Konstanz | „Talk am See mit Gaby Hauptmann“ geht seit Mai jeden Samstagabend beim SWR auf Sendung und wird jeden Freitag live in der wunderschönen ehemaligen Domkirche St. Johann aufgezeichnet. Die in Allensbach lebende Journalistin und Bestsellerautorin talkt darin nun mindestens ein Jahr lang jeweils eine Stunde mit fünf prominenten, spannenden Gästen, die wochen-aktuell selbst Gesprächsstoff waren oder grade etwas Interessantes zu erzählen haben und aus Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland stammen müssen. Zuschauer sind übrigens ausdrücklich erwünscht; Vorverkauf und Abendkasse machen das möglich.

Freitagabend in der mittelalterlichen Innenstadt kann man etwas erleben, was meist nur Kölnern oder Berlinern ohne Weiteres möglich ist: live bei einer Live-Aufzeichnung und Mitklatscher in einer Talk-Arena zu sein, direkt vor der Nase dabei prominente und ab und an skurrile Gäste (bislang unkompliziert auch für ein Selfie im Nachgang) – Harald Glööckler oder die bollerbehütete Schwarzwald-Drag-Queen Betty BBQ, TV-Stars wie Paola, Stefan Mross oder Marijke Amado. Auch Christoph Sonntag gibt’s so samstags. Dazu jeweils namentlich unbekanntere, thematisch aber durchaus oft spannendere Gäste: die 81-jährige VfB-Fan-Omi, die 31 Jahre alte Ordensschwester, eine Wolfsrudelbesitzerin oder eine Podologin, die aus den Zehen Menschenschicksale zu lesen vermag. Die Bandbreite ist jeweils groß, die Mischung interessant und das Gesprächspotenzial verspricht nicht nur „Unterhaltung“, wenn sich jeweils fünf Gäste im ästhetischen Scheinwerfer-Rund mit Gaby Hauptmann im Talk gegenübersitzen. Rechnerisch mit Einspieler bedeutet das zehn Minuten pro Person – immerhin fünf mehr, als Andy Warhol fürs „Berühmtsein“ einfordert, aber manchmal zu wenig für „mehr“.

Set-Atmosphäre in der ersten Aufzeichnung (mit v.li. Max Herzog, Paola Felix, Gaby Hauptmann, Jürgen Todenhöfer, Douce Steiner und Bärbel Stolz). © SWR/Kimmig/Patrick Pfeiffer

Für die Produktion verantwortlich zeichnet Kimmig-Entertainment, die als eine der erfolgreichsten TV-Produktionsfirmen Deutschlands seit gut 30 Jahren pro Jahr bis zu 130 TV-Sendungen produziert und allen führenden TV-Stationen zuarbeitet: aktuell etwa „Verstehen Sie Spaß“, „Immer wieder sonntags“, oder „Schlagerspaß mit Andy Borg“, aber auch „Das weiß doch jedes Kind“, „Singing Bee“, „Fischers“, „Die Genialen Erfinder“, „Die Superfans“ und „Deutschlands größte Hits, Gold, Gold, Gold“. Auch Prominenten-Schaulaufen wie „Bambi“, „ECHO“, „Der deutsche Fernsehpreis“, „Die Krone der Volksmusik“ oder „Stars auf Eis“ werden hier gemacht. Als besonders erfolgreich gelten bis heute die „José Carreras Spendengala“, Udo Jürgens letzte Geburtstagsgala, die im Nachhinein ironischerweise „Mitten im Leben“ hieß, die Jubiläumsshow zu „20 Jahre Andrea Berg“ und die „Helene Fischer Show“. Die Produzenten wissen also, was sie tun, und Gaby Hauptmann war denn auch überrascht, als sie gerade aus diesem Haus die Anfrage zur Übernahme des neuen Talk-Formates erhielt.

Für ein Jahr wurde denn auch das gesamte St. Johann gemietet und aufwändig – aber absolut passend! – zur großen Talkshow-Kulisse umgebaut; die bunten Kirchenfenster werden nun freitags von außen angestrahlt, damit es im Inneren umso bunter leuchtet; ein aufwändiges Bühnenset aus Glanzboden und LED-Effekten beherbergt die Gäste im Saal-Oval. Allein das ist durchaus sehens- und erlebenswert!

