CH – Kreuzlingen, D – Konstanz | Der unglaubliche Motorrad-Rekordsprung über den Bodensee des unerschrockenen „Daredevils“ Felix Bildstein von 1993 jährt sich zum 25. Mal. akzent hat aus diesem Anlass Brutus Bildstein getroffen, Sohn der Sprung-Legende Felix Bildstein und selber Stuntman. Er berichtet erstmals, warum der Rekord noch wenige Minuten davor auf Messers Schneide stand und wie er an diesem Tag das Stuntfahrer-Gen geerbt hat.

Rückblende: Hunderttausende Besucherinnen und Besucher halten am 13. August 1993 um 17 Uhr den Atem an. Nur das Aufheulen der modifizierten KTM des Stuntmans ist weithin zu hören. Die Maschine gleicht einem feurigen Höllenbiest, das ungeduldig darauf wartet, von der Kette gelassen zu werden. Im letzten Moment hat die Öffentlichkeit an einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz vom Rekordversuch erfahren. Die Bestimmung der 46 respektive 19 Meter langen und über 10 Meter hohen Holzrampen an den beiden gegenüberliegenden Ufern war entsprechend wochenlang ein Thema für Spekulationen gewesen. Doch niemand konnte sich selbst im Traum einen solchen Todessprung ausmalen.

Im Stil einer Kommandoaktion seien sie damals bei der Vorbereitung vorgegangen, erzählt Brutus Bildstein, der diese als Jugendlicher miterlebt hat. Er empfängt uns im Anwesen mit Seeanstoß, gießt allen einen alten Bourbon ein. Brutus Bildstein ist nach dem Rücktritt seines Vaters Felix in dessen Fußstapfen getreten. Er vermarktet, seitdem sich sein Vater aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat, um im Piemont ein Weingut zu betreiben, auch dessen Marke und popkulturelles Erbe. Brutus ist ein agiler Hüne, alterslos, trägt sein weißes Hemd offen, dass die schmerzhaften Spuren seiner halsbrecherischen Aktionen offenliegen. Er sei ein Global Citizen zwischen Maui, Mumbai und Miami. Das Haus am Bodensee habe er aus Nostalgie, vielleicht sogar aus Heimweh gekauft.

„Es war 1993 noch Abenteuer, ohne Computersimulationen, mit einem kleinen verschwiegenen Team“, meint er nostalgisch. „Wir haben den Schreinern, gesagt, es handle sich um Lawinenverbauungen. Für die G-Kräfte-Testanlage haben wir lange nach einem großen Raum gesucht. Über den ehemaligen Leiter der Kartause Ittingen haben wir dann die weitverzweigten Katakomben dieser Klosteranlage gefunden.“ Getarnt als Dachdecker seien sie über das sogenannte „Mörderloch“ an der Nordostmauer in die Keller gelangt. Dass heute seine G-Kräfte-Testanlage im Rahmen einer Ausstellung im Keller installiert ist, bringt Stuntman Brutus zum Schmunzeln. „History repeats itself“, meint er vielsagend und lacht.

„Seine eigene Sicherheit hat meinen Vater früher einen Scheiß interessiert! Für ihn gab es immer nur seine Mission“, meint Brutus Bildstein. „Die Bedingungen am 13. August 1993 waren äußerst ungünstig. Mein Vater war schwer verletzt, was jedoch unter keinen Umständen durchsickern durfte!“ Drei Monate vor dem Sprungtermin sei sein Vater auf einer fehlkonstruierten Landerampe auf dem Testgelände in Utah eingebrochen und habe sich multiple Brüche an der linken Körperseite zugezogen: „Aber ein Bildstein ist knallhart. Nie aufgeben, alles durchziehen für die Show – das habe ich dort von ihm gelernt!“

„Damals bin ich zum Daredevil geworden. Mein Vater konnte nicht springen … Da war klar: Ich muss als Testfahrer ran. ,Es ist nun an dir, mein Sohn, die Ehre der Familie zu retten’, hat mir mein Vater eingebläut.“ Die Augen von Brutus funkeln: „Mein Vater hat die Rampen und den Sprung im Verhältnis 1 zu 2 nachgebaut und mich auf eine KTM mit etwas weniger Leistung gesetzt.“ Die Erzählung stockt kurz. „Ich hatte super viel Angst und war fast noch ein Kind, war bisher nur Rennen gefahren, noch nie solche Distanzen gesprungen. Vater hat mir die Hand auf die Schuler gelegt und gesagt: ,Du kannst abrollen, mehr brauchst du nicht. Ein wahrer Bildstein ist ein Überflieger, kein Rider!‘“

