Bahnen und Züge verbinden uns rund um den See, wie dieser auch selbst die Länder verbindet: Eine kleine Entdeckungsreise um den See zu Bahnhöfen und Lokalen, zu Orten des Abreisens und des Ankommens und zu Orten des Fernwehs. Zudem ein Blick auf die Kulturgeschichte der Bahn in Verbindung mit der Gastronomie.
Von Patrick Brauns
Eine kurze Geschichte
Die Geschichte der Bahnhofsrestaurants beginnt schon im 19. Jahrhundert, aber es genügt schon ein Rückblick auf wenige Jahrzehnte, um große Veränderungen zu sehen, gerade hier am Bodensee. Vor einer Generation, in den 1990er-Jahren, war es noch ziemlich umständlich, fast abenteuerlich, an einem Tag mit dem Zug um den Bodensee zu fahren. Es gab noch keine grenzüberschreitenden Fahrpläne und Fahrkarten, kaum durchgehende Züge, und die Taktfahrpläne waren erst in der Aufbauphase, weit entfernt von den heutigen Zuständen, wo man einfach in den Zug einsteigen kann, um an einem Umsteigebahnhof nach einer kurzen Wartezeit in den nächsten weiterführenden einzusteigen.
Damals gab es noch längere Pausen, die man dann in Bahnhofslokalen verbringen musste. Mit etwas Glück hatte man die Rundreise an einem Tag geschafft, aber mit mehreren Fahrkarten, die in drei verschiedenen Währungen am Schalter zu bezahlen waren. Seitdem hat sich fast alles geändert: die Züge, die Fahrpläne, die Tarife und Fahrkarten – und die Bahnhofsrestaurants oder Bahnhofsbuffets, in denen man heute nicht Zeit verbringen muss, sondern ganz angenehm verbringen kann. Klassische Bahnhofsrestaurants gibt es kaum noch, die Kombination „Bahnhof und Gastronomie“ ist vielfältiger geworden: So sind die früheren Güterhallen für neue gastronomische Nutzungen frei geworden,
oft für Trendgastronomien.
Mit der Schwarzwaldbahn zum zweiten Frühstück
Von Konstanz kommt man im Stundentakt mit schnellen Eilzügen in drei verschiedene Richtungen: nach Zürich, St. Gallen und Karlsruhe. Zuerst einmal mit der Schwarzwaldbahn weg, um in einem ersten Bahn-Lokal einen zweiten Kaffee zu trinken. In Radolfzell bietet sich das im erst 2022 von „Nordbahnhof“ zum „Heimathafen“ umbenannten Lokal an, das aber nicht zum Hafen, sondern zur Altstadt hin orientiert ist. Wer lieber in Radolfzell im Zug sitzen bleibt, erreicht nach wenigen Minuten Singen. Hier wurde 1863 nach dem Bau der Hochrheinbahn der erste badische Bahnhof in der Region eröffnet. Von ihm gingen bald Züge in die vier Himmelsrichtungen, diese Verkehrslage hat aus dem Bauerndorf erst die Industriestadt gemacht. Im Bahnhof Singen selbst gibt es heute nur noch Fast Food und Fast Drink, deshalb muss man schon mindestens die Bahnhofsstraße überqueren, um das passende Lokal zu finden. Zwischen den beiden Flügeln des Einkaufszentrums CANO hat das „Café Hanser“ alle Modernisierungen überlebt. Es ist aus den 1930er-Jahren, seine Einrichtung kann also in wenigen Jahren ihr hundertjähriges Jubiläum feiern. Auch wegen der großen Auswahl an Kuchen und Backwaren ist die Konditorei der alten Schule einen Besuch wert. Nur einen Katzensprung von Singen liegt Schaffhausen. Hier sucht man vergeblich nach einem Bahnhofsbuffet, aber schräg gegenüber dem Bahnhof ist mein kleiner „Geheimtipp“: Das „Café City“ im historischen Haus s‘Grütli war früher der Ort, an dem die Bähnler in den Pausen ihren Kaffee getrunken haben – und auch heute wird es noch oft von Reisenden zwischen zwei Zügen besucht, wie der Wirt bestätigt.
Mittags mit See- und Bergsicht
Von Singen fährt jede Stunde eine Regionalbahn nach Friedrichshafen, aber nur alle zwei Stunden ein zeitsparender Eilzug, der in Radolfzell, Überlingen und Salem hält. Die alte Hafen- und Handelsstadt Überlingen ist durch die unterirdische Streckenführung mit zwei Tunnels ein weißer Fleck auf der Landkarte der Bahnhofslokale, sie wäre aber eine wichtige Station für das Thema Schifffahrt. Wer Hunger hat, könnte in die Regionalbahn umsteigen und kurz vor Friedrichshafen am gleichnamigen Bahnhof im Kulturlokal „Bahnhof Fischbach“ einkehren. Das Restaurant befindet sich im früheren Bahnhofsgebäude und der Theatersaal in der früheren Lokhalle.
