Als hätte der Nährstoffmangel im Bodensee nicht schon die Felchenerträge dramatisch dezimiert, tobt unter der Wasser­oberfläche seit wenigen Jahren ein gnadenloser Verdrängungs­kampf durch unliebsame Zuwanderer, die nicht nur dem Brotfisch des Bodensees, sondern auch vielen anderen heimischen Arten massiv zusetzen. Es sieht nicht gut aus für die beliebten (Speise-)Fische im See.

Manche News zum Fischbestand im See klingen nach Jahren der Negativ-Schlagzeilen zunächst hoffnungsvoll: Im vergangenen Herbst gab es wieder hinreichend Felchen für den Laichfischfang, nachdem dieser im Jahr zuvor mangels genug laichreifer Felchen ausfallen musste. Und von allen Fischarten im See ist nach den ersten Ergebnissen der Fischzählung im Herbst 2019 keine Art verloren gegangen – es wurde sogar eine Art mehr als bei einer ähnlich standardisierten Zählung vor fünf Jahren nachgewiesen. 29 Fischarten insgesamt, darunter Barsch, Felchen, Aal, Hecht, Zander, Rotauge und Ukelei, seltener Saiblinge und Seeforelle, wurden bei diesen repräsentativen Stichproben über vier Wochen rund um den See durch die Fischereiforschungsstelle Baden-Württemberg (FFS) in Langenargen und das Schweizer Büro Aquabios mithilfe verschiedener Fangmethoden nachgewiesen. Die Fischzählung ist Teil des Projekts SeeWandel (www.seewandel.org):
Das internationale, von der EU und aus Schweizer Mitteln geförderte und auf vier Jahre angelegte Großprojekt untersucht seit 2018 in 13 Teilprojekten rund um den See das Ökosystem und die Entwicklung der Fischgemeinschaft im Lebensraum Bodensee unter dem Blickwinkel verschiedener Einflussfaktoren wie Klimawandel, gebietsfremde Zuwanderer und weitere Stressfaktoren für die Ökobalance. Die aufwändige Befischungskampagne soll wichtige Fragen beantworten: Wie sich der Fischbestand im Vergleich zur ersten Zählung vor fünf Jahren entwickelt hat; ob bestimmte Fischarten häufiger, andere seltener zu finden sind; wie sich die Fische entwickeln, ob sie gut wachsen und sich erfolgreich fortpflanzen. Im Rahmen der Zählung haben die Wissenschaftler in den Tiefen des Sees sogar den als ausgestorben geglaubten Tiefseesaibling aufgespürt, noch tiefer nur noch die Trüsche – der nachtaktive Raubfisch konnte in Wassertiefen von 240 Metern nachgewiesen werden (also kurz vor der maximalen Seetiefe von 251 Metern). Auch wurden mehr Welse registriert. Derzeit werden die umfangreichen Daten digitalisiert und ausgewertet. Ausführliche Ergebnisse sind im Laufe dieses Jahres zu erwarten. 

Bestätigt hat sich indes das bereits bekannte massenhafte Vorkommen invasiver Arten im Bodensee wie Stichling und Quagga-Muschel. Vor allem von den Stichlingen weiß man mittlerweile, dass sie den einheimischen Seebewohnern – insbesondere dem Felchen – nicht nur die Nahrung wegfressen, sondern auch Felchenlarven als Nahrungsquelle ausgemacht haben. Obwohl die nur acht bis zehn Zentimeter kleinen, aus dem Osten zugewanderten Räuber schon seit über 50 Jahren im See leben, hat sich ihr Vorkommen in den letzten Jahren explosionsartig vermehrt, während sich die Felchenerträge gleichzeitig halbierten. Aufgrund der massiven Nahrungskonkurrenz durch Stichlinge wachsen die Felchen außerdem auch noch langsamer; fangreife Tiere bringen heute 80 Gramm weniger auf die Waage als vor der Stichlingsschwemme. Die Dreistachligen Stichlinge verstopfen zudem die Fischernetze. Sie sind zwar essbar, aber wegen der vielen Gräten und dem wenig überzeugendem Geschmack wirtschaftlich uninteressant. 

