Seine Kunstwerke polarisieren: Die einen lieben die Art, wie sie aktuelle Ereignisse satirisch darstellen, die anderen halten sie für Obszönitäten. Und auch der Künstler selbst eckt mit seinen Auftritten oftmals an. Wer seine Kunst nicht wertschätzt, hat sie nicht verdient. Da wird dann kurzer Prozess gemacht, ein neun Meter hohes Kunstwerk „ruck zuck“ abgebaut und in den heimischen Skulpturengarten mitgenommen. Die Rede ist von Peter Lenk, der sein neustes Werk zum Bahnhofsbau Stuttgart 21 nun zu Hause in Bodman aufgestellt hat und sich bereits in der Planung seines nächsten Streichs befindet.

Schon von der Hauptstraße aus sieht man die meterhohen Skulpturen über die Zäune ragen, Touristen aus aller Welt (derzeit vor allem auch aus Stuttgart) pilgern in die kleine Gemeinde am Bodensee, um seine Kunstwerke zu bestaunen und vielleicht sogar einen Blick auf den Künstler selbst zu erhaschen. Dieser fragt denn auch jeden Besucher in seinem schönen fränkischen Akzent „Wo seids ihr her?“ und weiß zu jeder genannten Stadt einen Schwank aus seinem Leben zu erzählen.

Groteske Entgleisung

Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, steckte er gerade inmitten der zweieinhalbjährigen Arbeit für sein Kunstwerk, das derzeit die (schwäbischen) Gemüter erhitzt. Heute steht das Denkmal zum Bahnhofsbau Stuttgart 21 „Chronik einer grotesken Entgleisung“ – nach einer mehrmonatigen „Probeaufstellung“ vor dem Stuttgarter Stadtpalais – meterhoch und umgeben von anderen Werken in seinem Skulpturengarten. Da wir es nicht nach Stuttgart geschafft haben, sind wir der Einladung nach Bodman nur allzu gern gefolgt, wobei wir uns eine private Führung durch den Bildhauer natürlich nicht entgehen lassen.

„Kompromisse in der Kunst, das geht gar nicht – dann bist Du verkauft und verraten.“
Peter Lenk

Dieser schildert uns wortreich und ausführlich, wie es zur Entstehung des Kunstwerks kam, welche Ähnlichkeiten zwischen seinen Figuren und politischen Akteuren bestehen und warum es nun in seinem heimischen Garten steht. Da für diese Ausführungen der vorhandene Platz jedoch nicht ausreicht, muss dem Leser folgende Zusammenfassung genügen (oder er pilgert selbst nach Bodman, um sich bei einer Führung durch den Bildhauergarten diese und andere Geschichten erzählen zu lassen):

Zunächst bezeichnet Peter Lenk es als „Wunder, dass das Werk überhaupt aufgestellt werden konnte, ohne dass die Stuttgarter wussten, was genau zu sehen sein wird“. Für ihn, der während seiner Studienzeit an der Kunsthochschule in der Kesselstadt lebte, war zu erwarten, dass die „Stuttgarter Spießerle“ sein Denkmal zu S-21 nicht aushalten würden und es folglich weghaben oder verstecken würden. Nun hat er das Kunstwerk zurück nach Bodman geholt. Zwar möchte sein guter Freund Jürgen Resch (Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe) noch auf Vorstandsebene mit der Deutschen Bahn sprechen (auch die Imperia in Konstanz stand anfangs noch auf Grund und Boden der Deutschen Bahn, die die Aufstellung damals ermöglichte – inzwischen gehört das Gelände der Stadt Konstanz, Anmerkung der Autorin), Peter Lenk geht aber davon aus, dass das sowieso nichts bringt und auch der Bahnhof nie funktionieren wird. Er schlägt deshalb – wie auf den Reliefs teilweise zu sehen ist – eine Umnutzung als Schwimmbad, als Disco „mit Anhydriden“ oder als „Edelknast für die Verantwortlichen“ vor.

