Berlin ist vom Bodensee so weit entfernt, wie Bern vom Thurgau. Gemeinsam ist beiden Regierungen allerdings der dilettantische Umgang mit Einkaufstourismus.
Die Thurgauer Zeitung watscht den Bundesrat harsch ab: „Kein Plan gegen den Einkaufstourismus: Bundesrat enttäuscht die Ostschweiz“, von „33 Seiten Lustlosigkeit“ ist gar die Rede über die Stellungnahme der Schweizer Regierung, die darin schulterzuckend ausbreitet, „dass man kein Rezept gegen den Einkaufstourismus im nahen Deutschland“ habe. So scheiterte etwa die St. Galler Standesinitiative, die eine Aufhebung der 300-Franken-Freigrenze bei der Mehrwertsteuer verlangte – die Eidgenossen dürfen also nach wie vor für 300 Franken steuerlich unbelastet in der Schweiz Waren einführen, mit einigen Ein- und Beschränkungen etwa bei Fleisch und Alkohol. Der Wunsch wäre hier gewesen, diese Grenze herabzusetzen – am liebsten auf Null.
„Null“ wäre auch der Wunsch auf deutscher Seite: Da will wiederum die neue Berliner Regierung die Auszahlung der eingenommenen Mehrwertsteuer behalten und darum die Bagatellgrenze auf 175 Euro setzen. Heißt: Erst ab einem Einkaufswert von 175 Euronen pro Bon würde die deutsche Mehrwertsteuer an die Auslandskunden rückerstattet werden müssen. Alles darunter sackt sich das Finanzministerium ein. Dass diese 175 Euro als „Bagatelle“ gesehen werden ist interessant – vielleicht für die eigene nächste Steuererklärung? Der Finanzausschuss hat diesen Wert übrigens willkürlich festgelegt – ich glaube ja, die haben sehr wohl geschaut, wo das rechtliche Minimum und das einzubehaltende Maximum korrelieren.
Was der grenznäher geborene Badener Konservative Schäuble als Finanzminischter sträflich verpennt hat, holt sein Hamburger Nachfolger Scholz nun milchmädchenrechnend nach – und nimmt den Schweizern Politikern damit die Arbeit ab. Sollte hier mal wieder ein Schweizer Lobbyist bei deutschen Regierungsstellen an den richtigen Stellschrauben gedreht haben, hätte der sich einen saftigen Bonus verdient – denn das letztlich entscheidende Parlament wird den Finanzminister keinesfalls brüskieren.

Irgendein (hirn)weicher Kompromiss wird also kommen. Kein Bonus allerdings ohne Malus: So werden gerade in Deutschland Fakten geschaffen, die negative Auswirkungen in der deutschen Region haben. Selbst eine Bagatellgrenze von „nur“ 50 Euro würde den Handel auf deutscher Seite auf jeden Fall treffen: Weniger Geschäfte, weniger Mitarbeiter, weniger Investitionen – weniger Steuern. (Dieser wachsweiche Kompromiss ist seit heute in Berlin beschlossene Sache! [Ergänzung der Redaktion]). Ob Ausländer überhaupt national mehrwertsteuerpflichtig gemacht werden können, ist juristisch überdies noch nicht final geklärt.
Gewinnen wird auf jeden Fall der Internethandel (der bekanntlich sowohl in D als auch in CH nicht immer Steuern zahlt!), die großen Vollsortimenter und die Konzerne. Verlieren wird der regionale beratungsintensive Fachhandel. Und den verlieren die schweizerischen und die deutschen Kunden in der Region gleichermaßen.
Grenzwertig!

Markus Hotz, Herausgeber
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