Corona hat einige Langzeitfolgen – eine besonders „üble“ ist zum Beispiel, dass sich mit fortschreitender Dauer immer mehr Menschen auskotzen müssen, was sich vor allem in sozialmedialem (Sch)Brechreiz äußert.
In unserem internationalen Teichbiotop lässt sich sehr schön studieren, wie sich Jahrhunderte gepflegte Mentalitätsunterschiede zunehmend angleichen, wenn das Niveau sinkt. Da schimpfen Österreicher, die sich zu KURZ gekommen glauben; die Schweizer fühlen sich spätestens seit Corona komplett ALAINgelassen; und auch am deutschen Ufer wird unverDROSTEN kreuz und quer drauflosgeschrie(be)n.
Ja, auch mir dauert das mit dieser Impferei viiieeel zu lange – und das, wo wir Pandemieexperten doch alle wissen, dass das Netz, das einzig und allein den freien Fall von Wirtschaft und Gesellschaft aufzufangen in der Lage ist, aus vielen Lagen unterschiedlichen Impfstoffes besteht.
In der Journaille (und hoffentlich nicht nur da) gibt es einen Grundsatz, der internetgetrieben nur schwer aufrecht zu erhalten ist: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit! Und schon im Kindergarten lernen wir gänsemarschierend an der vielbefahrenen Straße des Lebens: Der Schwächste gibt das Tempo vor! Beides sind in der Pandemie nur schwer auszuhaltende, aber zutiefst europäische Verhaltensweisen.
Denn die Impfstoffknappheit hat auch mit Gründlichkeit und nicht nur mit Unvermögen zu tun. Dass europäische (und manchmal erschwerend obendrein nationale) Behörden bei hundertmillionenfach zu impfenden neuen Mitteln zwar deutlich schneller als jemals zuvor, aber dennoch genauso gründlich prüfen wollen wie immer, ist für mich ein gutes Zeichen. Ein gutes europäisches überdies. Alle, die den russischen und chinesischen schnellen Weg lobpreisen, empfehle ich, nicht schnell nach Malle zu fliegen, sondern als Impftourist in eines der gelobten Länder zu reisen und sich dort vielleicht auch gleich umzuschauen, was das Fehlen von jeglicher Demokratie sonst noch ermöglicht – abgesehen von Phase III-Impfstudien ungefragt an Millionen Bürgern durchzu„drücken“.
Und ich lebe auch lieber in einem Europa, in dem sich 27 Länder etwas langwieriger einig werden müssen, so dass keiner zurückbleibt, und alle den gleichen Einkaufspreis bezahlen und die Verteilung nach Einwohnerzahlen gestaffelt zeitgleich erfolgt. Israel mit 8,3 Millionen Einwohnern mag für die Schweiz mit ebenso vielen als Vorbild dienen, für ganz Europa taugt der Vergleich nicht – man muss allerdings wissen, dass die kompletten Daten aus dem israelischen, durchdigitalisierten Gesundheitssystem als „Gegendeal“ bei BioNTech landen (Facebook-, Google- und Amazon-Nutzer kennen das ja: Guter Service wird mit persönlichen Daten bezahlt!).
England und auch die USA sind nur schneller beim Impfen, weil sie keine Impfstoffe exportieren, sondern – im Gegenteil! – aus europäischen Produktionen teils mitbeziehen. Dass Europa diese nationalen Egoismen nicht lebt, sondern versucht, hier und auch als Einzige (!) im Rest der Welt für eine einigermaßen gerechte Impfstoffversorgung zu sorgen, finde ich als Europäer ein gutes Zeichen.
Und wenn es auch hart ist, auf den letzten Metern jetzt noch etwas länger warten zu müssen: Nach den Infektionswellen wird im April die Impfwelle zuverlässig und anschwellend an alle Ufer des Bodensees schwappen! Und hoffentlich den ganzen angehäuften Schmutz wieder wegspülen.
Wie immer bleibt nach dem Auskotzen auch länger ein ekliger Nachgeschmack. Er sei all denen gegönnt …
Markus Hotz
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