Blutspenden sind ein kostbares Gut, von dem es meist zu wenig gibt. Könnte man das Lebenselixier künstlich herstellen, wäre das ein medizinischer Durchbruch. Mit einer neuen Entdeckung sind Forschende der Universität Konstanz zusammen mit der Queen Mary University of London dem Ziel nun einen wichtigen Schritt nähergekommen.

Täglich werden in Deutschland etwa 15.000 Blutkonserven benötigt, die bislang in der Regel aus freiwilligen Blutspenden stammen. Damit kann der Bedarf gerade so gedeckt werden. Saisonal oder bei bestimmten Blutgruppen kommt es aber immer wieder zu Engpässen. Daher läuft bereits seit Jahrzehnten die Forschung zur künstlichen Herstellung von Blut in größeren Mengen. Am Ziel ist die Wissenschaft jedoch noch lange nicht. Das Thema ist höchst komplex, erst wenn alle einzelnen Schritte exakt nachvollziehbar sind, kann eine effiziente Produktion im Labor erfolgen.

Blutproduktion erfordert perfektes Timing

Julia Gutjahr ist Biologin am Institut für Zelluläre Biologie und Immunologie Thurgau der Universität Konstanz. Sie forscht zu den Abläufen der Blutproduktion und hat zusammen mit Kolleg*innen von der Queen Mary University of London einen weiteren Zwischenschritt zum vollständigen Verständnis der zellulären Abläufe entschlüsselt. Sie haben herausgefunden, dass bei der Entwicklung von roten Blutkörperchen das Chemokin CXCL12 und sein Rezeptor CXCR4 für den Ausstoß des Zellkerns verantwortlich sind.
Die natürliche Blutproduktion im Körper findet im Knochenmark statt. Stammzellen werden dort zu Erythroblasten weiterentwickelt, die wiederum die Vorläuferzellen zu den Erythrozyten, also den roten Blutkörperchen, sind. „Im letzten Schritt der Entwicklung eines Erythroblasten zum Erythrozyten wirft der Erythroblast seinen Zellkern aus. Das passiert nur bei Säugetieren. Wahrscheinlich, um Platz für den Sauerstofftransport zu schaffen. Und das ist der Punkt, an dem unsere Forschung ansetzt“, erklärt Gutjahr ihr Projekt.
Während die künstliche Reifung einer Stammzelle zum Erythrozyten inzwischen nahezu perfektioniert wurde, war bislang noch unbekannt, welche Faktoren im Knochenmark zur Ausstoßung des Zellkerns führen. „Wir haben herausgefunden, dass das Chemokin CXCL12 diesen Zellkernausstoß triggern kann. Es kommt hauptsächlich im Knochenmark vor, benötigt jedoch das Zusammenspiel verschiedener Faktoren, damit der Ausstoß des Zellkerns stattfindet. Durch die Zugabe von CXCL12 im richtigen Moment konnten wir dann die Ausstoßung des Zellkerns künstlich auslösen“, sagt Gutjahr.

Durchbruch in der Forschung

Diese Erkenntnis könnte die Herstellung von künstlichem Blut künftig effizienter gestalten. Bis es soweit ist, bedarf es jedoch weiterer Schritte und Forschung. Die Arbeit, die Gutjahr bereits 2019 als Postdoktorandin unter der Leitung von Antal Rot an der Queen Mary University of London begann, läuft am Bodensee weiter. Bereits seit 2023 leitet sie am Institut für Zelluläre Biologie und Immunologie Thurgau der Uni Konstanz ihre eigene Arbeitsgruppe, in der sie unter anderem die Studien zum Chemokin CXCL12 fortführt. „Wir untersuchen derzeit, wie das CXCL12 exakt eingesetzt werden muss, um die künstliche Produktion humaner Erythrozyten möglichst effizient zu gestalten“, gibt Gutjahr einen Ausblick.

Künstliches Blut aus Stammzellen

Ohne die neueren Erkenntnisse über die Beteiligung von CXCL12 führt der bislang effizienteste Weg zur Herstellung von künstlichem Blut über Stammzellen. Die Erfolgsrate bei der Zellkernausstoßung liegt bei etwa 80 Prozent. „Das ist an sich eine gute Quote. Allerdings sind Stammzellen als Ausgangsquelle nicht unendlich verfügbar“, gibt Gutjahr zu bedenken. Die Gewinnung von Stammzellen erfolgt in der Regel gezielt über Nabelschnurblut oder Stammzellenspenden, um bestimmte Krankheiten zu behandeln. Es ist inzwischen aber auch möglich, verschiedenartige Körperzellen zu Stammzellen umzuprogrammieren und daraus dann wiederum rote Blutkörperchen herzustellen. Der Prozess sei aber deutlich länger, und eine Zellausstoßung erfolge nur mit einer Erfolgsrate von etwa 40 Prozent.

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten

„Unter Berücksichtigung der neu entdeckten Funktion von CXCL12 ist künftig eine deutliche Steigerung der Erfolgsquote möglich. Die normalen Körperzellen wären zudem eine quasi unendliche Quelle“, sagt Gutjahr. Gelingt die Produktion in größeren Mengen, stehen viele Anwendungsmöglichkeiten offen. „Auch wenn Körperzellen reichlich zur Verfügung stehen, wird der Herstellungsprozess im Labor aufwendig bleiben. Aber er wird die Möglichkeit bieten, beispielsweise gezielt seltene Blutgruppen herzustellen, Engpässe zu überbrücken oder das eigene Blut zu reproduzieren, um spezielle Behandlungsmöglichkeiten zu ermöglichen“, sagt Gutjahr.

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