Wer mit Ben Bernhard ins Gespräch kommt, merkt schnell: Er ist mit voller Leidenschaft bei der Sache. Der gebürtige Konstanzer hat seine Passion als Kameramann, genauer als Cinematographer, gefunden. Die Liste seiner Dokumentar-, Werbe- und Spielfilme ist mittlerweile lang. Die seiner Auszeichnungen auch. Unter anderem Kamerapreis für „Homework“ und Preisträger bei Berliner Filmfestivals mit „Lost Reactor“, mit dem er 2019 auch für den Deutschen Kamerapreis nominiert wurde. „Aquarela“, den er mit Victor Kossakovsky gedreht hat, steht jetzt auf der Shortlist für den Oskar, und vor Kurzem hat Netflix bei ihm angeklopft. Sein Erfolgsrezept: Nicht nur unterhalten, sondern einzigartige, unvergessliche Momente liefern.

„Der Zuschauer schenkt uns seine Zeit – wir Filmemacher haben einfach eine große Verantwortung, dass wir etwas zurückgeben“, so Ben Bernhard. „Ich möchte dem Zuschauer einen Moment bescheren, den er ein Leben lang nicht vergisst.“ Sein Ziel: Es muss mindestens ein Bild pro Film hängenbleiben – ein Leben lang. Und dabei in seiner Gestaltung durch den Inhalt motiviert sein. „Darum geht’s!“ Der 38-Jährige hatte nach seinem Abitur verschiedene Praktika in der Medienlandschaft absolviert, um seinen Weg zu finden. Bereits zu Schulzeiten war er aushilfsweise auch für akzent tätig und bewarb sich schließlich um einen Studienplatz in Medien- und Kommunikationsdesign. „Ich hatte Glück, dass ich nicht genommen wurde“, lacht er heute. Immer wieder sei er bei seinen Jobs um die Kameras herumgezirkelt. Sie ließen ihn nicht los. Er absolvierte schließlich an der BHT Berlin einen Bachelor of Arts (Kamera) und wechselte 2011 zum Kamerastudium an die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Parallel hat er sich vom Assistenten hochgearbeitet, sodass er seit 2003 tatsächlich nur noch vom Filmemachen lebt. „Ich brauche einfach diese kreative Komponente.“ Auch wenn das Leben als Freelancer nicht das einfachste sei, „vor allem, wenn man nicht jedes beliebige Projekt annehmen möchte“, so Ben.
Projekte mit Wert
„Ich wollte immer einen sinnvollen Beruf ergreifen – eigentlich …“, schmunzelt der Cinematographer, wie sein Job als licht- und bildgestaltender Kameramann korrekt heißt. Er habe deshalb immer die Ambition, Projekte zu finden, die einen gesellschaftlichen und kulturellen Wert haben. So ist er heute in der sogenannten Arthouse und Independent-Ecke gelandet. Sprich Filme abseits des Mainstreams. Dass Arthouse- oder Studiokinos in Deutschland am Kinomarkt einen Anteil von nicht mal 10% haben, macht die Sache nicht einfacher. „Deutschland ist kein Kinoland“, so Bens Meinung. Während seine Filme anderswo auch mehrmals hintereinander Film des Monats werden, kämen in Deutschland bundesweit oft gerade mal 2.000 Zuschauer ins Kino. In anderen europäischen Ländern, wie etwa auch in der Schweiz, haben die Arthouse-Kinos immerhin einen Anteil von rund 30%.