Das ganze technikbestückte Kirchenschiff sticht dergestalt applausumtost in „Talk am See“, Hauptmann mittschiffs – jeweils freitags live aufgezeichnet und samstagabends ausgestrahlt. Schön, dass ein Jahr lang Zeit ist, das Format auch fortzuentwickeln.

Passenderweise mit einem jungen Gast zum Thema „Fridays for Future“ ging die allwöchentliche Freitags-Talkshow im Mai los: Hintergrund war, dass Konstanz als erste Stadt in Deutschland den Klimanotstand ausgerufen hatte; im Hintergrund saß denn auch OB Uli Burchardt. Zwar kam der junge Aktivist zu Wort, doch die Gelegenheit, das Mikro an den verantwortlichen Politiker dahinter zu reichen, ließ das inhaltlich und zeitlich enge SWR-Korsett dieses Formates wohl nicht zu. Schade!

Die Nomenklatur wird auf der Straße denn auch an den jeweiligen Promi-Gästen aufge- und weitererzählt: „Hosch die Sendung mit sellem Glööckler gsähä, oder die mit derere Amado?“ Dass illustriert eine Krux der Sendung: Die Promis sind oft präsenter als die Themen. Denn gerade moderationserfahrene Gäste schaffen es, „präsenter“ rüberzukommen, selbst wenn sie die Interaktion mit den oft spannenden anderen „normalen“ Gästen selber suchen, die erstaunlich oft Interessantes zu erzählen haben. Daher sind etablierte deutschsprachige Talk-Formate die ihre Runden mit TV-Prominenz bestücken, im „Unterhaltungs-Vorteil“ gegenüber „Talk am See“. Routiniert werfen sich bei den etablierten Sendungen wie „Markus Lanz“, dem „Kölner Treff“, der „NDR Talkshow“, „3 nach 9“ über das „Nachtcafé“ bis hin zu Tietjen und Bommes die Promis bücher-, musik- und filmverkaufsfördernde Schlagworte zu. Eigentlich gut, dass man hier nicht auch noch einen süddeutschen Abklatsch & Tratsch dazugesellte.

SWR Fernsehen TALK AM SEE MIT GABY HAUPTMANN © SWR/Piper/Andreas Pirchmoser

Doch die wenig erfahrenen TV-Gäste Hauptmanns halten sich dagegen sogar bei eigenen Redebeiträgen zurück – da muss die Talk-Masterin schon mal alle Register händeringend live (aus der verstockten Gästenase) ziehen, was im redaktionellen Vorgespräch nur so von selbst sprudelte: Sterneköchin Douce Steiner ging in der ersten Show fast darüber (und über alle augenzwinkernden Andeutungen!) hinweg, dass sie bei ihrer Ausbildung im Spitzenrestaurant in Paris eine Zeitlang gar im Obdachlosenheim wohnen musste.

Talk-Routiniers sind da leichter zu triggern: Stefan Mross und Marijke Amado etwa haben, als heimliche Co-Moderation querschlägernd, amüsante Höchstleistungen aus sich und den anderen Gästen gekitzelt, der braungebrannte Bademeister blieb dagegen eher blass. Und das obschon er Redebedarf hätte haben müssen, gerade in einer Stadt „am See“, müssen doch derzeit überall Bäder schließen, weil es kein ausgebildetes Fachpersonal mehr gibt – und gleichzeitig lernt jeder zweite Grundschüler nicht mehr Schwimmen! Da kann ein Thema dann schon mal „baden“ gehen …

Das Sendekonzept sieht diesen Spagat für die Talkerin allerdings vor: „Gaby Hauptmann spricht wöchentlich mit prominenten und nicht prominenten Gästen aus dem Südwesten … und lädt jeden Samstagabend zum unterhaltsamen SWR Talk“, kündigt der Sender die Rederunde an, die übrigens den jahrzehntelang besetzten „Menschen der Woche“-Sendeplatz des wegen Parkinsonerkrankung zurückgetretenen Show-Urgesteins Frank Elstner ersetzen soll. Der Schwerpunkt muss dabei wohl auf „Unterhaltung“ liegen, so die Vorgabe des Senders. Man fragt sich hierbei allerdings schon, ob solches die Kernaufgabe der Öffentlich-Rechtlichen abbildet; zu später Uhrzeit versteckt kann man dem TV-Publikum zwar manch harte Doku servieren, denen eine deutlich größere Aufmerksamkeit zu früherer Sendezeit durchaus zu wünschen wäre, aber beim Spät-Talk ist dem naturgemäß eher älteren Zuschauer eines Samstagspätabends Tiefgründiges angeblich nicht zu vermitteln?

