Die Bodensee-Region ist dicht besiedelt und eine Wachstumsregion – und deshalb muss immer mehr gebaut werden: Wohnungen und Häuser, Straßen und Gewerbegebiete. Aber löst das wirklich die Probleme, und stimmt das überhaupt? Bei Autobahnen ist es ja erwiesen, dass sie immer mehr Verkehr anziehen, der dann vor Ort die Städte und Straßen belastet. Ebenso wie es beim Verkehr darum geht, einen großen Teil durch bessere Nutzung der vorhandenen Kapazitäten zu vermeiden, kann man auch beim Bauen das Wachstumsdogma in Frage stellen.
„Verbietet das Bauen!“
Mit einer „Streitschrift“ unter diesem provozierenden Buchtitel hat der Autor Daniel Fuhrhop vor drei Jahren das Prinzip des Immer-mehr-Bauens infrage gestellt. Einer seiner Kritikpunkte ist das nur „scheinbar ökologische Bauen“, bei dem meistens nur der Energieverbrauch verglichen, aber die Energie vernachlässigt wird, die für die Produktion der Baumaterialien u.a. aufgewendet werden muss – die wahre Ökobilanz sieht dann nicht mehr so rosig aus. Das Buch enthält aber nicht nur gute Gründe für die plakative Forderung, das Bauen einzustellen, sondern am Ende auch konstruktive Vorschläge: „Mit 50 Werkzeugen Neubau überflüssig machen“.
Verdichtung im menschlichen Maß
Mit einem zweiten Buch, das im Frühjahr erschienen ist, hat Fuhrhop diese Vorschläge noch weiter ausgebaut: „Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte“. Die Beispiele in diesen Büchern sind aus ganz Mitteleuropa, aber gerade auch für den Bodensee interessant, weil hier die Probleme von Wohnraum, Preisexplosion und Zersiedelung größer sind als in der oberschwäbischen „Pampa“ oder auf der Schwäbischen Alb. Und Daniel Fuhrhop hat sie auch im Juni bei einer Vortragsreise am Bodensee vorgestellt.
Um „einfach anders“ zu wohnen, fängt man nach Fuhrhop am besten damit an, dass man Platz schafft durch das „Entrümpeln“ der Wohnung . Und weil man auch in den ordentlichsten Wohnungen die größte Unordnung in den Schubladen findet, sollten die zuerst drankommen – dann ist auch Platz für die Dinge, die überall herumliegen.
Den größten Effekt auf den Wohnungsmarkt bringt das „Zusammenrücken“ durch die bessere Ausnutzung der vorhandenen Wohnflächen, wofür es die verschiedensten Möglichkeiten gibt: Bei genossenschaftlichen Wohnprojekten, wie Solinsieme in St. Gallen und der Giesserei in Winterthur ist sowohl die Ausnutzung der Flächen wie auch die Wohnqualität höher als im konventionellen Wohnungsbau.
Ein Prinzip, das vor allem in Hochschulstädten immer mehr umgesetzt wird, ist „Wohnen für Hilfe“, in über 40 Städten wird es inzwischen von der Stadtverwaltung gefördert – am Bodensee z.B. in Konstanz, Friedrichshafen und St. Gallen.
Unterstützt wird in vielen Städten und von großen Wohnungsbaugesellschaften auch der Wohnungstausch, womit auch wieder die Nachfrage nach Neubauten reduziert wird.
Als beispielhafte Initiative wird in dem Buch auch die Aktion „83 Konstanz integriert“ vorgestellt, bei der bis Juli 2017 insgesamt 83 Flüchtlinge (also 1 Promille der Bevölkerung) privat untergebracht wurden.
Das Problem mit der immer weiter steigenden Wohnfläche pro Person ist, dass fast alle ihren Teil dazu beitragen – vermutlich auch Sie und ich. Außer diesem individuellen Problem gibt es auch den gesellschaftlichen Aspekt, nämlich die Einstellung „Wer es sich leisten kann, der soll es auch haben“. Wer so denkt, sollte eine einfache Rechnung machen: Wie viele Baugebiete müssen zusätzlich erschlossen werden, wenn in einer mittelgroßen Stadt 10 Prozent der Einwohner nicht auf 50 Quadratmetern pro Person leben, sondern auf 100 oder 150 Quadratmetern – und wer trägt die Kosten dafür? Diese zusätzlichen Kosten trägt die Gemeinschaft, dazu kommen die ökologischen Kosten des Landschaftsverbrauchs. Fuhrhop rechnet in die andere Richtung: Wenn jeder nur ein Zehntel weniger Wohnfläche verbraucht, „werden vier Millionen Wohnungen frei, Platz für zehn Millionen Menschen“. Das würde gerade am Bodensee den Wohnungsmarkt deutlich entspannen – und einige Landschaften vor der Bebauung bewahren.
Im Vorwort zu „Einfach anders wohnen“ schreibt Daniel Fuhrhop: „Platz sparen rettet Freiräume in den Städten und schont die Umwelt. (…) Am meisten Energie sparen Häuser, die gar nicht erst gebaut werden. Das Beste aber: Auf weniger Raum leben macht glücklich.“ Wie weit das stimmt, können Sie nur durch eigene Erfahrung herausfinden.
Daniel Fuhrhop:
„Verbietet das Bauen! Eine Streitschrift“, Oekom Verlag, 2015, 192 S., 17,95 Euro
„Einfach anders wohnen. 66 Raumwunder für ein entspanntes Zuhause, lebendige Nachbarschaft und grüne Städte“, Oekom Verlag, 2018, 128 S., 14,- Euro
www.verbietet-das-bauen.de
Text & Bilder: Patrick Brauns