Winfried Neumann wird oft Mr. Kulturufer genannt – dabei ist er sehr viel mehr als das. 35 Jahre lang hat er das kulturelle Leben in Friedrichshafen maßgeblich geprägt. Am 31. März wird sein letzter Arbeitstag sein – er überlässt seiner Nachfolgerin Sarah Baltes, die zuvor auf der Schwäbischen Alb Kultur gemacht hat, ein großes Erbe.

1985 ist er gekommen, um zu bleiben. 35 Jahre lang in derselben Stadt, das ist für einen Kulturschaffenden eher ungewöhnlich. „Es war eine tolle Zeit. Friedrichshafen war ein absoluter Glücksfall für mich. Ich hatte jede politische Unterstützung, ein gutes Budget und niemand hat mir reingeredet. Alles hat gepasst, ich habe sehr viele Freiheiten besessen und hatte all die Jahre einen Traumjob. Die Rahmenbedingungen und die Mitarbeiter waren so toll, ich hätte nichts Besseres finden können“, schwärmt Winfried Neumann.

Geboren ist er in Warnemünde. Seine Eltern sind geflohen, so kam er nach Konstanz, wo er aufgewachsen ist. Er war Statist am Stadttheater in Konstanz und hat schon mit 22 Jahren als Regieassistent in Zürich gearbeitet. Da habe er schnell gemerkt, dass der wichtigste Mann im Theater der Verwaltungsdirektor ist, denn der bestimmt, wie viel Geld es gibt, welche Schauspiele aufgeführt werden, welche Schauspieler engagiert werden, wie lange sie proben dürfen. Da sagte er sich, „dann werde ich doch lieber Verwaltungsdirektor als Regisseur“ und studierte an der Konstanzer Uni Verwaltungswissenschaften, richtete sein Studium stark am Kulturmanagement aus. Er wusste ja schon, welche berufliche Route er einschlagen wollte. Er habe viel nützliches juristisches, betriebswirtschaftliches und politisches Wissen erhalten und zielgerichtet Kurse wie „Theaterfinanzierung“ oder „Förderung für Theater“ belegt und seine Diplomarbeit über „Personalpolitik und künstlerische Freiheit“ geschrieben. Sein Weg führte ihn danach ans Frankfurter Theater.

Theater und Musik für alle

Dass er mit 30 Jahren zurück an den Bodensee gekommen ist, sei reiner Zufall gewesen. „So sehr ich unsere Heimat schätze, ich war nicht darauf fokussiert zurückzukommen. Aber die Stadt hat mir die besten Möglichkeiten gegeben, hier zu arbeiten.“ Damals wurde das Graf Zeppelin Haus (GZH) gebaut und die Stadt Friedrichshafen suchte jemanden, der es mit Leben füllt und das Programm entwickelt. Er bewarb sich und bekam die Stelle. „Bevor es das GZH gab, gab es in Friedrichshafen wenig Kultur: zwölf Veranstaltungen im Jahr in einer Turn- und Festhalle, in der man die Basketballkörbe zur Seite geschoben hat“, erzählt er. Kulturell gesehen also viel luftleerer Raum, den er mit seinem damals noch sehr kleinen Team füllen konnte. „Wir haben mit einem neuen Programm angefangen, das in der Region in dieser Form zuvor nicht zu finden war, und hatten gleich viel Erfolg damit“, erinnert sich Neumann. Internationale Jazzkonzerte, Ballett- und Tanzveranstaltungen, Kinder- und Jugendtheater, Orchesterkonzerte … und recht schnell das Kulturufer. Auch wenn es nur einen Baustein im kulturellen Leben der Zeppelinstadt ausmacht, ist es doch eine der wichtigsten und erfolgreichsten kulturellen Veranstaltungen, mit Alleinstellungsmerkmal für Friedrichshafen. Das Kulturufer, mit seiner Kinder Aktionswiese, seinen Jugendangeboten, dazu Filme, Konzerte, Sprechtheater, Tanztheater, klassische Musik, Kabarett, Chanson-Abende, Straßenkunst, Straßentheater, Kulinarik … bietet bis heute ein sehr vielfältiges Programm für eine breite Zielgruppe. „Das war unser Motto von Anfang an: Theater und Musik für alle“, sagt Neumann. Das Kulturufer habe sich zu einem Treffpunkt entwickelt, an dem die Leute leicht und locker Kultur genießen können. An dem sich schon Kinder und Jugendliche kreativ beteiligen. „Wer im Zirkuszelt Tanztheater genossen hat, traut sich danach auch mal für eines ins GZH. Das Kulturufer ist Türöffner für die anderen kulturellen Institutionen.“

Als Nächstes stand die Gründung des Bodenseefestivals an, zusammen mit dem Südwestfunk und der Stadt Konstanz. „Das war unser erstes großes Kultur-Netzwerk am Bodensee. Früher herrschte unter den regionalen Kulturveranstaltern eher Konkurrenzdenken. Durch das Bodenseefestival hat sich das verändert. Es ist etwas Bindendes. Viele Städte rund um den Bodensee beteiligen sich daran. Die Kulturschaffenden treffen sich regelmäßig, gestalten gemeinsame Projekte. Dieses Netzwerk rund um den See ist die größte und wichtigste Leistung des Bodenseefestivals. Die Kontakte sind dauerhaft, gemeinsam bringen beispielsweise die Kulturämter von Weigarten, Ravensburg und Friedrichshafen das Kulturmagazin ,Stadt Land See‘ heraus, in dem die sie ihre Veranstaltungen präsentieren und auch anderen Kulturschaffenden eine Plattform bieten.“

