Eine Hotelterrasse am Konstanzer Seerhein. Inselärztin-trifft-Bergdoktor-Stimmung, und akzent begrüßt den Schauspieler Andreas Guenther, der gerade zu Besuch in seiner alten Heimat ist. Bekannt ist er aus dem Rostock-Polizeiruf 110 als Kommissar Anton Pöschel, außerdem aus Opa wird Papa, Familie, Der Bergdoktor, auch aus dem Tatort, vielen anderen TV-Filmen von Anatomie bis Zum Sterben schön und aus seiner neuen Reihe Blind ermittelt. 46 Jahre alt, Jeans, Sweatshirt, Adidas Sneaker, blond-grau verstrubbelt, Typ bester Kumpel, er lacht viel, laut und etwas scheppernd. Eine Kellnerin erkennt ihn, bereitwillig posiert er fürs Selfie. Und plötzlich, als wäre man auf Sendung, wird das Seerheinufer tatsächlich zum Tatort, und zwar in echt:
Junge Leute flanieren am Wasser entlang. Von einer Sekunde auf die andere erweisen sich zwei davon als Polizisten in Zivil, während zwei andere vermutlich gerade das BtMG ein wenig missachtet haben. Personendurchsuchung, Geschrei, ein Passant mischt sich ein, kritisiert lautstark das Eingreifen der Polizei. Die erklären ihm nach der Aktion ganz sachlich-freundlich ihr Vorgehen, man trennt sich mit gegenseitigen Schönen-Tag-noch-Wünschen. Kommissar Pöschel hat jedenfalls nicht eingegriffen, und Andreas Guenther, der seit 20 Jahren in Berlin lebt, staunt.
Keine Idee, keine Vision, keine Initiative, keinen Biss, keine Leidenschaft
Andreas Guenther: Schau mal, wie freundlich die Polizisten hier sind, leck mich … in Berlin, wenn die im Einsatz sind, da darfst du nirgends dazwischen gehen, die sind so auf Hochspannung, die haben immer den Gedanken im Kopf, dass jemand ein Messer oder ’ne Knarre zückt. Da wirst du gleich weggeschubst, wenn du dich einmischst. In Berlin ist mittlerweile so ein hoher Aggressionspegel, die Bullen (er korrigiert sich: „die Polizei“) ist manchmal so verunsichert, weil sie nicht wissen, mit was sie rechnen müssen. Jetzt gab’s am Alex wieder so eine Riesenschlägerei, die gehen auf jeden los, kein Respekt, niemandem und nichts gegenüber, deswegen ist Berlin gerade nicht so attraktiv für mich. Und das sind genau die Jungs, die selber Respekt fordern: Ey Alder, Respekt … Das merkt man auch ganz allgemein bei vielen jungen Leuten, wenn ich mich mit ihnen unterhalte in Schulen oder wo auch immer, und wenn man das so hört, habe ich das Gefühl, die haben keine Idee von ihrem Leben, keine Vision, wohin sie wollen, die bringen keine Initiative, die fordern erst, bevor sie was tun.
akzent: Muss man als Jugendlicher wirklich schon so genau wissen, wo es hingehen soll?
Andreas Guenther: Nein … aber wenn ich mir überlege, als ich angefangen habe zu arbeiten – ich habe umsonst bei Filmproduktionen gearbeitet, weil’s mich interessiert hat, ich wollte etwas – ich war dankbar für die Chance. Heute habe ich das Gefühl, die jungen Leute – nicht alle! – wollen oft nichts vom Leben, die haben keinen Biss, keine Leidenschaft. Ich rede jetzt nur von meiner subjektiven Wahrnehmung, vielleicht auch stark Berlin-geprägt. Berlin ist nun mal ziemlich arm im Vergleich zu Baden-Württemberg oder Bayern, es hat wenig Industrie, es gibt wenig Jobs, und es gibt vor allem wahnsinnig wenig Stundenlohn. Hier verdienst du ja echt gutes Geld.
akzent: Kein Wunder, kommst du nach Konstanz auf die Rheinterrassen zum Schaffen …
Andreas Guenther: Genau! (lacht). Im Ernst, in Berlin können sich viele Menschen ihre Wohnung nicht mehr leisten, weil es mittlerweile so teuer geworden ist. Jetzt versuchen sie, diesen Mietendeckel zu machen, acht Euro pro Quadratmeter, wie soll das gehen …
akzent: Aber du musst jetzt nicht mehr kellnern?
