sogenannte Projekt „Student in Residence“ in Konstanz auch erst die Spitze des Eisberges. Weitere generationenübergreifende Projekte sind für die Zukunft geplant. Bereits seit Ende Oktober ist es möglich, sich über eine spezielle Website (www.tertianum.de/studentinresidence) für gemeinsame Dinner mit Senioren anzumelden. Diese werden planmäßig ab Dezember vierteljährlich stattfinden. Momentan beschränkt sich die Aktion zwar auf Studenten, allerdings sind weitere Zielgruppen für zukünftige Vorhaben nicht ausgeschlossen. Konstanz habe sich deshalb so gut angeboten, da die Wohnungsnot hier besonders hoch ist. Es sei vorstellbar den Generationenaustausch auch auf die anderen Tertianum-Standorte in München und Berlin zu erweitern. Kurzzeitige Aufenthalte wären weniger sinnvoll, da die Gewöhnungszeit schon 3-4 Monate beträgt und die gemeinsame Zeit deshalb vermutlich nur begrenzt vorhanden wäre. Zudem ist nicht zu vergessen, dass das Tertianum vor allem ein fester Wohnsitz vieler Menschen ist und ein ständig wechselnder Nachbar eventuell eine Belastung für die Senioren darstellen könnte. Nicht jeder Bewohner ist so aufgeschlossen wie Ursula Vorholzer und bereit, sich stetig von neuen Einflüssen bereichern zu lassen. Für die interne Kommunikation musste Marit Meinhold zunächst kreativ werden, da E-Mail-Verteiler oder WhatsApp-Gruppen keine Option darstellten.
Blick in die Zukunft
Nicht nur für die Ruheständler, auch für die Studentin selbst ist es in vielerlei Hinsicht ein gelungenes Pilotprojekt. Auf die Frage hin, was sie selbst sich unter Berücksichtigung des vergangenen Jahres für ihr Altsein wünschen würde fand sie schnell eine Antwort. Sie würde sich wünschen, eine ähnliche Einstellung wie viele der Bewohner zu haben, trotz Krankheit und hohen Alters den Lebenswillen und die Lebensfreude zu behalten. Der Optimismus habe ihr wirklich imponiert. Speziell die junge Generation sollte lernen ab und an zu entschleunigen. Genau dafür wäre der Generationenaustausch gut, sich mit Menschen höheren Alters auszutauschen, im Bewusstsein hieraus wirklich etwas zu lernen. In einem ist sich Marit sicher: sie würde dieses Experiment auf jeden Fall weiterempfehlen, insofern man bereit ist sich auch auf andere Ansichten einzulassen und respektvoll miteinander umzugehen. Auch die Senioren fiebern der weiteren Entwicklung des Projekts „Student in Residence“ entgegen. Anna Schingen zeigt sich sichtlich begeistert und ist gespannt auf das Feedback von Marit in ein oder zwei Jahren. In jedem Fall sind sich alle einig, dass Austausch und Kommunikation sehr bedeutungsvoll sind und auch in Zukunft immer wichtiger werden, ganz gleich ob man Anfang 20 oder Ende 70 ist.
Text: Patricia Taubert