Nicht erst seit der „Fridays for Future“-Bewegung spielen Nachhaltigkeit und Klimaschutz in der Bodenseeregion eine wichtige Rolle. Schon früh wurden beispielsweise Maßnahmen zum Schutz der Uferbereiche ergriffen. In den letzten Jahrzehnten wurde dem Thema nicht mehr so viel Aufmerksamkeit geschenkt – das soll sich ändern.
Seit einigen Jahren rücken Nachhaltigkeit und Klimaschutz wieder stärker in das Bewusstsein. Sinnbildlich hierfür stehen sicherlich die unübersehbaren – und auch unüberhörbaren – Aktivitäten junger Menschen bei „Fridays for Future“, die von anderen Bevölkerungsgruppen wie den „Parents for Future“ oder von den „Scientists for Future“ unterstützt werden.
Lebensgrundlage für zukünftige Generationen
Ursprünglich ein Begriff aus der Forstwirtschaft wurden nachhaltige Entwicklungen durch den Brundtland-Bericht von 1987 und vor allem durch die UN-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 auf die politische und gesellschaftliche Agenda gebracht. Unter nachhaltig wird eine Entwicklung verstanden, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ Seit Neustem wird dafür auch der schöne Begriff der „Enkel:innentauglichkeit“ verwendet. Ziel nachhaltiger Entwicklung ist es, Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft in Balance zu bringen. Teilweise werden auch die soziale und kulturelle Gerechtigkeit explizit als weitere Ziele genannt. Die verschiedenen Nachhaltigkeitsdimensionen stehen gleichberechtigt nebeneinander und sollen mit- und aufeinander abgestimmt werden. In der Praxis führt dies jedoch oft zu Problemen, da die Ziele je nach Blickwinkel unterschiedlich gewichtet werden und es zu Zielkonflikten kommen kann. Es ist also kein einfaches Thema, und oft zeigt sich, dass Nachhaltigkeit zu einem „Plastikwort“ verkommt, über das sich trefflich diskutieren lässt und dem oftmals unterschiedliche Definitionen zugrunde liegen.
Nachhaltigkeit in der Bodenseeregion
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Wissenschaft und Gesellschaft weltweit. Wie sieht es in der Bodenseeregion aus? Sind die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz hier angekommen? Welchen Stellenwert hat eine nachhaltige und klimaneutrale Politik? Hier lohnt sich ein Blick auf die Anfänge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und die Wurzeln der Umweltschutzpolitik in der Bodenseeregion. Dabei zeigt sich, dass das Thema Nachhaltigkeit schon lange in der Region präsent ist, auch wenn es vielleicht anders genannt wurde. Und ein Blick in die Vergangenheit zeigt uns auch, dass immer wieder die gleichen Zielkonflikte entstehen, wenn es um eine nachhaltige Entwicklung der Bodenseeregion geht.
Herausforderung aufgrund vielfältiger Raumnutzungen
Die Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung unter Berücksichtigung der verschiedenen Zieldimensionen ergibt sich aus den vielfältigen Ansprüchen an die Raumnutzungen in der Bodenseeregion: Sie ist beliebte Ferienregion, leistungsfähiger Wirtschaftsstandort, attraktive Wohngegend, überregional bekannter Produktionsstandort für landwirtschaftliche Produkte und Trinkwasserspeicher für mehr als sechs Millionen Menschen. Mit ihrer einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft gehört die Region zu den Naturräumen von europäischer Bedeutung und nimmt dabei schon seit Langem im Natur- und Landschaftsschutz international eine Vorreiterrolle ein.
Schutz des Bodenseeufers vor Bebauung
Das Spannungsfeld zwischen dem Schutz der natürlichen Ressourcen und der wirtschaftlichen Entwicklung resp. dem damit zusammenhängenden zunehmenden Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrszwecke hat die Entwicklung der Bodenseeregion in den vergangenen 100 Jahren geprägt. Der Schutz der sensiblen Bodenseelandschaft vor der zunehmenden Verbauung ist dabei kein neues Thema. Bereits 1926 gründete sich die „Internationale Arbeitsgemeinschaft zum Schutz des Bodenseeufers“. In den folgenden Jahrzehnten stand die Zersiedelung der Landschaft immer wieder auf der politischen Agenda. Erinnert sei hier an den „Bodenseeerlass“ von 1972 mit dem Verbot des Baus von Hochhäusern im Uferbereich, den beiden (baden-württembergischen) Bodenseeuferplänen mit ihren regionalplanerischen Geboten einer seefernen Bebauung oder den verschiedenen Bodenseeleitbildern, die immer auch auf den Schutz der Bodenseelandschaft zielten. Nicht zu Unrecht gilt die Bodenseeregion deshalb als eine der Wiegen des Landschaftsschutzes und teilweise als Vorbild für grenzüberschreitende Raumplanung.