Mehr als nur Wasser
Mit Aquarela könnte endlich einer seiner Filme nicht nur bei den Juroren, sondern auch bei den Zuschauern mehr Beachtung finden. 2011 wurden erste Texte geschrieben, 2014 Trailer gedreht, 2018 war das 90-minütige Werk schließlich fertig, das bei den Internationalen Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte und auch beim Londoner Film Festival und in Sundance gezeigt wurde. Ab Januar kommt Aquarela unter anderem ins Konstanzer Scala. „Geldgeber und Produzenten weltweit hatten uns in der Entwicklungsphase gedrängt, endlich Protagonisten zu nennen“, erzählt Ben. „Doch der Hauptdarsteller ist einfach Wasser. Das Wasser in all seinen Facetten.“ 90 Minuten Wasser? Einfach nur Wasser? Ben berichtet von den Dreharbeiten, die ihn unter anderem nach Venezuela, Grönland, Russland und in die USA gebracht haben. „Es war ein großes Abenteuer und es wurden keine Mühen gescheut, um die Idee umzusetzen.“ Spätestens wenn er sehr bildhaft von den Filmaufnahmen bei einer Atlantiküberquerung, um Wellen und Stürme zu filmen, und von Aufnahmen im weltweit höchsten Wasserfall in Venezuela erzählt, ist klar, dass man diesen Film gesehen haben muss. Und zwar auf großer Leinwand. Urgewalt im Kino spürbar machen war auch das Ziel von Regisseur Victor Kossakovsky. Mit ihm arbeitet Ben Bernhard bereits seit 2009 zusammen – ein großes Glück, wie er sagt. Kossakovsky ist Bens persönlicher Mentor. „Wir sind innovativ herangegangen und haben mit einer Bildzahl von 96 Bildern, statt 24, pro Sekunde gedreht“, so der Filmprofi. Dadurch wird eine höhere Bewegungsauflösung erreicht, und die Kamera kann beispielsweise über dem Wasser schneller bewegt werden, als es sonst möglich ist. Es entsteht ein einzigartiges Bildgewebe, man entdeckt Strukturen die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind. Dass Branchenriese Sony Classic den Film für zahlreiche Länder (u.a. Nordamerika, Skandinavien und Australien) gekauft hat, zeigt auch, dass sie damit auf dem richtigen Weg sind. „Wirklich ein wahr gewordener Traum“, so Ben.

Träume
A propos Traum: Gerade noch für einen freien Dokumentarfilm über „future making“ in Kenia unterwegs, hat jetzt Netflix, der weltweite Streamingdienst mit rund 150 Millionen Abonnenten, bei Ben Bernhard angefragt. Das ist fast wie ein Ritterschlag: „Es ist spannend und ich freue mich, dass mein Weg aufzugehen scheint.“ Gibt es danach überhaupt noch Träume? Welches Projekt würde er gerne umsetzen, wenn Geld keine Rolle spielen würde? Ben mäandert zwischen Nachdenklichkeit und großer Freude. „Ich bin jetzt schon auf einem sehr guten Weg. Ich habe schon viel erreicht und erlebt – das muss ich mir immer wieder bewusst machen.“ Er habe mit den Kinodokumentarfilmen einen sehr spannenden Zweig erreicht und versuche nun auch mehr in Richtung Spielfilme zu gehen. So hat er dieses Jahr auch den Spielfilm „Alle reden übers Wetter“ mit Regisseurin Annika Pinske realisiert, der sich derzeit im Schnitt befindet. „Es ist eine andere Herangehensweise. Bei Dokus bin ich manchmal wie ein Jäger, der Momente einfängt und versucht erfahrbar zu machen. Beim Spielfilm kreiere ich eher eine Stimmung und plane genau wie ich den Zuschauer führe. Ich wünsche mir einfach Projekte, die eine besondere Herangehensweise haben, die mich fordern und bei denen ich den Zuschauern etwas mitgeben kann.“

Text: Tanja Horlacher, Fotos: (1/ 4)Victor Kossakovsky, (2+3) Stine Heilmann, (5) Ben Bernhard
AQUARELA
Im Dokumentarfilm spielt Wasser die Hauptrolle und wird in seiner vollen Schönheit, aber auch Brutalität gezeigt. Beindruckende Bilder von Venezuela über Miami bis nach Grönland und Russland, gedreht mit 96 (statt 24) Bildern pro Sekunde. Ein Film, der unbedingt auf eine große Leinwand gehört.
Regie: Victor Kossakovsky, Kamera: Ben Bernhard, Victor Kossakovsky | 90 Minuten | FSK 6