Einen ersten Testsprung habe er verhauen, das Abrollen dringend gebraucht, um nur mit einigen Schrammen davonzukommen. Sein Vater habe ihn mit den blauen Flecken wortlos wieder aufs Bike gesetzt und der nächste Sprung sei dann gelungen! „Ich machte einen, zehn, hundert, unzählige Sprünge, bis wir das ideale Material für die Rampenkonstruktion gefunden hatten.“

Brutus Bildstein blickt grimmig: „Selbstverständlich bin ich in meinem jugendlichen Übermut davon ausgegangen, dass ich den Sprung am Bodensee mache. Mein Vater konnte sich ja kaum bewegen Wenige Minuten vor dem Sprung – ich stand schon bereit, das Adrenalin pumpte, ich zitterte am ganzen Körper – kam mein Vater und schob mich wortlos zur Seite. Vor meinen Augen ließ er sich unter Stöhnen auf die Maschine schnallen.“ In den Medien wird man nur von einem Handbruch lesen, der mit einer Spezialschiene problemlos kompensiert worden sei. Zu seinem Sohn sagte er kurz und knapp: „Let’s try or die …“

„Ich habe Rot gesehen, war unglaublich wütend und in Angst. Ich habe mir zum Entsetzten meiner Mutter ein Bike geschnappt und bin davongerast, habe erst drei Stunden später irgendwo teilnahmslos vom Weltrekord erfahren. Ich hatte Angst zurückzukehren, doch als ich auf den Hof fuhr streckte mir mein Vater bloß die Hand hin und begrüßte mich mit ‚Welcome to the team.‘“ Fast feierlich: „Seit diesem Zeitpunkt ist der ultimative Jump mein Leben!“

Eine veritable __suicide mission__ sei das Unterfangen 1993 gewesen, betont der Leiter der Motoradstaffel der Zürcher Stadtpolizei im Rückblick. Es sie kein Zufall, dass der Sprung niemals wiederholt wurde. Er sei schlicht viel zu gefährlich und würde heute niemals mehr bewilligt: „Die Jugend hat im Motorradsport leider eine Menge falscher Vorbilder und mit Felix Bildstein hat dies begonnen.“ Brutus Bildstein kontert: „Autoritäten verabscheuen wahre Freiheit und jedes Risiko.“ Das sei der Grund, warum er nicht mehr in Mitteleuropa springe. Nun steht jedoch seit 2017 vor der Kartause Ittingen plötzlich ein 16 Meter hoher Doppellooping. Hat Brutus Bildstein hier nicht seine Hände im Spiel? Ist der Doppellooping „LOOP“ wirklich unbenutzbar, wie die Verantwortlichen bei jeder Gelegenheit nachdrücklich betonen? „Wer weiß …“ Brutus Bildstein fügt vielsagend an: „Manchmal passiert ja Unvorhergesehenes.“

Was heißt das nun? Ist vor der Kartause Ittingen Action geplant? Wir fragen direkt an: Verwirrung. Am Telefon will uns niemand Auskunft geben. Dann folgt prompt das schriftliche Dementi. „LOOP“ sei nicht benutzbar, ein fragiles Kunstwerkt noch dazu, welches man nicht für einen draufgängerischen Stuntman gebaut habe. Zwei Tage später auch der Rückzieher des Managements von Brutus. Seine Aussage im Interview sei missverstanden worden, war scherzhaft gemeint, ein Befahren von „LOOP“ nie ein Thema gewesen. Doch wer sich an den unermesslichen Jubel vor 25 Jahren erinnert, als Felix Bildstein in dem atemberaubenden Sprung mit einem gewaltigen Feuerschweif von Kreuzlingen nach Konstanz schoss, der weiß: Es gilt das Motto „Bildstein. No fear – no limits!“. Da ist mit allem zu rechnen …

www.bildsteinglatz.com/brutus

Text: Adrian Dorrman