Ein Künstlerförderpreis wurde eingeführt. Großartige Companien an den See geholt. Die großen Choreografen, Produktionen und Künstler, wie Heinz Spörli oder William Forsythe, das Tokyo Ballett oder Keth Jarrett, habe er unter anderem durch seine Verbindungen in die Szene, die er sich in Zürich und Frankfurt erarbeitet hat, nach Friedrichshafen holen können. Und durch perfekten Service. „Die Künstler merken, dass wir uns gut um sie kümmern. Wir nehmen sie liebevoll auf und bieten ihnen für die Dauer ihres Gastspiels eine Heimat.“

Kultur-Großstadt Bodensee

Es haben sich neue Kulturstätten entwickelt: Das Kulturhaus Caserne im Fallenbrunnen wurde zum Kulturzentrum. Der Bahnhof Fischbach wurde gegründet, in dem das Kulturbüro Friedrichshafen viele Veranstaltungen durchgeführt hat. Schließlich wurde der Kiesel am K 42 gebaut. Eine Bühne, auf der Kinder und Jugendliche sich ausprobieren, in dem Theaterclubs auftreten und experimentelles Theater seinen Platz erhalten hat. „Der Raum eignet sich hervorragend dafür. Er hat nur etwa 120 Plätze, aber eine vollwertige Bühne mit Flügel. Das Publikum sitzt quasi auf der Bühne. Durch diese räumliche Nähe entsteht viel Begeisterung für Theater, vor allem bei jungen Leuten“, sagt Neumann. Auch die Earth-Crake Reihe findet hier statt. Sie wurde vor 15 Jahren erfunden, ist bis heute erfolgreich und lädt junge Pianisten bis 30 Jahre ein. Sie spielen als verbindendes Glied erst Beethoven, um dann moderne Komponisten zu präsentieren. Der Name „Earth Crake“ wurde gewählt, weil von Beethoven eine Art Erdbeben ausgegangen sei, welches Komponisten bis heute beeinflusse.

„Es war uns stets wichtig, auch die Festhallen der Gemeinden zu bespielen und zu fördern. Ich glaube, wir haben einen großen Teil der Bevölkerung in Friedrichshafen und darüber hinaus mit Kultur versorgt und unseren kulturellen Auftrag gut erfüllt. Der Fokus war stets auf Qualität und Abwechslung gerichtet. Die Region muss sich nicht vor großen Städten verstecken. Das akzent Magazin hat vollkommen Recht, wenn es von der Großstadt Bodensee spricht“, resümiert Neumann. Viele Geschichten könnte er erzählen. Aber jetzt hört er auf. Freut sich auf seinen Ruhestand. Vor ein paar Monaten erst ist er Opa geworden. „Ich freue mich auf viele Besuche bei meinem Enkelkind in München. Ich reise gerne und ich werde der Kultur als Gast treu bleiben“, verspricht er.

Text und Foto: Susi Donner

Eine Geschichte aus dem Nähkästchen von Winfried Neumann

Er wollte das Pariser Opernballett nach Friedrichshafen holen – Rudolf Nurejev war damals, 1989, dessen Direktor. Die Schwierigkeit: Es ist keine Tourneeproduktion, sondern ein Exklusivgastspiel. Winfried Neumann erhielt auf seine Einladung eine Abfuhr. Also stattete er dem Verwaltungsdirektor in Paris einen persönlichen Besuch ab. „Er sagte zu mir, sein Job sei es, den Ruf des Pariser Balletts, als das größte und wichtigste Ballett der Welt zu erhalten. Er fragte mich, wie er das machen solle: Indem er ein Gastspiel in Tokyo, in New York oder in Hamburg buche. Oder indem er nach Friedrichshafen komme“, erinnert sich Neumann. Seine Ehrlichkeit, zuzugeben, dass Friedrichshafen wohl nicht der richtige Standort dafür sei, hat den Verwaltungsdirektor so sehr beeindruckt, dass er sich Friedrichshafen angeschaut hat. „Ich weiß noch genau, wie ich ihn in Zürich am Flughafen abgeholt habe. Wir sind mit der Fähre gefahren, und er hat die frische Luft tief eingeatmet. Die Berge waren so schön. Wir sind über den Weihnachtsmarkt gegangen und dann in den Theaterstadel Markdorf, der zu der Zeit als Barocktheater ausgebaut war. Wir haben Schweinefleisch von glücklichen Schweinen gegessen, und ich habe ihm die Geschichten erzählt, vom Schweinehirten, der jetzt den Kulturbetrieb rockt.“ Der Verwaltungsdirektor sei so beeindruckt gewesen von diesem Gesamterlebnis, dass er sagte „wir machen das“. Und so kam das Pariser Opernballett nach Friedrichshafen. „Und wir mussten nur die tatsächlich entstehenden Kosten, aber keine Gage bezahlen. Sogar Rudolf Nurejew kam extra aus Italien angeflogen und hat selber getanzt.“