Inklusion ist ein Menschenrecht, doch diskriminierungsfreie und gleichberechtigte Teilhabe in allen Bereichen des Lebens ist für Menschen mit Behinderung leider vielfach noch eine Utopie. Das Theater Konstanz hat sich im Rahmen des Programms „Kurswechsel Kultur – Netzwerk. Richtung. Inklusion“ der Weiterentwicklung von mehr inklusiver Teilhabe verpflichtet. Am 17. November hat das inklusive Theaterstück zu „Auf die Insel fertig los“ Premiere in der Werkstatt. Die Dramaturginnen Meike Sasse und Sabrina Toyen geben hier Einblicke, wie Inklusion am Theater gelingen kann.
akzent: Was bedeutet für Sie inklusives Theater?
Meike Sasse: Inklusion und Teilhabe finden sich als Konzept direkt in Artikel 3 als einer der acht Grundsätze der UN-Behindertenrechtskonvention: „Die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft“. Dementsprechend bedeutet inklusives Theater für uns die Teilhabe und Zugehörigkeit von Menschen mit ihren Merkmalen und Bedürfnissen hinter, vor und auf der Bühne. Wir möchten als Theater die Voraussetzungen hierfür schaffen.
akzent: Können Sie kurz zusammenfassen, was sie erreichen möchten?
Sabrina Toyen: Ein Besuch im Theater soll für alle Menschen eine wunderbare Zeit sein. Anregen, unterhalten, Anstöße geben zur kritischen Reflexion dessen, was ist und werden kann. Zudem möchten wir, dass die Geschichten, die wir auf der Bühne erzählen, gemeinsam mit Menschen mit Behinderung als Akteur*innen und Kolleg*innen erarbeitet werden.
Meike Sasse: Das bedeutet, dass Chancengleichheit und kulturelle Teilhabe am Theater Konstanz langfristig zur Selbstverständlichkeit werden sollen. Auf den Weg dorthin begeben wir uns bereits seit bald zwei Jahren im Netzwerk „Kurswechsel Kultur – Netzwerk. Richtung. Inklusion.“
Sabrina Toyen: Dieses Netzwerk wurde vom Zentrum für Kulturelle Teilhabe Baden-Württemberg und der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (LKJ) gegründet und ermöglicht uns den Austausch und gemeinsames Lernen mit beispielsweise anderen Theatern und Museen, die sich ebenfalls auf den Weg gemacht haben, Barrieren abzubauen und Zugänge zu schaffen.
Meike Sasse: Wir wünschen uns, dass noch mehr Menschen das Theater Konstanz besuchen, um ein Stück anzuschauen, bei einem Spielclub mitzuwirken oder ein Podiumsgespräch zu hören, weil sie wissen, dass wir uns mit ihren Bedürfnissen auseinandersetzen und die Kulturteilhabe aller sehr ernst nehmen. Bereits in der vergangenen Spielzeit haben wir uns unter dem Titel „Ideal Teilhabe“ im Rahmen des Festivals LET’S ALLY mit der Frage beschäftigt, wie Theater von möglichst allen mitgestaltet und erlebt werden kann. Und wir möchten die Möglichkeiten von Teilhabe vertiefen, erproben und Formate und Themenstellungen entwickeln, die uns nach dem letzten Festival umtreiben. Wie können wir noch stärker ein Ort werden, an dem sich Künstler*innen, Theaterfans und Publikum mit sogenannter Beeinträchtigung willkommen fühlen? Das ist unsere Vision.
akzent: Wie erreicht das Theater behinderte Menschen? Gibt es Kooperationen? Wird mit der Zielgruppe gemeinsam geplant?
Meike Sasse: Das ist ein wahnsinnig wichtiger Aspekt auf dem Weg der Inklusionsorientierung von öffentlichen Einrichtungen und da können wir uns glücklich schätzen, dass wir lokal und überregional auf so viele Menschen treffen, die uns ihr Vertrauen schenken, Impulse setzen und uns tatkräftig unterstützen. In der vergangenen Spielzeit haben wir gemeinsam mit unterschiedlichen Akteur*innen „LET’S ALLY Ideal Teilhabe“ realisiert, das in dieser Spielzeit in die Verlängerung geht.
Sabrina Toyen: Denn da geht richtig viel. Stefan Grumbt, der Beauftragte für Menschen mit Behinderung und der zugehörige Beirat sowie Akteur*innen aus der ganzen Region beraten und gestalten gemeinsam mit uns neue Zugänge zu unseren Spielstätten und unserem Programm.
