Noch vor ein paar Jahren konnte kaum jemand etwas mit den Begriffen „Lost Place“, „Urbexing“ oder „Urban Exploration“ anfangen. Doch das Hobby um das Aufsuchen verlassener Orte wird immer beliebter. Auch in unserer Region.
Sie nennen sich selbst „Urbexer“ (die Kurzform für Urban Explorer) und gehen auf die Suche nach den letzten „weißen Flecken“ auf dem Planeten. Ob moderne Industrieruinen, Überreste militärischer Schauplätze, alte Kliniken oder verlassene Wohngebäude – die Möglichkeiten sind groß. Doch das Finden solcher „Lost Places“ erfordert oftmals viel Zeit und Netz-Recherchen. Doch Online-Kartendiensten, Enzyklopädien oder Zeitungsartikeln führen nicht immer zum gewünschten Ziel. Der Austausch mit Gleichgesinnten in Social-Media-Gruppen kann da schon hilfreicher sein, wobei nicht jeder die begehrten Koordinaten preisgibt. Zu groß ist die Angst, dass die geheimen Orte zu schnell zu populär werden oder sich Vandalismus ausbreitet. Der Großteil der Urbexer folgt zwar dem Grundsatz „Hinterlasse nichts außer Fußabdrücken, nimm nichts mit außer Eindrücken“, doch schwarze Schafe gibt es überall. Dennoch, im Vordergrund steht bei den meisten die Bewunderung des natürlichen Verfalls der vergessenen Objekte. Weltweit werden sie in Form von Fotoaufnahmen dokumentiert und bilden als Ruinen-Fotografie mittlerweile sogar ein eigenes Genre. Auch hier häufen sich die Fotospots. An manchen Orten muss man nur die Augen offen halten beim Durchstreifen der Gegend. An anderen Stellen ist das Auffinden schon deutlich schwieriger, so auch im Gebiet rund um den Bodensee. Der touristischer Hotspot mit einer Vielzahl an Sehenswürdigkeiten und kulturellen Einrichtungen, bietet lediglich eine überschaubare Anzahl an interessanten Lost Places. Viele Orte, die potenziell infrage kommen, wurden bereits abgerissen.
Zeugen des Kriegs
Auch wenn viele Lost Places so bereits verschwunden sind, finden sich immer noch Spuren aus vergangenen Zeiten am Bodensee und in Oberschwaben. Am nördlich Ufer stößt man auf die Überreste einer Heeresabnahmestelle aus dem 2. Weltkrieg, in der Triebwerke für die V2-Rakete getestet wurden. Diese beherbergte ein Sauerstoffwerk, diverse Prüfstände und ein eigenes Umspannwerk. Die Gebäude wurden nach Kriegsende durch französische Truppen gesprengt, Bombentrichter im Waldgebiet zeugen davon.
Intakt, aber verschlossen
Auf Schweizer Seite kann man ebenfalls Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg entdecken. Die Bunker des Festungsgürtels Kreuzlingen sind deutlich besser erhalten, betreten kann man diese allerdings nur im Rahmen einer Gruppenführung durch den betreuenden Verein. Der Reiz, diese baulichen Zeitzeugen auf eigene Faust zu erkunden, geht zwar dann ein Stück weit verloren, nichtsdestotrotz kann man hier Geschichte hautnah erleben.
Im Dornröschenschlaf
Nicht nur militärische Objekte sind der Region erhalten geblieben. In Oberschwaben gibt es ein altes verlassenes Waldbad. Hier kann man noch erahnen, wie es früher einmal ausgesehen haben muss. Die hölzernen Umkleidekabinen, das brachliegende Schwimmbecken und das Waldhotel warten darauf reaktiviert zu werden. Immer wieder gab es diesbezüglich Pläne, bislang ist aber nichts passiert.
Kein Hobby für die Ewigkeit
Wer sich nun selbst auf die Suche nach den Lost Places der Region begeben möchte, muss schnell sein. Die wenigen geheimen Orte könnten schon bald nicht mehr existieren. Denn es kann immer sein, dass die Objekte schließlich doch abgerissen bzw. nachgenutzt werden oder ihnen ein Museumscharakter verliehen wird.
Gefahren beim Urbexing:
Spaß und Spannung, aber mit Risiko: Es ist immer möglich, dass die alten Gebäude bereits marode und einsturzgefährdet sind oder man sich gesundheitsschädigenden Schadstoffen aussetzt. Auch die Rechtslage sollte man beim Betreten beachten, denn nicht alles ist so verlassen, wie es scheint.
Text und Fotos: Robert Henze