Einfach nur essen gehen, weil‘s nett ist und Abwechslung in den Alltag bringt? Oldschool! Der Besuch im Restaurant – so, wie das Essen überhaupt – wird nicht nur bei den Jungen immer mehr zum Ausdrucksmittel von Individualität. Vegan oder vegetarisch, bio oder Functional Food, Paleo oder glutenfrei, all diese Besonderheiten haben den gastronomischen Massenmarkt erreicht und stellen das Prinzip „Es geht doch nichts über ein ordentliches Steak!“ genauso in Frage wie die Jünger des Casual Fine Dining gestärkte weiße Tischdecken und steifes Servicepersonal. Obendrein gibt es auch noch Instagram, Facebook, Snapchat, Bewertungsportale wie Tripadvisor und Yelp …
Die Trends in der Gastronomie schießen seit einiger Zeit aus dem Boden wie die Pilze nach einem warmen Septemberregen – und sind in mancher Hinsicht genauso mit Vorsicht zu genießen. Belehrungsfreie Freude an bunter (Ess)Vielfalt hat sicher etwas Bereicherndes für Gäste und Verbraucher. „Essen ist der neue Pop“, so kommentiert das die bekannte österreichische Ernährungswissenschaftlerin und Food-Trendforscherin Hanni Rützler. Offen bleibt dabei jedoch die Frage, wie es den von fortwährend neuen Hypes getriebenen und öffentlichen Bewertungen ausgesetzten Gastronomen ergeht.
Der Bruch mit den Konventionen
Bei der Suche nach den neuesten Gastrotrends hilft ein Blick in einen der großen Gourmetführer. Gault Millau Deutschland begrüßt in seiner Ausgabe von 2019 „die zunehmende Unbeschwertheit in der Gastronomie und die Entwicklung einer authentisch deutschen Küche“. Und erklärt: „Klassische Gourmettempel-Insignien gehen ebenso an den Wünschen des Publikums vorbei wie der in ambitionierten Küchen immer häufiger praktizierte Menü-Zwang. Die Gäste sehen gehobene Gastronomie immer selbstverständlicher als Teil des Alltags, den sie entspannt genießen möchten.“ Tatsächlich brechen Küchenchefs zunehmend mit Konventionen. Open Cooking, Mehrgänge-Menüs (auch abseits der Sterneküche), die sich aus vielen kleinen Gerichten zusammensetzen, Speisen „to share“: Neue, zwanglose Restaurantkonzepte, viel Vegetarisches und auf wenige Zutaten reduzierte Kreationen liegen im Trend. In den Gourmettempeln sind strikte Serviceregeln und vornehm eingedeckte Tische längst kein Muss mehr. Insbesondere in den Großstädten markiert ein ungezwungener Umgang den Stilwechsel. Typisch für das sogenannte „Casual Fine Dining“: raue Böden und Wände, Speisen am Tresen, viele Mini-Portionen, Innereien, die offene Küche und ein entspannter, aber freundlicher Service.
Nachhaltigkeit und Transparenz
Immer wichtiger wird das Thema Nachhaltigkeit. Das beginnt mit der Einrichtung der Gasträume und endet in der Küche, wo zunehmend Produkte aus regionaler Herstellung verarbeitet werden. Auch Gault Millau hat den Trend erkannt und schreibt: „Die klassischen Luxusprodukte, meist französisch, sind auf dem Rückzug – sie werden ersetzt durch High-end-Zucht aus aller Welt und die Entdeckung der Natur vor der eigenen Haustür als Schatzkammer.“ Die Tendenz zu Regionalität und Natürlichkeit geht mitunter so weit, dass Restaurants Gemüse, Obst und Kräuter im eigenen Garten anbauen. Das fördert bei den Gästen Bewusstsein und Vertrauen und schafft eine Transparenz, die in der hochentwickelten Nahrungsmittelindustrie fehlt. Hinzu kommt: Die drei Millionen Tonnen Lebensmittelreste und –abfälle, die derzeit pro Jahr im deutschen Gastro-Müll landen, verlangen nach modernen gastronomischen Konzepten zur Müllvermeidung. „From Nose to Tail“, „Zero Waste“ oder „From Farm to Table“ verfolgen alle dasselbe Ziel: Ganzheitlichkeit. Die Komplett- und Resteverwertung verhindert, dass wertvolles Essen vergeudet wird.
