Beste Einflussname auf die Konstanzer Stadtspitze wurde mir konstatiert, nachdem ich ironisch im vergangenen Intro – klimanotstandsbedingt – das Ende des „Seenachtfests“ in seiner bisherigen Form vorwegnahm, weil man es ja durchaus klima(aber auch qualitäts-!)kritisch in Frage stellen müsse.
Kurz nach Veröffentlichung sickerte diese tatsächlich stattfindende, interne, städtische Überlegung medienwirksam durch: Dieses Jahr soll demnach ein etwas abgespecktes, nächstes Jahr ein deutlich geändertes „Seenachtfest“ organisiert und langfristig dann ein vollkommen neues Konzept „der lautlose Knaller“ werden.
Doch bei dieser Ankündigung ging es den Verantwortlichen zeitgleich wohl wie der glücklosen Parteispitze der bundesdeutschen SPD mit Andrea Nahles‘ Spontanrücktritt: Alle schimpfen seit Jahren lautstark drüber, fragen nach Sinn und Verstand – und wenn das „Undenkbare“ dann über Nacht zur Tatsache wird, ist man vollkommen perplex. Wie kann man nur? Und jetzt? Schon blöd, wenn liebgewonnene Feindbilder urplötzlich abhandenkommen.
Unter diesem Aspekt hat die AfD vermutlich Angela Merkels Rücktritt vom Rücktritt gerade nochmal überlebt: Wer als einzige politisches Forderung „Merkel muss weg“ proklamiert, wäre in dem Falle gleich mit weg. Insofern fast schade drum …
Um echte Alternativen ist man nun allerdings in der ganzen Region bemüht. Wenn die größte Veranstaltung weit und breit, „der Höhepunkt des Sommers am See“ mit international vernehmbarem, „lautem medialen Knall“ verstummt, dann ist kein „Seenachtfest“ mit Feuerwerk mehr sicher: von Arbon über Bottighofen bis Kreuzlingen, von Ludwigshafen und Überlingen bis Uhldingen baut sich eine Weh-Klagewelle auf. Im Sog droht sie gleich weitere beliebte Massenaufläufe mit hinab zu ziehen.
In der klimasensiblen „Metropole der Superlative“ etwa werden „der riesigste Flohmarkt westlich des Urals“, das „größte Weinfest nördlich der Alpen“ und der „gigantischste Weihnachtsmarkt seit Jesu Geburt“ plötzlich ebenso in Frage gestellt.
Denn auch andere kulturelle Großevents auf Burgen, in Schlössern oder auf sonstigen „mitaugenzuunddurch als gerade noch landschaftlich vertretbaren“ Wiesen, Auen und Flugfeldern in der weiten internationalen Region stehen unter kritischer Beobachtung.
Und die Gemüter sind dabei so erhitzt wie allerorten das Klima – das konterkarikiert allerdings den hierbei dringend notwendigen „kühlen Kopf“. Denn die Frage ist in der Tat einfach zu stellen und beantwortet sich gleich selbst: Es ist die Frage nach der Qualität.
Ein Konstanzer „Seenachtfest“ mit neuem Konzept etwa darf nicht wie bislang gegen den Handel und die Gastronomie und gegen die eigenen Bewohner organisiert werden. Gemeinsam muss mit – der durchaus kritischen! – Bevölkerung, Gästen, Handel, Gastronomie und Hotellerie nach der größten Deckungsmenge für neue Festkonzepte gesucht werden. Gemeinsam! Denn Hotelauslastungen sind auch mit Qualitätspublikum zu schaffen – langfristig ist weniger auch hier mehr. Man muss nur die Chancen auch sehen wollen. Nachhaltige Fest- und Festivalkonzepte sind durchaus gefragt – bislang halt noch nie laut hinterfragt. Das ändert sich gerade.
Auch bei Musikveranstaltungen übrigens – zum Klimanotstand gesellt sich hier der klimakterische. Mögen die ewigjungen Superstars noch sauerstoffzeltend auf jedem Open Air „zur aberauchallerletzten Abschiedstour“ auf hiesigen und jenseitigen Bühnen anzutreffen sein, die gleichaltrige Zielgruppe möchte dagegen nicht mehr im erinnerungstriefenden Woodstockschlamm zelten und mit dem Golf Plus stundenlang im An- und Abfahrtsstau einschlägiger Festivals stehen müssen. Den großen Musikevents geht mit zunehmendem Alter der Schnauf aus – eigentlich ein ganz natürlicher Vorgang.
Und nicht zuletzt ob der Event-Zunahme werden nun Festivals eingestellt oder in der Frequenz verändert: Das „Meersburg Open Air“ fällt „erstmal“ aus, „Zeltfestival“ und „Rock am See“ ruhen auch seit Längerem in Frieden, junge Festivals tun sich ob der Kostenstruktur ohnehin schwer. Sogar bisherige Selbstläufer wie das „OpenAir St. Gallen“ versuchen sich krampfhaft öffentlichkeitswirksam zu verjüngen, um dem ausbleibenden Vorverkauf mit Frischblut entgegenzuwirken.
Frische Ideen tun gut – gerade in erhitztem Gemütszustand allerorten.
Markus Hotz, Herausgeber
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