Auf de schwäb’sche Eisenbahn zu bayerischen Knödeln
Der Stadtbahnhof Friedrichshafen war 1847 der erste Bahnhof am ganzen Bodensee, da waren die Württemberger mit ihrer „Schwäbischen Eisenbahn“ schneller als die Badener und die Bayern, sodass sich die königliche Residenzstadt früh zu einem Umschlagplatz für den Verkehr vom Land über den See entwickeln konnte. Für die Verladung von Gütern und Personen auf Schiffe und Fähren ließ der König 1850 den Hafenbahnhof erbauen, seit 1933 ist er in der heutigen Form, ein Baudenkmal der frühen Moderne. In diesem ist das Zeppelin-Museum und im Obergeschoss das Restaurant, mit einer Einrichtung original aus dieser Zeit. Mit bester Sicht kann auf dem Balkon Platz genommen werden. Die Küche ist nicht mehr so schwäbisch wie früher, seit dem letzten Pächterwechsel ist sie mit dem Namen „V2O“ (= vegan vegetarian organic) auf Bio orientiert, in der Zeit der Erbauung des Bahnhofs wäre das eine Ernährung im Sinne der Lebensreform-Bewegung gewesen. Als Mittagsgericht munden „Hausgemachte Spinatknödel mit Champignons in Rahmsauce“. Früher sind hier die Reisenden von Zügen mit rauchenden Dampfloks in rauchende Dampfschiffe umgestiegen. Reihenweise wurden damals Güterwaggons auf die Fähren geschoben (noch bis 1976!) – heute geht der Blick auf Autofähren und moderne Kursschiffe, auf Katamarane und ab und zu auf einen der neuen Zeppeline. Von Friedrichshafen aus fährt die Geißbockbahn nach Aulendorf und erinnert mit ihrem Namen an den Bau der württembergischen Südbahn. Die Stadt Ravensburg ist die erste größere Station und war durch die Industrie ein wichtiger Güterbahnhof. In einer der Güterhallen etwas abseits des Bahnhofs ist die „Kantine“, auf der anderen Seite ist das „Gleis 9“. Aber die Atmosphäre des „Auf den nächsten Zug Wartens“ vermittelt am ehesten noch das „Café der Bäckerei Hamma“ im Bahnhofsgebäude, mit Terrasse auf dem Bahnhofplatz.
Wer mit dem Zug von Friedrichshafen nach Lindau fährt, landet möglicherweise in Reutin. Diese Station ist praktisch für die schnellen Anschlüsse nach München, aber gastronomisch dürftig, im Gegensatz zum früheren Hauptbahnhof, wo die Auswahl groß ist. Der schon 1854 eröffnete Inselbahnhof Lindau wirkt von der Lage her eher wie eine Endstation, ist aber auch ein Umsteigebahnhof, hier ist das erste Ankommen am See, bevor es dann weitergeht. In dem repräsentativen Bahnhofsgebäude im barockisierten Heimatstil aus den frühen 1920er-Jahren sind zwei Restaurants. Im Erdgeschoss an der Südecke des Gebäudes befindet sich das schöner gelegene „37 Grad Kaffeebar“, von der Einrichtung und vom Angebot her ein bisschen alternativ und multikulti. Auf der Terrasse an der Sonnenseite des Bahnhofs, mit Blick über den Hafen und den See auf die Berge schmeckt eine Gemüsequiche oder ein Stück ein Stück selbstgebackener Kuchen. Seit 2017 ist in der früheren Eilguthalle ein großes Restaurant mit dem typografisch originellen Namen „Eil.Gut.Halle“, mit dem es an die frühere Nutzung für den Güterumschlag zwischen Bahn und Schiff erinnert. Zu diesem gehört noch der Biergarten „Strandlounge“, in dem man wirklich zum See hin in der ersten Reihe sitzt – perfekt, wenn man länger auf einen Zug wartet.
Nachmittagskaffee in Vorarlberg
Der Hauptbahnhof von Bregenz ist gastronomisch wenig einladend, um die Zeit zwischen zwei Zügen zu verbringen, aber man kann von hier in drei Minuten zum See gehen, wo das „Wirtshaus am See“ von seiner Terrasse das Panorama mit dem ganzen Pfänderrücken bietet. Die Stadt hat glücklicherweise noch einen Hafenbahnhof, etwa 600 Meter weiter Richtung Lindau. Hier lädt die windgeschützte Terrasse des „Pier 69“ ein, in den Sommermonaten kann man die vorbeiflanierenden Passanten beobachten. Vom Hauptbahnhof fährt jede Stunde ein Railjet der ÖBB nach Wien, und ich überlege kurz beim Nachmittagskaffee, ob man für einen Wiener Kaffee nach Salzburg und zurück fahren könnte – es wäre gut möglich.