Essen posten
Der moderne Mensch speist nicht, ohne das – möglichst umgehend – zu dokumentieren. Besonders gern auf Instagram. Rund eine Milliarde Nutzer teilen dort jeden Monat Bilder und Videos, vom Frühstücksei bis zum Betthupferl. Wichtig, wie bei allen Posts, ist einzig das Aussehen. Schön bunt und kontrastreich, einfach „cool“ inszeniert, muss das Essen auf den Fotos rüberkommen. Also ungefähr das Gegenteil von Kässpätzle auf weißem Teller. Innere Werte zählen da erst einmal nicht. So eine gleichermaßen unemotionale wie glamouröse Zurschaustellung von Essen, auch „Foodporn“ genannt, geht beispielsweise gut mit ungewöhnlich geformtem schwarzem Geschirr. Manche Restaurants servieren ihre Speisen auch auf Etageren, in bunten Schalen, auf blütenbestreuten Brettern. „Immer mehr Köche verfallen der schönen, bunten Instagram-Welt, in der plakative Optik wichtiger ist als guter Geschmack und bestes Handwerk“, klagt Gault Millau. Instagram hat einen starken Einfluss auf die Gastro-Branche, soviel ist klar. In den Küchen wächst das Bewusstsein, dass der Teller, der rausgeht, nicht nur von einem Gast gesehen wird, sondern möglicherweise von sehr vielen Menschen. „Instagrammability“, aufs Essen bezogen, wird immer wichtiger, denn die Online-Netzwerke fungieren neben ihrer identitätsbildenden Funktion auch als Freizeitberater und sagen ihren Usern, wohin sie zum Essen gehen sollen.
Dass bei so viel Gewese um tolle Fotos und deren Verbreitung im Netz das Essen kalt wird und der Genuss auf der Strecke bleibt – geschenkt. Erstaunlicherweise gilt das auch für die gehobene Gastronomie. Dirk Hoberg, Zwei-Sterne-Koch im Konstanzer Ophelia, nimmt’s gelassen: „Jeder muss wissen, wie er seinen Abend verbringt.“ Er hält nichts davon, wie Kollege Juan Amador das Fotografieren zu verbieten. Durch das automatische Fotografieren der Speisen würden sich die Gäste um die Magie des Genusses betrügen, so Maître Amador. Aber auch Starkoch Vincent Klink lehnt Fotos ab und erklärt: „Diese fotografische Überinszenierung hat dazu geführt, dass gewisse Gerichte komplett von den Speisekarten verschwunden sind. Ich nenne da nur mal mein Lieblingsgericht, den Gulasch. Das sieht halt übel aus und eignet sich nicht für die Gourmet-Magazine. Ein brauner Haufen, der Schrecken eines jeden Food-Fotografen.“ Schade um den Gulasch, kann man da nur sagen. Oder um die Kutteln, auch so ein wahrer Posting-Alptraum.
Super-Fast-Food
Die Burgerketten aus den USA sind zwar weiterhin allgegenwärtig, der Trend geht aber eindeutig in Richtung gesunde Snacks. In der Mittagspause im Lokal ist der frische Imbiss mit hochwertigen Zutaten gefragt. Der soll den Körper nicht belasten, ausgewogen und gesund sein. Kreative Salate und Kombinationen aus Superfoods kommen gut an. Exotische, ausgefallene Geschmackskompositionen? Immer gerne. Wenn es doch ein Burger sein soll, dann bitte edel. Mit regionalem Fleisch, aber natürlich auch in vegetarischen Versionen mit Tofu oder Portobellopilz und viel Gemüse. Starköche wie Andreas Caminada oder Tim Mälzer haben mit ihren Signature-Burgern gezeigt, wie es geht.
Gemüse ist mein Fleisch
In der klassischen Küche sind Fleisch, Fisch, Wild oder Geflügel der dominierende Teil eines Gerichtes. Der Unmut über die Massentierhaltung hat bei aufgeklärten Essern jedoch ein Umdenken bewirkt, weshalb immer häufiger Gerichte ohne oder mit nur geringem Anteil an tierischen Produkten nachgefragt und daher auch zunehmend angeboten werden. Restaurants, die weder vegetarische noch vegane Gerichte auf der Karte haben, stehen – zumal in den Städten – auf verlorenem Posten. Im Zuge der Veganisierung (und der Zuwanderung aus dem arabischen Raum) hat die arabische beziehungsweise die Levante-Küche an Beliebtheit zugelegt, denn die Grundlage der meisten, interessant gewürzten Gerichte aus Syrien, dem Libanon, Jordanien und Israel ist Gemüse. Viele der dort üblichen kleinen Gerichte isst man gemeinschaftlich, womit wiederum auch der oben erwähnte To-share-Trend bedient wird.
