Der „Monkey 47“ aus dem Schwarzwald wurde zu einer Erfolgsgeschichte – und blieb nicht lange alleine. Unter den Gin-Begeisterten befinden sich inzwischen immer mehr Brennerinnen. Wir haben drei besucht, deren Philosophie kaum unterschiedlicher sein könnte.
Seit Jahren geht der Trend zum Gin. Auch am Bodensee, im Land der Obstler und Edelbrände. Warum das so ist, wollen wir ergründen – und starten in Wahlwies, im Obstbaubetrieb der Familie Koch. Hier steht Andrea Koch für den Gin, seit Sommer 2020 ist sie mit ihrer „Brennlust“ selbstständig.
Gin im Apfeldorf Wahlwies
Sie empfängt in einer großen offenen Küche im ersten Stock des Bauernhauses. Hier steht die kleine Destille, mit der sie Workshops leitet – und neue Rezepturen entwickelt. Auch ihre beiden Ginsorten „Limestone – Green Edition“ und „Red Edition“ hat sie damit erprobt und ausgefeilt. Schon beim Schnuppern werden die Unterschiede deutlich: Die Green Edition scheint frischer und klarer, vielleicht eher für den Sommer geeignet, die Red Edition wärmer und würziger – perfekt für den herbstlichen Kaminabend. Ja, so sei es gedacht, frische Limette prägt bei der Green Edition. Bei der Red Edition lassen sich Zimt, Sternanis und Nelken erraten, dazu kommt die exotische Tonkabohne.
Andrea Koch kommt mit sechs für die grüne beziehungsweise sieben Botanicals für die rote Variante aus, komponiert um den obligatorischen Wacholder herum: „Ich möchte wenige Zutaten verwenden, die sich wieder erkennen lassen“, sagt sie. Also sechs oder sieben. Nicht 22 oder gar 47 wie beim Schwarzwald-Gin Monkey 47, der 2011, nach der Auszeichnung als weltweit bester Gin, durch die Decke ging. Bis heute wird er erfolgreich verkauft, inzwischen in großen Chargen, und längst nicht mehr im Schwarzwald produziert.
Der „Affe“ als Vorreiter
„Klar hat der Monkey 47 viel bewirkt“, bestätigt Andrea Koch. „Die Öffentlichkeitsarbeit ist ausgefeilt – aber es ist auch ein sehr gutes Produkt“. Sie hat eine weitere Erklärung für den Gin-Boom: Die Menge ist beim Gin nicht reglementiert. Während sie als Kleinbrenner im familieneigenen Obsthof nur 300 Liter reinen Alkohol pro Jahr erzeugen dürfen, kann Gin, genau wie andere Geiste, unbegrenzt hergestellt werden. Und sie sieht einen dritten Grund für den Boom: „Gin ist ein unglaublich einfaches Produkt, jeder kann Gin brennen.“
Zum Vergleich beschreibt Andrea Koch die komplexe Herstellung sortenreiner Edelbrände: „Das ist höchste Kunst“, sagt sie. Dabei komme es zunächst auf das Obst an, das Wetter wirke sich unmittelbar aus. Es braucht gesunde, vollreife Früchte und ein sehr sauberes Fass für die Maische: „Da dürfen keine anderen Hefen dazwischen kommen.“ Erst, wenn die Maische gut gelungen ist, wird gebrannt. Ihr Vater Otto sei „ein Meister des Brennens“.
Sie selbst ist „staatlich geprüfte Brennerin“. Ein Ausbildungsberuf, den sie in der Landwirtschaftsschule in Offenburg gelernt hat, parallel zu ihrem Job bei einer Stuttgarter Eventagentur. Der ist sicher keine schlechte Voraussetzung für die Kurse, die sie teils online anbietet. Der Clou sind ihre Brennabende, für die sie auch ins Haus kommt, für eine Geburtstagsfeier oder einen Junggesellenabschied beispielsweise. Holla, und das mit viel Alkohol? „Ich selbst trinke während der Abende keinen Tropfen“, erklärt sie.
Die 33-Jährige Brennerin wirkt klar und strukturiert. Neben Edelbränden, Gin und Geisten sind auch Liköre inzwischen im Programm der Familien-Destillerie, mit rund 30 Prozent deutlich hochprozentiger als üblich und mit weniger Zucker. „Wir machen sie so, dass sie uns schmecken.“ – Und was würde ihr niemals in den Gin kommen? Lavendel, aber das sei eine persönliche Abneigung.
