Am Anfang war die „Rose“, ein Dorfgasthof in Hayingen-Ehestetten auf der Schwäbischen Alb, eines der ersten Bio-Restaurants überhaupt, in fünfter Generation von der Familie Tress geführt. Aus der Rose, dem Stammhaus, wurde inzwischen ein mittelständisches Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern, mit Catering, Convenience-Produkten, drei Restaurants, einem Hotel und einem Event-Schloss. Vier Brüder zwischen 30 und 40 Jahre alt, 100 Prozent Bio.
Ziemlich ungewöhnlich, diese Familie Tress. Umso mehr, als sie mit ihrer strikten Bio-Philosophie nicht in einer größeren Stadt, sondern in tiefer Schwabenprovinz zu Erfolg gekommen ist. Johannes Tress, der Großvater der Brüder, legte den Kern: Er stellte seinen Bauernhof schon in den 1950er-Jahren auf biodynamische Arbeitsweise um. Und obwohl er damit naturgemäß von seinen Nachbarn belächelt wurde, blieb er seiner Überzeugung treu, Landwirtschaft und Natur in Einklang zu bringen. Im – damals noch – kleinen Gasthof Rose servierte seine Frau das, was auf dem Feld, im Stall und im Garten erarbeitet wurde. Die Gäste schätzten das. Sie kamen aus den umliegenden Städten, um die Küche von Oma Seffa zu genießen. Besonders beliebt war ihre Gemüsesuppe, zubereitet nach einem Rezept von Hildegard von Bingen.
Die Enkel, Simon und Christian, Dominik und Daniel, wuchsen zwischen Küche, Gastraum und Bauernhof auf. Mit ihrem Vater, Johannes Tress jr., gingen sie aufs Feld, ihrer Mutter Inge, eine Gastwirtstochter aus Riedlingen an der Donau, halfen sie in der Küche. Später wurde Simon Tress im Vier Jahreszeiten in Schluchsee zum Koch, arbeitete bei Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach, war Kapitän der deutschen Köche-Nationalmannschaft, sammelte Koch-Erfahrungen in Asien und Südamerika. Der Tod des Vaters im Jahr 2008 war das Signal für die Brüder, sich zusammen um das Familienunternehmen zu kümmern.
Heute hat hier jeder seinen eigenen Aufgabenbereich: Simon Tress leitet das Bio-Restaurant Rose und das im August 2020 (!) neu eröffnete Bio-Fine-Dining-Restaurant 1950. Im Letzteren – es bekam gerade aus dem Stand 15 Punkte bei Gault Millau – kann der Gast bei jedem Gericht die Zutaten und deren Herkunft erfahren, ebenso wie die CO2-Emissionen je Gericht. Das führt unter anderem dazu, dass sich viele Gäste gegen fleischliche Kost entscheiden, wegen der hohen Emissionen durch die Tierhaltung.
Simon Tress ist offizieller Genussbotschafter von Baden-Württemberg, bekannter Fernsehkoch, Kochbuchautor und Star der modernen Bio-Küche. Die Achtung vor der Schöpfung, die ihm der Großvater mitgegeben hat, setzt Simon Tress eins zu eins in der Küche um. From Nose to Tail? Für ihn schon immer selbstverständlich, er hängt noch ein Root to Leaf dran. Das Maximum aus Lebensmitteln herausholen, nichts für die Tonne. Herkunft, Aufzucht, Schlachtung? Simon Tress weiß, dass gutes Fleisch nur von Tieren kommen kann, die ein gutes Leben hatten, und pflegt beste Beziehungen zu seinen Lieferanten aus der direkten Umgebung.
Daniel Tress, der zweite im Bunde, leitet das Bio-Hotel Rose und die von der Familie gepachtete Wimsener Höhle – ein beliebtes Ausflugsziel – mit dem Bio-Gasthof Friedrichshöhle. Zusätzlich organisiert er kulinarische Events wie Hochzeiten und Empfänge auf Schloss Ehrenfels in Hayingen. Dominik Tress wiederum ist für die Convenience-Produkte unter der Marke „TressBrüder“ zuständig. Fastfood in Demeter-Qualität. Das Fleisch für Gerichte wie Rinder-Ragout oder Königsberger Klopse kommt, wie in den Restaurants der Familie, von Erzeugern aus der Gegend. Alles absolut transparent, Slow Food als Fast Food – oder umgekehrt. Auch die veganen Gerichte, darunter rotes und grünes Thai Curry oder „Curry Typ Butter Chicken“, die Suppen, wie Kichererbsen-Kokos-Suppe oder Kürbis-Curry-Suppe, alles wird nach Demeter-Richtlinien produziert. Street-Food von der Alb. Die Rezepturen für die Gerichte werden von den Brüdern und der Mutter gemeinsam entwickelt. Kaufen kann man sie, außer bei Alnatura und anderen Bioläden, bundesweit bei Rewe und Edeka. Und im Tress-Internetshop.
Bleibt noch Christian Tress. Als Steuerberater steht er zwar nicht an der Gastrofront, kümmert sich aber um die Buchhaltung und hat somit die Zahlen des Familienunternehmens im Blick. Einer für alle, alle für einen. Der Tress-Familienverbund ist stark – und keineswegs eine reine Männerangelegenheit. Neben Mutter Inge Tress gibt es noch die Partnerinnen und Ehefrauen der Brüder, die alle ihren Platz im Unternehmen haben.
Wie gut es auch (oder besonders) in Krisenzeiten ist, Teil einer sich wertschätzenden, kreativen Familie zu sein, zeigt sich derzeit. Alle Restaurants, das Hotel, die Wimsener Höhle geschlossen, das Schloss ohne Events: Eine harte Zeit für die Familie Tress. Aber auch für ihre Zulieferer. Da gerät ein gut austariertes System – Weide und Feld, Küche, Gast – völlig durcheinander. Wenigstens gibt es die Fertigprodukte, deren Herstellung in Coronazeiten hochgefahren werden kann und muss, denn die Nachfrage danach steigt. In einem ihrer Restaurants, der „Heimatküche“ in Riedlingen-Bechingen, haben die Brüder zusammen mit der Mutter kurzerhand ein Drive-in eingerichtet, mit einem tollen Speisenangebot.
Rührig sind sie, die Tress-Brüder. Aber „höher, schneller, weiter“ auf Kosten von Mensch und Umwelt ist für sie keine Option. Sie pflegen ein großes Bio-Netzwerk, arbeiten mit ihren Produzenten auf Augenhöhe zusammen und achten auf Nachhaltigkeit. Dazu gehören auch Überlegungen zur Klimaeffizienz. So haben sie es geschafft, Verpackungen für ihre Produkte anzubieten, die zu rund 80 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen.
Gut, dass sich der Großvater damals in seiner Idee nicht beirren ließ.
Text: Claudia Antes-Barisch