Immer mehr Weingenießer entdecken, dass man nicht nur in Frankreich oder Italien, sondern auch am Bodensee ausgezeichnete Chardonnays entdecken kann.

Chardonnaykenner preisen den noblen Ausdruck und seine Vielschichtigkeit. Die mit der großen Burgunderfamilie nah verwandte Rebsorte liebt kalkreiche Böden, passt sich aber perfekt an die Eigenschaften beinahe jedes Terroirs an, was der Vielfältigkeit zugutekommt. Seine große Wandlungsfähigkeit ist die typische Stärke des Chardonnay; Charakterfestigkeit wie etwa beim Riesling oder Grauburgunder dagegen weniger. Seine besten Eigenschaften zieht er aus dem Boden, aus dem Geschick des Kellermeisters und wie dieser entscheidet, auf welche Qualitätsstufe er den Wein heben möchte. Denn wie kaum ein anderer Weißwein liebt der Chardonnay auch den Ausbau im Barrique und entfaltet bei entsprechend langer Reife wahre Noblesse und seine Anlagen zu einem großen Wein. In der Nase gefallen dann neben typischen gelben Fruchtaromen auch leichte Rauch- und Röstnoten, ein Hauch Vanille, Butter und Haselnuss. Den oft höheren Alkoholgehalt durch die längere Reife bindet die mildere Säure relativ gut ein. Aber auch ohne Ausbau im Holzfass besticht ein moderner Chardonnay vom Bodensee mit Eleganz und einem edlen Bouquet von frischen, zarten Aromen wie Zitrusnoten, gelber Apfel, Honigmelone, zuweilen auch Ananas und Kräuter. Modern, weil die heutigen Chardonnays viel schlanker und leichter ausgebaut werden als die opulente Vorgängergeneration. Im Stahltank vergorene Chardonnays werden auch für die Champagnerherstellung und gute Winzersekte eingesetzt.

Am Bodensee entwickeln die Chardonnays im Vergleich zu anderen Anbaugebieten in der Welt ihren spezifisch eigenen Charakter, aber wiederum ganz unterschiedlich je nach Standort und Erzeuger. Georg Netzhammer vom Weingut Engelhof hat die Reben aus dem ursprünglichen Herkunftsgebiet des Chardonnay, dem Burgund, bezogen. Sein bester, im Barrique gereifter, ist eine Einzellage vom Steilhang am Hohentengener Oelberg und wurde von der AWC Vienna mit Gold ausgezeichnet. Außerdem hat der Winzer vom Hochrhein noch zwei weitere Chardonnays im Angebot, eine gute Gelegenheit, die Unterschiede zu schmecken. Die bietet auch das Weingut Vollmayer am Hohentwiel mit dem Chardonnay 2019 trocken, mit fruchtbetontem Aromaspektrum von Melone, Quitte und Banane und dem facettenreichen Chardonnay Spätlese 2018 Barrique.

Weil sich der Wein so vielfältig im Ausdruck zeigt, lohne es sich unbedingt, verschiedene Chardonnays zu probieren, empfiehlt Oenologe Andreas Stössel vom Weingut Schmidheiny im St. Galler Rheintal. Der Schmidheiny-Chardonnay wurde im Barrique und 18 Monate auf der Hefe ausgebaut; das Ergebnis ist ein saftiger, salziger, dichter Wein mit einer eigenwilligen kräuterigen Note – ein vollmundiges Trinkerlebnis, das gut zu Fisch, Risotto, auch zu fruchtigen Currys mit Hühnchen und Käse passt. Der elegante 3-Sterne-Chardonnay Meersburger Chorherrenhalde Barrique vom Meersburger Staatsweingut schmeichelt mit anregenden Aromen von Birnen, Nüssen, Röstnoten, während sich der von Savoir Vivre mit Gold prämierte Meersburger Sonnenufer Chardonnay vom Winzerverein Meersburg mit einem eher fruchtigen Bouquet als Begleitung zu leichten Gerichten, Fisch, Geflügel und Kalb empfiehlt. Auch die Kreationen im Weingut Aufricht überzeugen: Der Chardonnay 2019, 1 Lilie, von Alten Reben, kommt aus dem Holzfass und duftet nach Quitten und rosa Grapefruit, verwoben mit einer weichen Zitruslinie. Der andere, Chardonnay Kalkbrunnen 3 Lilien, stammt von einer historischen Kleinparzelle, ist im Holzfass gereift und gibt sich körperreich und aromabetont mit Bergamottenoten. Eine charaktervolle Cuvée von Grauburgunder und Chardonnay hat Aufricht-Sohn Johannes mit seinem Faible für experimentelle Kelterungen kreiert: Trauben von den ältesten Weinbergen, ein Jahr Hefelager sowie unfiltrierte Abfüllung – das Ergebnis könnte Weingenießer mit Offenheit für Neues begeistern. Last but not least: Ein spritzig-fruchtiges Trinkvergnügen bereitet der VDP Chardonnay Sekt aus dem Weinkeller von Markgraf von Baden.

Text: Heide-Ilka Weber