Zuletzt schauen wir noch in den Brennraum im Erdgeschoss. In Fässern reift die Maische für die Obstbrände: Cox-Orange und Schweizer Wasserbirne, Mirabelle und Zibarte. Aber auch Trauben von der Reichenau für edlen Trester. Wir sind also doch im Obst- und Weinland, hier am Bodensee. Verkauft wird nach Voranmeldung auch ab Hof – oder online (www.brennlust.de).
Silke Senft Senft-Shop
Glüh-Gin in Salem
Geschäftig geht es in Salem-Rickenbach zu, in der Destillerie der Familie Senft. Hier wartet ein großer Verkaufsraum auf Kundschaft, und man darf gleich einen heißen Glüh-Gin probieren. „Der boomt zur Zeit“, hatte Silke Senft schon am Telefon berichtet. Fix fertig gemischt mit Apfelsaft bringt er 17 Prozent Alkohol mit, deutlich mehr als ein Glühwein. Drum empfiehlt sich eher ein kleines Gläschen. Silke Senft ist 36 und brennt bereits ihr halbes Leben lang. Wie andere ein kleines Auto, bekam sie mit 17 ihre eigene Brennerei geschenkt, damals noch unter der Aufsicht eines Vormunds, wie sie berichtet.
Die Motivation zum Ginbrennen entstand allerdings durch ihren Mann, denn der ist Gärtner. So hatten sie die Idee, eigene Kräuter anzubauen und diese zu brennen. Was sich dann doch als weniger praktikabel erwies: „Gerade Kräuter kommen oft ganz anders raus, als gedacht. Manche werden bitter“, erzählt Silke Senft. Sie verwenden immer noch frische Kräuter, ausgefeilt sind inzwischen aber die Mengen und der Einkauf. Zitronengras, Salbei, Kamille zählt sie auf, dazu Angelikawurzel. Wacholder natürlich, in erster Linie. Und Zitrusfrüchte, die sie von einem Slow-Food-Betrieb auf Sizilien beziehen. Grapefruit, Zitrone und vor allem Orange, und zwar die ganze Frucht. Das wäre doch zu schade, meint Silke Senft. Wir sitzen inzwischen auf der Empore im zweiten großen Showroom. Im hinteren Teil steht die neue Turbo-Destille, die deutlich mehr kann als die vorherige. Ihr Mann überwacht gerade den Brennvorgang.
Auf die Machart kommt es an
Der erste Gin kam 2014 auf den Markt, mit 21 Botanicals und frischer Limettennote. 2016 kam der „42er“ dazu, mit doppelt so vielen Zutaten, darunter auch Lavendel. Die Edelbrandsommelière kennt keine Zutat, die sie komplett ablehnen würde: „Man darf nie nie sagen“. Etwa einmal im Monat verkostet sie Spirituosen in Neustadt an der Weinstraße. Dort sitzt sie in der Jury der ISW, der Internationalen Spirit und Weinvereinigung und bewertet Hochprozentiges: „Wir probieren auch Saki oder exotische Sachen. Es muss fehlerfrei und gut gemacht sein“, sagt sie, „und nicht meinem persönlichen Geschmack entsprechen“.
Aus dem ersten Gin ist inzwischen eine ganze Gruppe geworden. Brot-Gin brennen sie in Kooperation mit der Bäckerei Baader aus Frickingen, auf Anregung von Franziska Baader, der die Nachhaltigkeit besonders am Herzen liegt. Für die Landesgartenschau in Überlingen entstand der Iris-Gin, eine Spezialedition mit Veilchenwurzel, und gerade boomt der Glüh-Gin. Ob mit oder ohne Weihnachtsmarkt in diesem Dezember.
Der Senft-Gin schmeckt pur, ein Edelbrand-Tasting-Glas findet Silke Senft dafür in Ordnung. Aber er darf auch gemischt werden, mit einem neutralen Tonic wie „1724 Seventeen“. Die Salemerin ist aufgeschlossen allen neuen Ideen gegenüber. Ihre aktuelle Leidenschaft gehört dem Whiskey; schnell zeigt sie noch das gigantische Lager mit den Holzfässern. Online-Tastings veranstaltet sie zusammen mit Arthur Nägele, ihrem Sommelier-Lehrer aus Vorarlberg. Das nächste wird bereits am 3. Dezember sein, wer schnell ist, kann noch teilnehmen (www.senft-destillerie.de).
