…mit düsterer Vergangenheit. Auf der Nordseite des Überlinger Sees liegt der vom See aus sehr markante Goldbacher Felsen, der ein altes Geheimnis birgt. Er erstreckt sich, im Westen bei der Süßenmühle beginnend, über Goldbach bis zum westlichen Ortsanfang von Überlingen.
Von Hubert Domin

Die Felsen, so wie sie heute zu sehen sind, sind noch gar nicht so alt. Vor der Zeit der Straßen und Eisenbahnen am See gab es hier die sogenannten Heidenhöhlen. Östlich des Dorfes Goldbach wurden sie in den Molassesandstein des fast senkrecht abfallenden Heidenlöcherfelsens eingehauen. Er ragte früher relativ weit in den See hinein und versperrte das Ufer, sodass ein Fußweg nur bei niedrigem Wasserstand von Goldbach Richtung Sipplingen führte. Die Anlage bestand aus einzelnen, sorgfältig aus dem Felsen gearbeiteten Räumen mit Fensteröffnungen in der Felswand, die den Blick zum See hin freigaben.

Verkehrsplanerische Einschnitte

Die Heidenhöhlen wurden 1846 zum Teil zerstört, als für die Bodensee-Uferstraße – die spätere Bundesstraße 31 – eine Schneise durch die Felsen gesprengt wurde. Es folgte der Ausbau der Eisenbahnlinie im Jahr 1894 von Stahringen über Ludwigshafen bis nach Überlingen als Endbahnhof. Für die größtenteils am Seeufer verlaufende Strecke wurden große Teile der Felswand abgetragen. Ende der 1950er-Jahre wurde ein Campingplatz am See errichtet sowie Straßenerweiterungen durchgeführt. Durch ein Unwetter stürzte 1960 der östliche Teil der Höhlen ein. Daraufhin wurden weitere Teile wegen Einsturzgefahr zur Sicherung der nahe gelegenen Bundesstraße gesprengt. Der geplante Abbruch der im Weg stehenden und bis dahin noch als unbedeutend geltenden Silvesterkapelle konnte durch den Widerstand aus der Bevölkerung verhindert werden.

Nutzung des Stollens im Krieg

Nachdem die Friedrichshafener Industriebetriebe – namentlich die Luftschiffbau Zeppelin, Maybach, Dornier und Zahnradfabrik Friedrichshafen – in der Zeit des Zweiten Weltkrieges auch Rüstungsgüter herstellten und die Stadt deshalb des Öfteren Angriffsziel der Alliierten war und stark unter Beschuss stand, wurde eine Möglichkeit gesucht, die Produktion von Flugzeugteilen in einen unterirdischen Stollen zu verlagern und somit unsichtbar zu machen. Da es sich nicht gerade um kleine Bauteile handelte, die man dort herstellen wollte, musste ein geeigneter Ort gefunden werden, der leicht zu bearbeiten war und perfekt versteckt lag. Hier bot sich Überlingen an. Ein Vorteil der Lage war unter anderem die Nähe zur Schweiz. Davon profitierte auch die nördliche Seite des Sees. Bombenangriffe und Überwachungsflüge fanden zwar statt, das Versteck zu bombardieren, war aber aufgrund der Verdunkelung von Konstanz deutlich schwieriger. Man wollte nicht versehentlich in Konflikt mit der Schweiz geraten. Wichtigster Grund für die Wahl des Standorts war sicherlich der weiche Molassefels oder Sandstein, wie er auch genannt wird, denn dieser sollte den Druck von Bomben absorbieren und bot zudem ein schnelles Vorankommen beim Bau einer unterirdischen Anlage. Es war schließlich keine Zeit bei der Errichtung dieses Bauwerkes zu verlieren. Ferner konnte der Aushub kurzerhand in den See geschüttet werden. Davon zeugen heute noch Loren im Stollen sowie auf dem einstigen Campingplatz, der der Landesgartenschau im Jahre 2021 weichen musste. Durch die Bahngleise konnte man Rohmaterial für den Bau des Stollens schnell zu- und ausbringen und die Fertigprodukte rasch abtransportieren. Immerhin waren damals um die 100.000 qm Produktionsfläche geplant.