Insel Mainau als Vorreiter
Vordenker für eine nachhaltige Bodenseeregion waren die „Mainauer Gespräche“, die von Graf Lennart Bernadotte 1956 ins Leben gerufen wurden und wichtige Fragen des Landschaftsschutzes und der Landesplanung thematisierten. Mit der „Grünen Charta von der Mainau“ wurden erstmals 1961 wichtige Grundsätze für den Landschaftsschutz und die Raumplanung formuliert, die vor dem Hintergrund der Bodenseeregion entwickelt, aber überregionale Geltung haben sollten. Hier wurden für die damalige Zeit sehr visionäre, fast revolutionäre Ziele (Grüne Charta – Insel Mainau) formuliert, in denen sich auch die heutigen Ziele der Nachhaltigkeitsdiskussion wiederfinden. Dieser Grundgedanke prägte für einen längeren Zeitraum die Philosophie der räumlichen Entwicklung, wenn auch zeitgleich einige Projekte diskutiert wurden, die einer nachhaltigen Entwicklung widersprachen. Zu nennen sind hier z.B. die Überlegungen zur Schiffbarmachung von Hochrhein und Bodensee (mit einem großen Freihafen an der Rheinmündung) oder eine Autobahnbrücke über den Bodensee zwischen Meersburg und Konstanz.
Rio 1992 brachte Nachhaltigkeit auf die politische Agenda
Auch in den folgenden Jahrzehnten wurde in der Bodenseeregion mit verschiedenen Bodenseeleitbildern versucht, im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung einen Ausgleich zwischen verschiedenen Raumnutzungen zu erreichen. Mal ist dies mehr, meist aber weniger gut gelungen, da oftmals das entsprechende (raumplanerische) Instrumentarium zu stumpf war, um wirklich substanzielle Veränderungen in der Siedlungsentwicklung zu erreichen. Erst nach Rio 1992 gelangte die Nachhaltigkeit explizit auf die politische Agenda. So wurde von den Umweltverbänden unter dem Begriff „zukunftsfähiger Bodensee“ ein umfassendes Nachhaltigkeitsprojekt auf den Weg gebracht, und auch die Länder und Kantone, die in der Internationalen Bodensee-Konferenz zusammengeschlossen sind, haben sich zu einer breit angelegten „Bodensee Agenda 21“ verpflichtet. Zahlreiche Projekte, von der Jugendbeteiligung über Solarschifffahrt bis zum nachhaltigen Tourismus, wurden in den folgenden Jahren durchgeführt – und es sind erhebliche Fördermittel in diese Projekte geflossen. Die Bodenseeregion hat damals nicht nur europaweit zu den Vorreitern für eine nachhaltige Entwicklung einer Grenz- bzw. Seeregion gezählt.
Nachhaltigkeit wieder ins (politische) Bewusstsein rücken
Seit 2005 dominiert das Ziel des (Wirtschafts-)Wachstums die politische Diskussion und das Engagement für eine nachhaltige Entwicklung hat spürbar nachgelassen. Erst in den letzten Jahren ist es, auch gerade durch das gesellschaftliche Engagement junger Menschen nicht nur in der Bodenseeregion wieder ins Bewusstsein gerückt. Interessante Initiativen, wie z.B. die E-Charta Bodensee der Bodensee-Konferenz oder die Projekte zu einer klimaneutralen Mobilität auf dem Bodensee wurden lanciert. Über diese Einzelinitiativen hinaus, die sicherlich wichtig sind, braucht es für die Zukunft aber weitere und umfassendere Aktivitäten, um die Entwicklung der Bodenseeregion wieder stärker an den Zielen der Nachhaltigkeit auszurichten. Drängende Themen, die alle Regionen gleichermaßen betreffen, wie die CO2-Reduktion, aber auch regionalspezifische Themen, wie z.B. der Konflikt zwischen (bezahlbarem) Wohnraum und steigendem Flächenverbrauch, brauchen dringend wieder mehr Aufmerksamkeit. Einzelne Städte und Gemeinden sind hier auf einem guten Weg, ebenso wie einzelne Teilregionen. Es braucht aber wieder eine Vision einer nachhaltigen und klimaneutralen Entwicklung der grenzüberschreitenden Bodenseeregion. Eine mutige Vision, wie es im Jahr 1961 die Grüne Charta der Mainau war.
Text: Roland Scherer
Der Denkraum Bodensee
Im sogenannten Think Tank „DenkRaumBodensee“ engagieren sich die Universitäten St.Gallen und Konstanz, die Zeppelin Universität in Friedrichshafen, die Duale Hochschule Ravensburg, das Liechtenstein Institut, das Vorarlberger Architektur Institut in Dornbirn sowie die Internationale Bodensee-Hochschule IBH in Kreuzlingen, um den Dialog zur Zukunft der Bodenseeregion fortzusetzen. Die Finanzierung erfolgt aus Eigenmitteln der beteiligten Partner sowie aus Mitteln des Interreg V-Programms „Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein“ und der Internationalen Bodensee-Konferenz IBK. In unregelmäßigen Abständen berichtet der DenkRaumBodensee in akzent über verschiedene Themen.
Beitragsbild: Insel Reichenau | Foto (c) Stefan Arendt