Hohe Kunst in Friedrichshafen
Last but not least besuchen wir Christine Brugger in Friedrichshafen-Spalenstein. Auf dem Demeter-Hof ihrer Eltern hat sich die Sensorik-Wissenschaftlerin mit eigener Firma in der Schweiz eine Brennerei eingerichtet. Ein zweites Standbein, das sie wieder mit ihren Wurzeln verbindet.
Christine Brugger Brugger Ginnie
Ihre Liebe gilt dem Gin – und den besten Aromen der Welt, die dazu passen. Dafür hat sie lange studiert, experimentiert und extrahiert. Wie lässt sich ein Duft oder ein Aroma am besten aus der Pflanze herausholen und konservieren? In einem massiven Regal stehen bauchige Flaschen, darin feine Ingwerscheiben in Alkohol, Kumquat oder lila Karotte, Silber Wermut. Kostbare Essenzen, die von exklusiven Bars und Sterneküchen angefordert werden.
Um zehn Uhr dreißig läuft der erste Gin aus dem Hahn, ein Vorlauf, den sie zügig abnehmen muss. Sortiert in nummerierte Gläschen von eins bis 14, die ersten wird sie verwerfen, die letzten einer strengen Geruchs- und Geschmackskontrolle unterziehen. Das ein oder andere darf dann noch mitmischen, in der großen 50-Liter-Glasflasche, die sie gegen Abend sanft schwenken wird, damit sich alle Aromen verbinden. Knapp 40 Liter hochprozentiger Gin entstehen an einem Brenntag. Dann wird in zwei kleinere Glasflaschen aufgeteilt, mit Naturkork („endlich ist der wieder lieferbar“) verschlossen und zum Reifen in den dunklen Keller gebracht. Fünf Jahre bleibt der da, bis die perfekte Harmonie von blumigen und würzigen Noten entstanden ist und auf Trinkstärke von stolzen 52 Volumenprozent verdünnt und abgefüllt werden kann.
Wissenschaftliche Herangehensweise
Christine Brugger brennt zwei unterschiedliche Gins: Ginn und Ginnie. Ginnie wurde für Nasenmenschen entwickelt, Ginn für Gaumenmenschen. Als Sensorik-Wissenschaftlerin hat sie herausgefunden, dass Frauen eher über die Nase genießen, über die „erste Nase“, also den Duft. Männer über die zweite Nase, die Aromen, die zugleich vom Gaumen aufgenommen werden. Sie mögen deshalb den Ginn meist lieber, der etwas erdiger daherkommt. Einen Teil der Zutaten hat sie auf der Hobelbank ausgebreitet: Longtail-Pfeffer für die Schärfe. Er bringt Eukalyptus- und Mentholnoten mit, etwas Bitteres zudem. Wacholder und Koriander, der auch in der Brennblase deutlich zu erkennen ist. Angelikawurzel, Kamille, süße Orangenschale. Eine Duftrose dazu, die am Morgen zuletzt und frisch geschnitten werden muss. Gewürze werden gemörsert und in Alkohol eingeweicht, Kräuter und Rosen über die Aromakörbe beigefügt.
Ein Fernseh-Team war drei Tage auf dem Hof, um die Herstellung aufzunehmen, der Film aus der Reihe „Handwerkskunst“ lässt sich noch bis nächsten August über die ARD-Mediathek abrufen. Besser kann man das nicht zeigen, und eine höhere Kunst habe auch der Regisseur nie gesehen. Wir auch nicht.
Alle Zutaten wurden biologisch angebaut und schonend von Hand verarbeitet. Bis hin zur Verpackung: Abgefüllt wird in Apotheker-Fläschchen, von Hand verkorkt und mit einem Apotheker-Knoten verschnürt, verpackt in Recycling-Kartons mit Origami als Polstermaterial. Zu Apotheker-Preisen, das versteht sich. Einige Delikatessen-Läden führen dieses High-End-Produkt, etliche edle Hotels und Bars bieten es an (www.organic-distillery.com).
Im Hofladen Brugger wird ausschließlich Obst aus eigenem Anbau verkauft, ein großes Sortiment an Äpfeln, die letzten Walnüsse, dazu gerade ein Würz-Salz, das Christine Brugger mit zitronigen Kräutern frisch komponiert hat. Eine kleine Übung am Rande.
von Doris Burger (Text und Fotos)