Vom See in die Lok-Garage
St. Margrethen ist der Schweizer Grenzbahnhof, die nächste größere Stadt am See ist Rorschach. Hier war schon im 18. Jahrhundert ein wichtiger Umschlagplatz für den Getreidehandel über den See (Kornhaus, 1749). Schon 1856 kam der Bahnhof dazu, an dem die Züge nach St. Gallen abzweigen, im Osten des Stadtzentrums konnte er großzügig angelegt werden. Zum See hin wurde später der Platz aufgeschüttet, auf dem seit 2013 das Forum Würth steht. Wer sich zwischen zwei Zügen Zeit lassen will, lässt sich auf dem langen Balkon des „Kunstcafés“ oder des „Restaurants Weitblick“ nieder und schaut über den Tellerrand in die Weite des Obersees. Wer vormittags unterwegs ist und wenig Zeit hat, kann direkt am Bahnhof auf der Terrasse des „Avec-Ladens“ in der Sonne einen Kaffee trinken. Von Rorschach fahren die Regionalbahnen der Seelinie nach Romanshorn – mit einem schönen kleinen Umweg mit dem Schnellzug nach St. Gallen gibt es auf der Rundfahrt noch etwas Großstadt-Flair. Wer etwas mehr Zeit in St. Gallen verbringen will, um dabei tief in die Verkehrsgeschichte und die Vergangenheit der Eisenbahntechnik einzutauchen, kann an der Rückseite des Bahnhofs die 300 Meter zur Lokremise gehen, zu einer der letzten großen Lokomotiv-Garagen. Wegen der Größe des Bahnhofs bildet sie für die vielen Loks mehr als einen Dreiviertel-Kreis. Nachdem sie unter Denkmalschutz gestellt wurde, hat sich hier seit 2010 ein ganzer Komplex von Kultureinrichtungen etabliert: Theater, Kino, Kunstmuseum – und die „Brasserie Chez Lok“, bei der man bei schönem Wetter auch draußen mitten in der Rondelle sitzen kann. Hier sind die Schienen überdeckt, aber im Restaurantraum sitzt man noch direkt über ihnen, und der längste Tisch ist sogar auf den Schienen verschiebbar. Mit der Speisekarte fühlt man sich wie in einem französischen Restaurant mit gehobener Küche: Die „Terrine d’épinards …“ ist fett gedruckt, die „Spinatterrine an Curryschaum mit gebratenem Randen in Kokos“ in normaler Schrift. Die Preise sind schon für ein Mittagsmenü über dem üblichen Niveau, man sollte sich also Zeit dafür nehmen, es wäre einen Ausflug für sich wert. Einen Abstecher wert ist auch die Station etwa einen Kilometer westlich: Der alte St. Galler Güterbahnhof im Lattich-Quartier mit seinen Holzcontainern. Seit 2019 gibt es hier die „Wilde Möhre“, die Anfang März 2024 von einem neuen Team übernommen wurde. Mit konzeptionellem Mut und Freude an kulinarischen Experimenten wurde die Karte komplett überarbeitet. Sobald es wärmer wird, öffnet auf dem Dach die dazugehörige „Rooftop-Bar“ – eine der wenigen in Stadt und Region.
Letzte Pause am Hafen-Bahnhof
Der schnelle Eilzug nach Konstanz hält nur in Romanshorn, wo sich mehrere Linien kreuzen oder treffen, zu Lande und auf dem Wasser – ein echter Hafenbahnhof. Von hier geht die Autofähre nach Friedrichshafen, auf ihr hätte man auch mehr Zeit oben im Café als auf der Fähre Konstanz-Meersburg. Eine Stunde Pause in Romanshorn ist noch drin, zu wenig Zeit für all die Lokale, die sich um den Bahnhof gruppieren. Die schönste Terrasse mit Sicht über den Hafen auf den Hügel mit der großen, hellen Kirche hat das „Hafen“, an der Hafenseite des Bahnhofs, für die Bergsicht müsste man auf die gegenüberliegende Seite gehen. Aber direkt im Bahnhofsgebäude gibt es hier noch die „Brasserie“, die sich gerade so zeigt, wie man sich eine Bahnhofsgaststätte vorstellt: ein hoher Raum, das Mobiliar eher zweckmäßig und eine Speisekarte mit den gängigen Gerichten der Schweizer Küche. Die Bedienung empfiehlt die Gemüsecremesuppe, die von der Chefin mittags frisch gekocht wurde. So kam sie auch, in einer großen Suppentasse, fein püriert, mit etwas Grün drauf und Brot dazu. Von Romanshorn fahren Intercity-Züge nach Zürich, Bern und sogar ins Wallis. Die erste Station nach einer guten Viertelstunde ist Weinfelden, der Eisenbahnknotenpunkt mitten im Thurgau. Hier gibt es ein ganzes Trio von Restaurants mit der Bahn im Namen: Schräg gegenüber das Restaurant „Eisenbahn“, von den Einheimischen nur „Isebähnli“ genannt, mit wunderschönem Restaurantschild, das dazu einlädt, die gute Schweizer Küche zu testen. Fast direkt gegenüber ist noch das „Bistro Gleis 1“ und etwas weiter das „Café La Stazione“, in dem man schon morgens ab 6 Uhr den ers- ten Kaffee trinken kann.