Felchen-Fangmenge auf Tiefstand

2018 fiel die Fangmenge beim Brotfisch des Bodensees auf einen historischen Tiefstand, konstatierte der damalige Jahresbericht zur Situation der Fischerei am See. Es gab nicht einmal genug laichreife Felchen, die zu einer flächenwirksamen Fortpflanzung notwendig gewesen wären. Deshalb waren die Berufsfischer erst einmal erleichtert, dass sie ein Jahr später, also im November 2019, wenigstens 1440 Liter Felchenlaich (ein Viertel weniger als in den Jahren vor 2018) einbringen konnten, was rund 90 Millionen Felcheneiern entspricht. Die Laichfischerei braucht es, um daraus in den Fischbrutanstalten am See – gut geschützt vor Fressfeinden – lebensfähige Larven aufzuziehen. Diese werden dann im Frühling in den See entlassen, wo sie drei, vier Jahre frei im See schwimmen und heranwachsen können. Trotz der rund vier Monate Aufenthalt in den Fischbrutanstalten gelten die Felchen als hochgeschätzter Wildfang und überdies auch als eine ganz besondere Spezialität des Bodensees – vor allem der Blaufelchen, der typisch für den See ist. Gemessen an früheren Jahren sei der Laichfischertrag allerdings nur sehr gering ausgefallen, dämpft Dr. Andreas Brinker, Leiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen, allzu optimistische Erwartungen. Denn auch bei den anderen wichtigen Speisefischen im See, also Seesaibling, Hecht, Zander, Aal und Äsche, gab es in den letzten Jahren teils starke Einbrüche. Sie machen aber ohnehin nur einen geringeren Anteil am Gesamtfischfang im See aus. Lediglich der Barsch hat sowohl im Ober- als auch im Untersee ordentlich zugelegt. Anders als bei den einzeln schwimmenden Felchenlarven hilft den Barschen das wehrhafte Schwarmverhalten der Jungfische, ihren Fressfeinden, den Stichlingen, leichter zu entkommen, wie ein anschauliches Video auf der Website des Landwirtschaftlichen Zentrums Baden-Württtemberg (LAZBW) zeigt. Trotz der guten Fänge sei der Barsch aber weit entfernt davon, die schwindenden Felchenerträge auszugleichen, meint Dr. Brinker. 

Auch der ebenfalls starke Rückgang der Seeforellen bereitet der Fischwirtschaft und der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) ernste Sorgen. Ihr Bestand im Bodensee gilt als bedroht. Die Fische, die über einen Meter lang und 15 Kilogramm schwer werden können, haben es bei längeren Trockenphasen mit extremen Wassertiefständen wie 2018 schwer, im Herbst ungehindert zu ihren Laichplätzen in den Bodenseezuflüssen aufzusteigen. Schon einmal, in den 1980er-Jahren, galt der beliebte Speisefisch im See aufgrund der Verschmutzung als fast ausgestorben; dank eines groß angelegten Schutzprogramms haben sich die Bestände wieder erholt, um nun aber erneut dramatisch abzunehmen.

Stressfaktor Quagga-Muschel

Ein weiterer enormer Stressfaktor für das ökologische Gleichgewicht und den Fischbestand im See ist die explosionsartige Vermehrung der Quagga-Muschel seit den ersten Funden 2016 vor Wallhausen. Die aus der Schwarzmeer-Region – wahrscheinlich durch Boote oder Wassersportausrüstungen, vielleicht auch durch Wasservögel vom Rhein – eingeschleppte Dreikantmuschel namens Dreissena
rostriformis bugensis besiedelt mittlerweile den Seeboden bis in Tiefen von 180 Metern. Die drei bis vier Zentimeter kleine Dreikantmuschel heftet sich auf allem an, was halbwegs hart ist, also auf Steinen, Holz, Stegen, sogar Ästen, die ins Wasser hängen. An den Anlagen der Bodensee-Trinkwasserversorgung siedelt sie sich inzwischen auch an, was die Betreiber vor neue Probleme stellt. Wie aggressiv und rasant sich die Quagga verbreitet, zeigte nicht zuletzt die oben beschriebene Fischzählungsaktion: Dort hefteten sich sie Muscheln im Laufe von nur einer Nacht an die Fangnetze an. 