Andreas Guenther: Ne, das muss ich nicht mehr. Das mach ich, weil ich Spaß dran habe. Wenn mein Freund Ünal (Ünal Kürümlüoglu) jemanden braucht, dann stell ich mich da mittags hin, serviere Kaffee, das macht mir Riesenspaß. Das liebe ich total, auf der Rheinterrasse kurz mal raus gehen, mit den Leuten quatschen: ‚Hallo wie geht’s?’, bring ein Kaffeechen, das ist super nett.
akzent: In einem Interview hast du mal gesagt, ‚Ich liebe gutes Essen’. Abgesehen von den Rheinterrassen – wohin gehst du zum Essen, wenn du in Konstanz bist?
Andreas Guenther: Ja Wahnsinn, Konstanz … ist schon schön, ich komme echt gerne hierher mittlerweile. Ich liebe das, im Sommer hier zu sein, es gibt, glaube ich, keinen schöneren Ort, oder? Die Rheinterrasse, das ist im Sommer der beste Platz in Konstanz, und sonst … beim Rocco im Löhlinbad, im Pinocchio, auch im Il Boccone beim Thomas Weber sitze ich gerne, vor allem zum Frühstück, immer schön drei Spiegeleier, Cappuccino, frisch gepressten O-Saft. Ansonsten ist es mittlerweile echt schwierig. Gerade im Winter überlegen wir oft, wo man gut essen kann … das war’s dann eigentlich schon, mehr fällt mir spontan nicht ein.
akzent: Erkennen dich die Leute?
Andreas Guenther: Ja, das hat sich natürlich jetzt ganz schön gewandelt.
akzent: Im Rostock-Polizeiruf spielst du den sympathischen Kommissar Pöschel, aber im Tatort warst du auch schon der Bösewicht, der Unsympath – was spielst du denn lieber, die Bösewichte oder die Pöschels?
Der Bergdoktor, voll geflasht
Andreas Guenther: Früher hab ich immer gesagt, die Bösewichte sind die spannenderen Rollen, weil man in eine tiefe dunkle Seele eintaucht, die man ja sonst nicht ausleben darf. Wann darf man schon mal jemandem die … (das wurde nicht autorisiert) und wird nicht bestraft dafür? Aber ich spiele mittlerweile auch wahnsinnig gerne andere Rollen. Ich guck, was mich interessiert. Wenn mich das Drehbuch berührt oder die Rolle oder ich bin angetan oder interessiert, dann spiele ich die Figur, und wenn nicht, dann spiele ich sie nicht. Ich bin mittlerweile in der glücklichen Lage, nicht aus finanziellen Gründen Rollen annehmen zu müssen. Das gibt mir natürlich eine wahnsinnig große Freiheit. Ich habe ja das große Glück, dass ich jetzt seit zehn Jahren im Polizeiruf 110 – Rostock den Kommissar Pöschel spiele, was eine sehr tolle Rolle ist, weil sie sehr besonders ist, sag ich mal. Jetzt hab ich gerade zum Beispiel den Bergdoktor gedreht. Viele denken da vielleicht sofort, oh je, was für eine Schmonzette, aber: Ich habe das Drehbuch bekommen, habe es gelesen und war absolut geflasht! Es war einfach verdammt gut geschrieben und die Rolle, die mir angeboten wurde, hat mich sofort gepackt. Ich musste sofort zusagen.
akzent: Der Bergdoktor ist eher was für die Älteren …
Andreas Guenther: Würde ich so nicht sagen, die Quoten, auch bei den Jungen, sind schon grandios! Gut, klar, die Jungen schauen ja fast nur noch YouTube, Netflix, Amazon Prime, oder?
akzent: Du hast gesagt, du drehst vier feste Filme im Jahr – wie viel Zeit nimmt das in Anspruch im Laufe eines Jahres? Wie oft bist du da beschäftigt?
Andreas Guenther: Etwa fünf bis sechs Monate. Also mit Vorbereitung, Kostümproben, Leseproben, Besprechungen, Nachbereitung und so weiter. Und dadurch, dass „Blind ermittelt“ in Wien gedreht wird, bin ich allein für diese Filme schon vier Monate komplett in Wien und komme während dieser Zeit nicht wirklich weg. Also ich war dieses Jahr, glaub ich, eineinhalb Monate zu Hause.
akzent: Zu Hause ist jetzt Berlin?