Dunkles Kapitel der Stadtgeschichte

Gebaut haben den Stollen etwa 800 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau in Bayern. Die Zwangsarbeiter wurden im Herbst 1944 aus Dachau nach Überlingen gebracht, wo sie in einem eigens dafür errichteten Lager mit Baracken – etwas unterhalb des heutigen Krankenhauses – untergebracht waren. Jeden Morgen wurden die Insassen des Lagers, von Wach-Personal und Wachhunden geleitet, durch die Straßen von Überlingen zum Stollen geführt. Es gibt hierzu noch lebendige Beschreibungen davon, wie der allmorgendliche Tross die Stadt hinunterlaufen und abends denselben Weg zurück antreten musste. Die Arbeit war äußerst anstrengend und die Lagerbedingungen sehr schlecht. Mindestens 243 der Häftlinge kamen bei den Arbeiten ums Leben. Sie starben aus Erschöpfung oder an Mangel an Lebensmitteln. 97 von ihnen sind auf dem KZ-Friedhof östlich der Klosterkirche Birnau bestattet.

Nachkriegszeit

Zum Kriegsende, nach knapp siebenmonatiger Bauzeit, marschierten die Franzosen am 25. April 1945 in Überlingen ein. Da sie vom Stollen wussten, wurden die Haupteingänge sogleich durch Sprengungen verschüttet. Die Gänge jedoch blieben verschont und können deshalb noch heute besichtigt werden. Produziert wurde im Stollen nie etwas. Aufgrund des Kriegsfolgegesetzes obliegt der Goldbacher Stollen der Bundesvermögensverwaltung. Der Bund hatte damit die Verantwortung für die Anlage übernommen und so wurde die Stollenanlage zwischen den Jahren 1983 bis 1989 grundlegend saniert, wobei auf allen Oberflächen eine Spritzbetonschicht aufgetragen wurde. So wie schon früher wird der Stollen bis heute als Bootslager verwendet. Und bei der Flugzeugkatastrophe im Jahr 2002 wurden dort die Überreste der toten Insassen beider Maschinen untergebracht, um eine Identifizierung der Leichen vornehmen zu können.

Der Stollen in Zahlen

Die Dimensionen des Projektes sind erstaunlich. Hier ein paar Zahlen zur Größe der Anlage:
Stollenbreite: ca. 2–25 m, Höhe: ca. 2–10 m; Gesamtlänge: 3,6 km (heute zugänglich). Insgesamt hat der Stollen eine Länge von etwa 4,3 km. Davon können mit dem Auto 2,5 km und mit dem LKW 1,5 km befahren werden. Es gab einen großen Haupt- und 17 Querstollen mit etwa acht Haupt- und Nebeneingängen. Eine geplante Stromversorgung über einen versteckten Zugang im Wald wurde nicht
mehr realisiert.

Gedenken und Aufklärung

Im neuen Bürgerpark, der zur Landesgartenschau 2021 angelegt wurde und seit 2022 frei zugänglich ist, kann der Goldbacher Stollen von Nahem in seiner ganzen Dimension betrachtet werden. Das Fenster im Molassefelsen lässt erahnen, was der Felsen für ein Geheimnis in sich birgt. Eine im Park aufgestellte Tafel und eine Lore erinnern an den geschichtsträchtigen Boden, auf dem die Besucher stehen, dem von KZ-Häftlingen in Zwangsarbeit geförderten Stollenaushub. Seit Herbst 1996 gibt es in der Stollenanlage die „Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen“. Der Verein „Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch e.V.“ führt jeden ersten Freitag im Monat (Mai – September) öffentliche, kostenlose Führungen durch, eine vorherige Anmeldung ist nicht nötig.

www.stollen-ueberlingen.de

Titelbild: Heutige Sicht auf den Felsen und Goldbacher Stollen mit Lore (Mitte) und Stollenfenster rechts daneben. Auf dem Berg gut zu sehen ist die Villa Weißenstein. © Hubert Domin