Meike Sasse: Für LET’S ALLY haben wir zudem ein Kollektiv aus Menschen mit Behinderung und ihren Verbündeten als Expert*innen für inklusive Festivalplanung an unserer Seite. „Barrierefrei feiern“ berät und begleitet uns in organisatorischer Hinsicht mit viel Erfahrung und Vertrauen.
Sabrina Toyen: „Auf die Insel fertig los“, eine Abenteuergeschichte in Laut- und Gebärdensprache, wird von Künstler*innen mit und ohne Behinderung gemeinsam erarbeitet. An den Anfang dieser Stückentwicklung haben wir eine Reise mit unserer „Insel“ in unsere Kooperationskindergärten und den Austausch zwischen Kindern mit und ohne Hörbeeinträchtigung gestellt. Was für Abenteuer kann man auf unserer Insel erleben? Das haben wir gemeinsam herausgefunden.
Meike Sasse: Neben Regisseur Ulf Goerke wird ein „Deaf Coach“ in der Arbeit an der Inszenierung unterstützen. Dieser Deaf Coach ist Experte für „Visual Vernacular“, eine besondere Kunstform aus bildhafter Zeichensprache und körperlichem Ausdruck, die auf der Bühne zu sehen sein wird.
akzent: „Auf die Insel fertig los“ ist ein inklusives Stück in Laut- und Gebärdensprache. Was erwartet die Zuschauer*innen?
Meike Sasse: „Auf die Insel fertig los“ ist ein fantastisches Abenteuer für kleine und große Kinder mit riesiger Spielfreude und spannenden Figuren. Wir begleiten Mira auf einer Reise von ihrem Zimmer auf die Insel zweier Wesen, die es zunächst kennenzulernen gilt. Wer sind Lian und Nika und warum leben sie so ganz anders und dürfen alles – anders als bei Nika zu Hause? Wie aus Fremdheit Freundschaft wird und dass man prima zusammen auf Bananen schaukeln kann gegen die Langeweile, kann unser Publikum mit allen Sinnen auf unserer Werkstattbühne erleben.
Sabrina Toyen: Wir laden herzlich ein zu diesem besonderen und vielgestaltigen Theaterspaß für alle ab 3 Jahren, ab dem 17. November im Theater Konstanz.
akzent: Vielen Dank für Ihre Einblicke! Schön, dass Sie sich so engagiert auf den Weg gemacht haben, um Menschen mit Behinderung in der Theaterarbeit öffentlich sichtbarer zu machen und um zu zeigen, dass Miteinander funktionieren kann.
17.11., 15 Uhr | Premiere der Uraufführung
Werkstatt
Inselgasse 2-6
D-78462 Konstanz
www.theaterkonstanz.de
Gefördert durch den Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg
Kleiner Infokasten zum Stück
Auf die Insel fertig los
Auf einer entfernten Insel leben zwei fantastische Gestalten. Eines Tages bekommen sie Besuch von einem Mädchen, das eine weite Reise hinter sich hat. Anfangs sind sie einander fremd. Neugierig aufeinander entdecken sie nach und nach, was ihnen allen Spaß macht. Das Stück taucht ein in die Fantasie eines kleinen Kindes und begibt sich auf die Suche, die Grenzen zwischen unterschiedlichen Welten zu überwinden – mit Tanz, Schauspiel, Musik, Gebärden- und gesprochener Sprache.
Regie Ulf Goerke | Bühne & Kostüme Hannah Wolf | Dramaturgie Meike Sasse & Sabrina Toyen |
Schauspielende Kristina Lotta Kahlert, Alicia Bischoff, Adriane Große
Bild vom Workshop Gebärdensprache © Ilja Mess
BU: Beim Workshop „Gebärdensprache für Alle“ beim Festivals LET’S ALLY gab Clara Lenkeit, Expertin für politische Bildung und (kulturelle) Teilhabe von Menschen mit Behinderung, Einblicke in Grundlagen der Gebärdensprache.
Bild 1: Portrait von Meike Sasse © Ilja Mess
BU: Meike Sasse ist Chefdramaturgin am Theater Konstanz sowie Beauftragte für Diversitätsdiskurs und -entwicklung. Außerdem kuratiert sie am Theater Prozesse für kulturelle Teilhabe und Inklusionsorientierung. Sie ist Botschafterin für das Programm „Kurswechsel Kultur: Netzwerk. Richtung. Inklusion.“
Bild 2: Portrait von Sabrina Toyen © Ilja Mess
BU: Dramaturgin Sabrina Toyen koordinierte bereits, bevor sie in der Spielzeit 2023/24 ans Theater Konstanz kam, am Staatstheater Karlsruhe das Projekt „Staatstheater Enspannt“ für kulturelle Teilhabe und Inklusionsorientierung.