So darf sich auch kein Gäste-Streitgespräch entspinnen, wenn der Journalist und Philosoph Wolfram Eilenberger den munter über seinen gelebten Tier- und Naturschutz schwäbelnden Modeschöpfer Harald Glööckler querfragt, wie sich dieses Bewusstsein denn eigentlich in seinen Produkten und Kollektionen niederschlage? Da quietscht die lebende Kunstfigur hörbar, und Hauptmann hat Mühe, den rechtfertigenden Redeschwall wieder in sendezeitgeschuldete, vertretbare Bahnen zu lenken, statt – was sie wohl auch als Journalistin lieber täte – bei Glööckler detaillierter nachzufragen. Schlagfertige Promi-Gäste gerne, Schlagabtausch leider nein. Zehn Minuten pro Gast und Thema – sorry, da geht nicht „mehr“!

Auch Jürgen Todenhöfer, auf den jüngst im Gazastreifen mit israelischen Plastikprojektilen scharf geschossen wurde, sollte in der Talkrunde „weniger thematisch, sondern mehr als Mensch“ zu Wort kommen. Weshalb die Deutsch-Israelische Gesellschaft dann im vorauseilenden Betroffenheitsreflex wutschnaubend vor dem „antisemitischen Starlet der deutschen Medienlandschaft“ warnte, bleibt hinterher daher umso schleierhafter. Immerhin sorgte dies für erste deutschlandweite mediale Aufmerksamkeit für „Talk am See“. 

Autorin und Journalistin Gaby Hauptmann. © SWR/Kimmig/Patrick Pfeiffer

Gaby Hauptmann hat sich bislang in ihren fünf Sendungen dennoch gut behauptet: Mit jeder Woche talkt sie sich routinierter durch die – auch für sie immer wieder überraschende! – Gästerunde. Die Anspannung der ersten Sendungen sind einer professionellen Aufmerksamkeit gewichen und die Redaktion im Hintergrund arbeitet ihr mittlerweile auch „mundgerechter“ zu. Da die Gäste Wochenereignis-abhängig ausgewählt werden sollen, kann auch kurz vor der Sendung noch (um)entschieden werden; wenn dann der eine oder andere filmische Einspieler durchaus besser sein könnte, ist das der kurzen Re(d)aktions-Zeit geschuldet. 

Das Ambiente der ehemaligen Stiftskirche St. Johann, das nun für ein Jahr jeden Freitag zur bunten TV-Kulisse wird, ist in ganz Deutschland sicher einmalig. Für zwölf Euro kann man sich hier einen unterhaltsamen Abend als Zuschauer gönnen und danach in einer der nahen Innenstadtkneipen den Talk unter Freunden fortsetzen; manchmal sitzt dann am reservierten Nebentisch überraschend die Talk-Masterin mit ihren Gästen und Team, die den Abend bei einem Glas Wein und guten Gesprächen ausklingen lassen – es gibt wohl sichtlich noch mehr Redebedarf bei „Talk am See“ …

Wer wissen will, was bei Gaby Hauptmann und „Talk am See“ jede Woche aktuell geboten ist, kann online nachsehen unter:

www.akzent-magazin.com/talk-am-see

www.facebook.com/akzentmagazin

Text: Markus Hotz | Titelbild: Gaby Hauptmann spricht wöchentlich mit Prominenten und Gästen aus der Region | Autorin und Journalistin Gaby Hauptmann im Set in der ehemaligen Stiftskirche St. Johann in Konstanz. © SWR/Kimmig/Hella Wolff-Seybold