Andreas Guenther: Ja, 2000 bin ich nach Berlin gezogen. Jetzt mal gucken wie lang noch.
akzent: Es gibt so ne extreme Konstanz-Berlin-Connection. Ein bisschen München und bisschen Köln, aber eigentlich immer Berlin.
Andreas Guenther: Ja, ganz viele sind nach Berlin gegangen, das stimmt. Aber mir ist Berlin momentan ein bisschen zu heftig.
akzent: Diese Radfahrer …
Fuck it, ey
Andreas Guenther: Letztens hab ich zwei ältere Damen gesehen, vielleicht so 65, 70 Jahre alt, beide auf dem Fußweg sehr langsam mit dem Fahrrad unterwegs. Fahren aufeinander zu, weichen nicht aus und beschimpfen sich dann beide auf’s Heftigste. Ich dachte: ‚Fuck it ey’. Was ist nur los!?!? Das hat mich in meiner Überlegung nach Wien zu ziehen, noch mal bestärkt.
akzent: Weshalb Wien?
Andreas Guenther: Ich habe mich in diese Stadt während des Drehs zu Blind ermittelt sehr verliebt. Wien hat so viel Charme, an jeder Ecke atmest du geradezu Geschichte – die Stadt hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Die Menschen, das Essen, der Wein, die Restaurants. Wien hat noch mal einen ganz anderen Rhythmus. Ich schau mir jetzt mal Wohnungen an und muss dann mal gucken. Übrigens, wenn mich nicht alles täuscht, ist Wien gerade zum zweiten Mal hintereinander zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt worden (Anmerkung: Es gibt unterschiedliche Städterankings, hier ist das Ranking der Economist Intelligence Unit, EIU, gemeint).
akzent: An der Frage kommst du jetzt nicht vorbei: Stichwort Bodensee-Tatort. Man kann zwar auch in der Provinz Tatort/Polizeiruf machen, aber offensichtlich nicht in Konstanz …
Andreas Guenther: Doch! Ich finde das übrigens ein gutes Thema. Das ist ja so stiefmütterlich behandelt worden, dieser Konstanz-Tatort, muss ich leider echt sagen. Die Geschichten waren meines Erachtens immer so provinziell, sie haben nie das Potenzial dieser Gegend erkannt, ausgeschöpft oder erzählt. Es hatte immer so etwas ländliches, kleines, als wäre es ein Mikrokosmos fernab von großen Verbrechen. Warum hat man nie mal das Große erzählt? Dreiländereck, Drogen-, Menschenhandel, Geldwäsche, Wirtschaftskriminalität …
akzent: Hat man ja gemacht, aber sehr vergeistigt. Man hat die Grenze auch immer thematisiert und es war immer im reichen Milieu, weil hier nur reiche Leute wohnen …
Andreas Guenther: … oder Bauern, Bauernhof und Kindesmissbrauch, Obsthof und blablabla. Aber warum hat man das nicht groß aufgezogen? Überleg mal, damals als wir jung waren, als die Technoszene losgegangen ist, Streetparade in Zürich, die ganzen Drogen, die hier im Bodenseekreis unterwegs waren. Sowas hätte man hier erzählen müssen. Die Region hat so viel zu bieten, du hast hier im Prinzip alle Zutaten, um spannende Geschichten zu erzählen – Universität, global operierende Unternehmen, Grenzen zu zwei Staaten, Geld … Ich hätte große Lust eine Krimi-Reihe in Konstanz zu verorten und natürlich auch hier in meiner Heimat zu spielen! Das werde ich jetzt mal in Angriff nehmen. Man könnte hier wirklich ’ne geile Reihe herholen und es richtig krachen lassen (lacht).
akzent: Dann lass es krachen. Und danke für das Gespräch.
Andreas Guenther, geboren 1973 in Graz, aufgewachsen in Konstanz, Abitur an der Waldorfschule in Überlingen. Bereits als Schüler entschied er sich, Schauspieler zu werden, zog Mitte der Neunzigerjahre nach München und begann dort Schauspielunterricht zu nehmen. Er schlug sich mit verschiedenen Jobs u.a. als Möbelpacker und Barkeeper durch und finanzierte sich so seine Ausbildung. Seine erste Rolle spielte er in der Neuverfilmung von Charley’s Tante, am bekanntesten wurde er als Kommissar Anton Pöschel im Polizeiruf 110 aus Rostock.
Sendetermine im November: ARD 08.11., 22 Uhr: Polizeiruf 110 – Einer für alle, alle für Rostock
Interview: Markus Hotz, Anja Böhme; Foto: Markus Hotz