Unter den etwa 37 im Bodensee lebenden fremden Arten (Neozoen) könnte sich die Quagga-Muschel und ihre extrem rasche und massive Ausbreitung als größte Bedrohung für das ökologische Gleichgewicht erweisen. Ihre Ausbreitung ist gegenwärtig ein weltweites Phänomen: Dr. Brinker von der FFS verweist auf die Großen Seen in Nordamerika, wo die kleine Muschel im Michigan-See das ganze Ökosystem hat kollabieren lassen. Auch in Norddeutschland hat sich die invasive Dreikantmuschel massenhaft in Fließgewässern und in den Plöner Seen ausgebreitet. Nahrungskonkurrenz oder Nahrungsquelle? Noch ist man nicht sicher, wie sich die Besiedlung durch die Quagga-Muschel auf den See auswirken wird. In Bezug auf die Nährstoffknappheit sei sie in jedem Fall Nahrungskonkurrenz, sagen die Experten. Die Fische müssten lernen, diese Neozoe als neue Nahrungsquelle zu erkennen – ähnlich wie früher den eingewanderten Höckerflohkrebs –, was allerdings bezweifelt wird. Die Quagga ist zwar auch für Menschen genießbar, ihr Geschmack hat aber bislang niemanden überzeugen können, ebensowenig wie die nah verwandte Dreikant- oder auch Zebramuschel genannte Dreissena polymorpha oder die Körbchenmuschel, die sich beide schon etwas früher am Bodensee niedergelassen und einheimische Arten verdrängt haben. Als Delikatesse geschätzt werden hingegen der amerikanische Signalkrebs und der Kamberkrebs, beides invasive Arten, die durch die Einschleppung der Krebspest – trotz ihres dramatischen Namens keine Gefahr für den Menschen – die einheimischen Stein- und Edelkrebse fast gänzlich aus dem See verdrängt haben

Bodensee ist nicht mehr produktiv

Der Krimi unter dem Wasserspiegel des Sees geht also weiter, Ende offen. Was die Bodenseefischerei betrifft, die ebenfalls Gegenstand der Forschung im Rahmen des SeeWandel-Projekts ist, wird die Ertragslage nicht besser, konstatiert der Leiter der FFS auf Nachfrage. Um den ungeheuren Fischappetit von Einwohnern und Gästen zu stillen und den Fischern ein Auskommen zu bereiten, bräuchte es einen Fangertrag von 1.000 bis 1.200 Tonnen. Das werde mittelfristig nicht erreichbar sein: Der Bodensee sei nicht mehr produktiv. Sehr vieles sei aber noch offen, darunter auch die Frage, wie schlimm es um den See steht. 

Derweil dezimieren Kormorane von oben die ohnehin schon reduzierten Fischerträge. Berufsfischerverbände haben errechnet, dass die gefräßigen Vögel im Jahr mehr Felchen aus dem Bodensee holen, als Fischer fangen. Während ihre Anzahl am schweizerischen und österreichischen Ufer durch ein konsequentes Kormoranmanagement niedrig gehalten wird, vermehrten sie sich im Baden-Württembergischen munter weiter. Vehemente Forderungen der Fischereiverbände aller drei Länder nach einer seeweiten einheitlichen Regelung zur großräumigen Vergrämung der Kormorane scheiterten bislang an dem hohen Schutzstatus, den Kormorane im badisch-schwäbischen Ländle genießen. Bestrebungen im Rahmen der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) zur Erarbeitung einer gemeinsamen Regelung schleppten sich dahin, weil so viele mitredeten. So frisst jeder der rund 3.000 Vögel weiterhin rund 550 Gramm Fisch pro Tag. 

Umstrittene Pläne für Aquakultur

Um den riesigen Appetit auf Bodenseefisch von Anwohnern, Gästen und der Seegastronomie halbwegs zu befriedigen, hat eine kleine Fraktion aus Berufsfischern, Fischzüchtern, Fischverarbeitern, Gastronomen und Händlern Pläne für eine Felchenzucht in Netzgehegen im Bodensee erarbeitet. Die eigens dafür gegründete Genossenschaft RegioBodenseefisch möchte in einem Pilotprojekt bis zu vier Netzgehege mit einer Größe von zwölf mal zwölf Metern in einer Seetiefe von 30 Metern vor Überlingen installieren – und erhofft sich davon einen Ertrag von etwa 40 Tonnen Felchen. Das Vorhaben wird vom baden-württembergischen Agrarminister Peter Hauk (CDU) wohlwollend begleitet. Er sieht darin eine Chance, die seit Jahren sinkenden Erträge bei den Fischern aufzufangen und sprach sich schon 2016 für Aquakultur im See aus. Nach jahrelangen Vorbereitungen hat die Genossenschaft nun einen Vorantrag für ihr Aquakultur-Pilotprojekt beim Landratsamt in Konstanz eingereicht. Allerdings wird Aquakultur auf breiter Ebene abgelehnt: von fast allen Berufsfischern, Anglern und ihren Verbänden, allen Parteien auf Regionalebene, Umwelt- und Naturschutzverbänden sowie zahlreichen anderen Organisationen und Interessengruppen.