Nächster Halt: Bad Urach

Was nun wirklich aus S-21 wird, werden wir erst 2025 erfahren, wenn der Bahnhof eröffnet werden soll. Welches Werk Peter Lenk als Nächstes plant, darüber können wir aber schon berichten. Nach zweieinhalbjähriger, kostenfreier Arbeit (die Materialkosten für die „Chronik einer grotesken Entgleisung“ wurden durch Spenden eingeholt), widmet sich der Künstler mal wieder einer Auftragsarbeit. Die Bad Uracher sind auf ihn aufmerksam geworden und planen eine Skulptur mitten auf dem Marktplatz. Während der Bürgermeister das Thema „Trachten“ auf den Tisch brachte, hatte Peter Lenk jedoch etwas ganz anderes im Sinn (und überhaupt, bei welcher seiner Figuren spielt die Kleidung eine Rolle?). Seit 1723 feiert Bad Urach alle zwei Jahre den Schäferlauf: Am Schäfertag wurden früher alle Angelegenheiten, die die Schäferzunft betrafen, vom Schäfergericht behandelt. Der Abschluss dieses Tages wurde mit dem Schäferlauf begangen: ein Wettlauf zwischen ledigen Schäfern über ein Stoppelfeld – und das nur im Hemd. Die Urform galt damals als „heidnisch und wollüstig“. Klar, dass Peter Lenk hier dem Original nachspürt. „Damals hatten die Frauen etwas zu lachen“, sagt er augenzwinkernd. Die Skizze für das Schäferlauf-Werk ist bereits fertig, Details werden erst im Laufe der eigentlichen Schaffensperiode festgelegt und natürlich erst bei einer feierlichen Enthüllung Auftraggebern und Bevölkerung präsentiert.

Skulpturengarten von Peter Lenk in Bodman | Foto: Benjamin Arntzen

Fast zwei Stunden lauschen wir den Erzählungen von Peter Lenk in seinem verwunschenen Bildhauergarten – Schwänke gibt es nämlich eine Menge aus seinem Leben: Gerne berichtet er von Nacht- und Nebelaktionen, die ihm erlaubten, seine Kunstwerke aufzustellen (z.B. die Konstanzer Imperia, die längst zum Wahrzeichen der größten Stadt am Bodensee wurde, damals von vielen aber noch als Unding verunglimpft wurde). Auch der Zwist mit Martin Walser, der den ihm gewidmeten Bodenseereiter in Überlingen bis heute laut Lenk noch „nicht verkraftet“ hat, ist ein beliebtes Thema genauso wie Politiker und andere bekannte Persönlichkeiten, die mit ihrer Abbildung nicht einverstanden waren. Viele versuchten den Bildhauer gar zu verklagen. Noch hat es jedoch keiner geschafft, denn Peter Lenk hält sich sehr bedeckt, was öffentliche Äußerungen über die Vorbilder seiner Figuren betrifft. Wer eine Ähnlichkeit im Gesicht erkennen mag, bitteschön, aber spätestens beim Körperbau sollte vielen doch klar sein, dass es sich nur um eine erfundene Figur handeln könne. „Das Rechtliche will ich sicherlich nicht kitzeln. Da überlege ich mir schon vorher, was ich sage“, gibt der gewiefte Künstler zu. Neben politischem und (zeit-)geschichtlichem Wissen glänzt er denn auch mit einer großen literarischen Gewandtheit. So kann es schon passieren, dass er eine Hymne Hölderlins oder passend zu seiner Zukunft als Bildhauer Gottfried Benn rezitiert: „Du schwebend über deinen Gründen und einer zieht dich dann hinein.“ „Wenn mir meine Gedichte entfallen, dann ist’s vorbei“, bekennt er.

Am liebsten würden wir noch länger bleiben, die verschiedenen Skulpturen genauer betrachten und mehr aus dem aufregenden Leben des 74-Jährigen erfahren. Ich selbst gehöre nämlich der Fraktion an, die Peter Lenk für einen großen Künstler hält, der manche Dinge vielleicht etwas überspitzt, aber auf jeden Fall immer mit einem Körnchen Wahrheit und viel Humor darstellt und beschreibt. Und natürlich auch wegen seiner Kompromisslosigkeit. Zum Glück arbeitet er derzeit nicht nur an neuen Kunstwerken, sondern auch an seinen Memoiren. Nichtsdestotrotz: Wir freuen uns schon jetzt auf den nächsten Besuch!

www.peter-lenk.de

Infos:

Bildhauergarten:
Der Skulpturengarten steht Besuchern offen. Bei Interesse an Gruppenführungen bitte vorab einen Termin vereinbaren (+49 (0)171 82 83 603).
Buchtipp:
Alle geschaffenen Skulpturen sind in der erweiterten siebten Auflage des Buchs „Peter Lenk Skulpturen“ (Stadler Verlag) zu finden.

Beitragsbild: Peter Lenk | Foto: Benjamin Arntzen