Leinöl ist gesund, das weiß heute jedes Kind. Überall liest man von der herausragenden Bedeutung der darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren auf unseren Organismus. Die gängigen „Omega-3-Ratschläge“ lauten: fettreicher Seefisch, Nüsse und Pflanzenöle. Das Leinöl nimmt hierbei eine Sonderstellung ein. Sein Gehalt an Omega-3-Fettsäuren liegt bei bis zu 55 Prozent. Diesen Wert erreicht kein anderes Lebensmittel.

Im ständigen Bestreben, meine Ernährung zu verbessern, beschließe ich also, Leinöl in meinen täglichen Ernährungsplan zu integrieren. Doch woher bekomme ich gutes Leinöl? Die hohe Reaktionsfähigkeit der mehrfach ungesättigten Fettsäuren dieses Öles ist Vor- und Nachteil zugleich: Nach der Pressung und erst recht nach der erstmaligen Öffnung der Flasche büßt es kontinuierlich an Qualität ein, selbst bei sachgerechter Lagerung (dunkel und kalt). Also kommt ein Supermarkt-Öl, das zumeist erst Wochen nach der Pressung in die Regale kommt und dann bei Lichteinfluss und Zimmertemperatur langsam abverkauft wird, nicht in Frage. Auch wäre ein unbelastetes Bio-Öl wünschenswert. Ich recherchiere und finde Ölmühlen im Bodenseeraum. Eine davon ist die Bio-Leinölmühle von Oliver Bucher und Sybille Wilke, die in Ettenkirch bei Friedrichshafen einmal in der Woche Bio-Leinöl aus heimischer Saat presst. Dabei produzieren die beiden nur so viel Öl, wie bestellt wird, oder sich in den Folgetagen im kleinen, automatisierten Hofladen verkauft. Bestelltes Öl wird sofort verschickt oder kann vor Ort abgeholt werden. Das Konzept begeistert mich sofort. Regionalität, Qualität und kurze Wege – so stelle ich mir das vor. Ich beschieße also nach Ettenkirch zu fahren und mir diese regionale Ölmühle anzuschauen.

Eine alte Kulturpflanze

Ettenkirch, ein zu Friedrichshafen gehörender kleiner Ort, liegt in einer Kulturlandschaft, die geprägt ist vom Obstanbau und den langen Stangen der Hopfengärten. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts wurde hier auch Flachs angebaut und daraus Leinfasern und Leinöl gewonnen, die wiederum zu Leintuch, Seilen, Farben und Linoleum verarbeitet wurden. Importierte Baumwolle und Erdölprodukte verdrängten den Flachs in der Bodenseeregion dann aber zunehmend. Dennoch ist er auch heute noch in unserer Sprache verwurzelt. So gibt es in Ettenkirch eine Straße, die Flachshalde heißt. Und man fragt: „ohne Flachs?“, um zu erfahren, ob etwas scherzhaft gemeint ist, oder macht eine „Fahrt ins Blaue“, womit die leuchtend blauen Flachsfelder in der Blüte gemeint sind.

Oliver Bucher und Sybille Wilke haben 2013 damit begonnen, hochwertiges Leinöl zu pressen. Nach vergeblichen Versuchen, für sich und ihre Familie frisches und schmackhaftes Leinöl zu beschaffen, schritten sie selbst zur Tat und schafften eine kleine Ölpresse an. Ihr ursprünglicher Plan dabei war eigentlich, hochwertiges Leinöl für den Eigenbedarf herzustellen. Nach und nach klinkten sich jedoch mehr und mehr Freunde und Bekannte ein und es entstand das wöchentliche „Ritual der Leinölpressung“ – bis 2017 die Produktion an ihre Grenzen stieß. Eine neue, leistungsfähigere Ölpresse wurde angeschafft, mit der bis heute das naturtrübe, kaltgepresste Bio-Leinöl hergestellt wird.

Am liebsten ungefiltert

Als ich in Ettenkirch eintreffe, ist die Produktion schon in vollem Gange. Der Raum duftet aromatisch nach dem nussigen Leinöl, das unablässig aus der Pressspindel läuft und über eine Ablaufrinne in ein Ölfass tropft. Die Maschine wirft an anderer Stelle die ausgepressten Fasern in Form von Pellets aus. Sie sind ein ausgezeichnetes Tierfutter, das noch Anteile des wertvollen Öls enthält und das Fell der Tiere zum Glänzen bringt. Das bringt Hoffnung für mein stumpfes Haar und ich schreite zur Verkostung. Das nussig duftende, bräunlich-trübe Öl überzeugt mich durch seine frische Fruchtigkeit und sein äußerst angenehmes Aroma. Ich kannte bisher nur die transparent-gefilterten, mehr oder weniger bitteren Leinöle des Handels, die mich keineswegs überzeugten. Oliver Bucher erklärt mir, dass eine Bitternote im Öl auf dessen Alter, auf schlechte Qualität der Samen oder hohe Presstemperaturen hinweist. Das angenehm-milde Aroma und die Trübung seines Öls sind das Resultat konsequenter Frische und dem Verzicht auf Filtration. Das A und O dabei sind jedoch die kurzen Lieferwege und der rasche Konsum. Ungefiltertes Leinöl enthält außerdem einen hohen Anteil an Schwebstoffen aus der Leinsaat, die sogenannten Lignane. Diese sind für die natürliche Trübung verantwortlich und verstärken die positive Wirkung des Leinöls. Während Oliver Bucher und Sybille Wilke anfangs europäische Leinsaat verarbeiteten, konnten Sie in den letzten Jahren zwei Bioland-Bauern aus der Bodenseeregion für den Flachsanbau gewinnen und haben somit sogar kontrolliert-biologische Leinsaat vom Bodensee zur Verfügung. Froh, ein hochwertiges Leinöl gefunden zu haben, decke ich mich mit einem Zwei-Wochen-Vorrat ein und trete die Heimreise an.

von Peter Arweiler

Weitere Informationen unter www.leckeres-leinoel.de