Dafür gibt es gute Gründe: „Wir werden keinen offenen Netzgehegen zustimmen, bei denen Futtermittel und Kot unkontrolliert in den See eingetragen werden“, sagt der Agrarexperte der Landtags-Grünen, Reinhold Pix. Es sei schließlich völlig ungeklärt, welche Auswirkungen dies auf die Gewässerökologie, das Trinkwasser und den Tourismus haben könne. Zudem schließe auch die Richtlinie der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) Netzgehege im See aus. Elke Dilger, Vorsitzende des Verbands Badischer Berufsfischer e.V., kämpft seit Jahren gegen das Ansinnen von Fischzucht im See. Sie fürchtet, dass der Zuchtfisch das empfindliche ökologische Gleichgewicht des Sees und den Wildfischbestand negativ beeinflussen würde. Zuchtfisch gäbe es auf der ganzen Welt, aber Wildfang sei etwas Einzigartiges am Bodensee – für die Region und den Gaumen der Menschen: „Wir wollen weiter Fischer bleiben und weiter Wildfisch fangen.“ Elke Dilger verweist auf den Dokumentarfilm „Artifishal“ von 2019, der auf die Konsequenzen von Fischaufzuchtstationen und Fischzuchtbetrieben in einem Gewässer aufmerksam macht. Noch ist nichts genehmigt, die Zahl der Gegner von Netzgehegen nimmt jedoch weiter zu.

Bodenseefisch aus Wildfang

Wie wertvoll der Wildfisch aus dem Bodensee ist, haben auch Gastronomen wie Hubert Neidhart vom Grünen Baum in Radolfzell-Moos erkannt. Als Genussbotschafter Baden-Württembergs lud er Fachleute und Vertreter von Fischereiverbänden, Gastronomie und dem Slow Food e.V. nach Moos ein, um mit ihnen über eine Eintragung von „Bodenseefisch aus Wildfang“ als geschützte geografische Angabe (g.g.A., also eine geschützte Herkunftsbezeichnung wie beispielsweise Höri-Bülle und diverses Gemüse von der Reichenau) und Kollektivmarke zu diskutieren – ein Vorhaben, das von den 27 Teilnehmern einhellig begrüßt wurde. Im Gespräch war auch die Aufnahme des Wildfelchens in die „Arche des Geschmacks“ von Slow Food. Bis es soweit ist, müssen allerdings noch viele Detailfragen geklärt werden.

Kreativität & Überzeugungsarbeit

Hubert Neidhart gehört auch zu den ersten Wirten am See, die sich darum bemühen, in Zusammenarbeit mit seinem Hausfischer Gerichte aus weniger bekannten Bodensee-Speisefischen zu kreieren und damit bei Gästen Begehr zu wecken. Bei der Verleihung der „Tafel zum Goldenen Fisch“ überzeugte er die anspruchsvollen Fischgäste mit einem delikaten Fischgericht vom Rotauge. Berufsfischer in Bayern gelang es unlängst während einer Bodensee-Rotaugenwoche, Verbraucher mit dem geschmacklich ausgezeichneten, bislang aber vernachlässigten Bodenseefisch bekannt zu machen. Am Gesamtfang der bayerischen Fischer stieg der Anteil der Rotaugen mittlerweile von 10 auf fast 30 Prozent. Hier ist noch viel Spielraum für die Fischer vom Bodensee und die Gastronomie, um Ertragseinbußen beim Brotfisch durch neue Gerichte aus interessanten Beifängen auszugleichen. Passende Speisefische gäbe es dafür, etwa Karpfen, Wels, Ukelei oder Schleie – letztere sind am oberitalienischen Iseo- und Gardasee eine beliebte und schmackhafte Spezialität. Konsumenten und Gastronomen werden sich umgewöhnen müssen. Und die Fischer können ihnen durch entsprechende Umstellungen dabei helfen. 

Text von Heide-Ilka Weber