Ankommen am Startpunkt
Zurück in Konstanz schauen wir mit dem Blick eines auswärtigen Reisenden, wo der Tag ausklingen könnte. Direkt gegenüber ist das „Hotel Halm“, das 1874 gerade nach der Fertigstellung der Schwarzwaldbahn eröffnet wurde und in seiner Blütezeit das „Grandhotel“ gegenüber dem Bahnhof war. In dem historischen Bau könnte man dafür in die Bar des Hotels gehen oder in die „Brasserie Ignaz“ an der Ecke zur Bahnhofstraße. Die passenden Drinks, um auf das kleine Abenteuer der Bodensee-Rundreise anzustoßen, gibt es in beiden. Auf die Erkenntnis anstoßen, dass man Land, See und Leute auf diese Art des Reisens, mit Zug und Bahnhofsrestaurant, anders und besser kennenlernt als mit dem Auto oder mit dem Rad, lässt sich auch mit bestem Blick auf den See hinter dem Konstanzer Bahnhof am Hafen. Wo früher Güterwaggons auf alten Gleisanlagen vor sich hin rosteten, warten heute Gastronomen mit kulinarischer Vielfalt auf. Besonderer Anziehungspunkt sind der Biergarten der „Hafenhalle“ oder die Terrassen der „Hafenmeisterei“ und vom „Steg4“. Nur wenige Schritte vom Bahnhof entfernt trifft man im „Konzil Restaurant“ auch auf die Fusion von historischem Erbe und zeitgenössischer Gastronomie.
Bahnhöfe im Überblick
DEUTSCHLAND
Friedrichshafen
Bahnhof Fischbach | www.bahnhof-fischbach.de
V2O | www.v2o-restaurant.de
Konstanz
Brasserie Ignaz | www.brasserie-ignaz.de
Hotel Halm | www.hotel-halm.de
Hafenmeisterei | www.hafenmeisterei.de
Hafenhalle | www.hafenhalle.com
Steg 4 | www.steg4.de
Konzil Restaurant | www.konzil-konstanz.de
Lindau
37 Grad Kaffeebar | www.37grad.eu
Eil.Gut.Halle | www.eilguthalle.li
Radolfzell
Heimathafen | www.heimathafen-gaienhofen.de/heimat-radolfzell
Singen
Café Hanser | www.conditorei-cafehanser.com
Ravensburg
Kantine | www.kantine-ravensburg.de
Gleis 9 | www.gleis9-rv.de
Bäckerei Hamma | www.hamma.de
ÖSTERREICH
Bregenz
Pier 69 | www.pier69.at
Wirtshaus am See | www.wirtshausamsee.at
SCHWEIZ
Romanshorn
Hafen | www.restaurant-hafen.ch
Brasserie | www.brasserie-romanshorn.ch
Rorschach
Kunstcafè + Restaurant Weitblick | www.wuerth-haus-rorschach.ch
Schaffhausen
Café City | Bahnhofstr. 50
St. Gallen
Brasserie Chez Lok | www.brasserielok.ch
Restaurant Wilde Möhre | www.wildemoehre.ch
Weinfelden
Gasthof Eisenbahn | www.gasthof-eisenbahn.ch
Bistro Gleis 1 | www.gleis-1-bistro.ch
Café La Stazione | www.beckmohn.ch/standorte/weinfelden-la-stazione
Foto: In der Schweiz hat man manchmal sogar die Auswahl zwischen dem „Bahnhofsbuffet“ im Bahnhof und dem „Isebähnli“ gegenüber – beide erfüllen unterschiedliche gastronomische Bedürfnisse, wie hier im Restaurant „Eisenbahn“ in Weinfelden mit wunderschönem Restaurantschild