Edel-Fleisch
Aber es gibt auch eine Gegenbewegung zur Veggie-Welle: die Begeisterung für hochwertiges Fleisch in exklusiver Qualität. Dabei steht durchaus eine artgerechte Tierhaltung im Fokus und die Forderung nach Transparenz und Rückverfolgbarkeit des Fleisches, gerne bis zum Bauern. Beliebt sind derzeit etwa das Fleisch von Kobe- und Wagyu-Rind, Charolais- und Hereford-Rind, Aberdeen-Angus-, Galloway- und Chianina-Rind, vom Iberico-Schwein und das von regionalen Rassen wie des Schwäbisch-Hallischen Landschweins. Der selektive Fleischgenuss, die Bevorzugung ausschließlich „guter“ Teile wie Filet oder Schnitzelfleisch, ist zunehmend verpönt. Für Spitzenköche rund um den Globus gewinnt das Konzept „Nose to Tail“ („von der Nase bis zum Schwanz“) – die Verwertung des gesamten Tieres – immer mehr an Bedeutung.
Never ending breakfast
Die ausländischen All-inclusive-Hotels haben es vorgemacht und in der Folge wollten es die Gäste bitteschön auch zu Hause: Was sich Frühstück nennt, findet immer später statt. Dank Home Office und Kernarbeitszeit ist ein ausgiebiges, spätes Frühstück für viele auch unter der Woche möglich. Die Gastronomen und Cafébetreiber stellen sich zunehmend darauf ein und ermöglichen ihren Gästen ein Frühstücksvergnügen ohne zeitliche Einschränkungen. Da ist es allerdings nicht mit Heißgetränk und Käsebrötchen getan; die Ansprüche an die erste Mahlzeit des Tages sind deutlich gestiegen. Frisches Obst, verschiedene Müslis, diverse Milchprodukte, Wunsch-Bowls zum Selberzusammenstellen, Smoothies, abgefahrene Kaffee-Kombinationen mit Eigelb statt Milchschaum oder ein Latte mit Popcorn-Topping: Der Kreativität des Gastgebers sind keine Grenzen gesetzt.
Anonym meckern
Wohin gehen wir zum Essen? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, kann man einen Restaurantführer konsultieren oder – und das ist aus Präsenzgründen sehr viel populärer – das Internet. Genauer: eines der Bewertungsportale wie Tripadvisor, Yelp oder Google. An sich keine schlechte Idee, dieser offene Meinungsaustausch in Form von Erfahrungsberichten: Gäste vor einem schlechten Restaurant warnen, gute Gastronomen loben, was sich im besten Fall positiv auf deren Umsatz auswirkt. Aber das System hat gravierende Schwachstellen, da es jeden – wirklich jeden – zum anonymen Restaurantkritiker macht. Jeder kann hier nach Lust und Laune, ganz nach Tagesform, bewerten. Daumen hoch oder runter – die Qualität oder den Wahrheitsgehalt der Bewertungen kontrolliert niemand. Ein Restaurant hat unverschämterweise gerade dann Ruhetag, wenn ich dort essen möchte? Das gibt einen Verriss im Netz! Der Service kommt nicht sofort? Punkteabzug! Wer in die Portale schaut, stellt fest, dass Lobhudelei und Vernichtung dominieren. Gäste, die einfach nur zufrieden waren, äußern sich eher selten. Für viele Gastronomen haben ungerechtfertigte Bewertungen verständlicherweise fatale Folgen.
Dirk Hoberg beklagt, dass die negativen Bewertungen generell mehr Beachtung finden als die positiven – wobei er selbst mit seiner hochgelobten Küche natürlich in einer sehr komfortablen Position ist. „Ich finde es ehrlicher, Kritik direkt anzubringen, von Angesicht zu Angesicht“, meint er. Aber welcher Gast macht das heutzutage noch?
Text: Claudia Antes-Barisch
Immer mal was Neues
Neben den großen, überall sichtbaren Trends gibt es noch eine Menge kleiner. Dazu zählt unter anderem das Fermentieren, eine insbesondere von jungen Köchen gern genutzte alte Methode zur Konservierung von Gemüse. Oder, mit gleichem Ziel, das Dörren. Mittels Dörrapparat lassen sich nicht nur die klassischen Apfelringe herstellen, sondern auch Gemüsechips oder Fruchtleder als gesunde Alternativen zu Gummibärchen.
Eigentlich längst nicht mehr neu, aber noch nicht überall angekommen, ist Cold-brew-Kaffee. Bei dieser langsamen Art der Kaffeezubereitung zieht das Kaffeepulver im kalten Wasser über viele Stunden oder wird im Cold-drip-Verfahren stundenlang gefiltert. Das kultige Ergebnis: mehr Aroma, weniger Coffein und Säure.
Die lange misstrauisch bis amüsiert beäugten Mandel- und Sojamilch-Trinker haben Verstärkung bekommen: Drinks etwa aus Hanfsamen, Cashew- oder Macadamiakernen gehören inzwischen zur Grundausstattung jedes Cafés.
Take-away und Delivery: Der Außer-Haus-Markt boomt. Vorzugsweise wird das Essen per Smartphone bestellt. Und besonders gerne dort, wo es Loyalitätspunkte oder Discounts gibt.
Fotos: Shutterstock
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