Mit dem Bodensee die Stube heizen
Das Thema ist groß wie der Bodensee und bedeutsam wie die Zukunft:
Der Bodensee ist attraktives Naherholungsgebiet, und – so sagen Energiespezialisten – in ihm ist auch viel Energie gespeichert, die Wärme in die Stuben der Anrainer bringen soll. Die Weichen dafür sind gestellt.
Umweltwärme wird in Form von Erdwärme schon lange genutzt. Dafür sind allerdings oft tiefe Bohrungen notwendig, die nicht immer unproblematisch sind. Die Nutzung der Seewärme würde diese Bohrungen ersparen. Ende November war das Konstanzer Forum Wärmezukunft, eine Veranstaltung der Initiative Konstanz klimapositiv 2030, und auch hier wurde die entscheidende Frage gestellt: „Wie heizen wir in Zukunft?“ Experten aus der Schweiz und aus Deutschland diskutierten zukunftsorientierte Lösungen zur Wärmeversorgung. Ein Fokus lag auf der Nutzung des Bodensees als umweltfreundliche Wärmequelle. Dazu Jogi Seitz, Ingenieur für Versorgungstechnik und Gründer des Ingenieur- und Sachverständigenbüros für Energie- und Kältetechnik EKS Lindau: „Wir bewegen uns im Wohnumfeld zum Heizen und Kühlen in einem Temperaturbereich von -5 bis +30 Grad – das ist ein schmales unkritisches Temperaturband. Die Nutzung des Bodensees als Energiespeicher könnte, verbunden mit einem sogenannten kalten Nahwärmenetz, viele Quartiere, maßgeblich die, die saniert oder neu gebaut werden, klimaschonend mit Energie versorgen.“
Im Dreiländereck sind wir in einer extrem glücklichen Lage.
Jogi Seitz
Bodensee als großer Speicher für kalte Nahwärme
Um dies zu erreichen, sei es notwendig, dass städtische Energiemanager, Kommunalwerke und Projektplaner sich früh austauschten, gemeinsam Pläne erstellten, und den Wärmebedarf erfassten – nicht erst, wenn die Bagger schon anrollen. In einer Art Energieschaukel könnten sich die Gebäude, die Wärme benötigen, und die, die Abwärme übrig haben, ausgleichen. Leider werde viel zu viel Energie einfach ungenutzt in die Umwelt gelüftet, was eine enorme Energieverschwendung darstelle. Eine regionale Energieschaukel, die die benötigte Niedertemperaturwärme über kalte Nahwärmenetze verteile und sie mit Wärmepumpen auf das benötigte Temperaturniveau bringe – vernetzt mit dem Bodensee als sicherem und großem Speicher –, sei eine interessante Zukunftsoption, die die Länder und Kommunen am Bodensee energetisch unabhängig machen könne. Die dafür notwendigen Wärmepumpen und Kompressoren könnten – und hier kommt Vorarlberg ins Spiel – mit grünem Strom der Illwerke betrieben werden. „Im Dreiländereck sind wir in einer extrem glücklichen Lage, dass wir am grünen Stromnetz der Illwerke hängen“, so Jogi Seitz.
Haben es die Schweizer erfunden?
Erfunden haben es die Eidgenossen vielleicht nicht, aber die Schweizer nutzen bereits seit etwa 80 Jahren ihre Seen als Energiequelle – vornehmlich als Wärmequelle, aber auch zur Kühlung von Gebäuden. Die ersten derartigen Anlagen wurden auf der Schweizer Seite des Bodensees schon in den 1930er-Jahren gebaut. Die dafür eingesetzte Technologie hatte ein Pionier in Sachen Kälte-, Klima- und Umwelttechnik, die Lindauer Firma Escher Wyss, entwickelt. Aktuell wird das Bodenseewasser bereits in 20 Anlagen zur Wärmegewinnung genutzt. Zu den bekanntesten zählt die Kantonsschule Romanshorn. Rainer Schellenberg von den Elektrizitätswerken Zürich (ewz) und der Zürcher Seewasserverbunde erzählt, dass Energieexperten dabei sind, die Idee umzusetzen, Gebäude der Züricher Innenstadt mit dem konstant vier Grad kalten Tiefenwasser des Zürichsees im Sommer über Wärmetauscher zu kühlen und im Winter Geschäfte und Wohnungen zu heizen. Rund 50 Energieverbunde, die auf der Wärme aus Seewasser basieren, sind in der Schweiz in Planung. Einige davon resultierend aus der großen Machbarkeitsstudie „Thermische Nutzung Bodensee und Rhein“ im Kanton Thurgau, die 14 Top-Gebiete auflistet. Darunter befinden sich die Thurgauer Städte am See, wie Horn, Uttwil, Münsterlingen, Tägerwilen oder Steckborn, bei denen sich eine thermische Nutzung von See und Rhein am meisten lohnen würde. Der Kanton hat mit seiner Studie die Grundlagen für die thermische Nutzung des Seewassers bereitgestellt und unterstützt mit dem Thurgauer Förderprogramm auch konkrete Projekte.
Eine wichtige Frage:
Hat die Seewärmenutzung Einfluss auf Flora und Fauna im See?
Dr. Martin Schmid aus der Abteilung Oberflächengewässer des Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag sagt: „Kaum.“ Tiere und Pflanzen seien an Temperaturschwankungen gewöhnt. Die Gewässer würden laut der Studien durch die Nutzung fürs Wärmen meistens nur bis zu einem Zehntel Grad abgekühlt, eine derart geringe Abkühlung sei kein Problem für die Lebewesen. Beim Bau der Leitungen für die Entnahme und Rückleitung des Wassers müsse selbstverständlich darauf geachtet werden, dass ökologisch wertvolle Standorte wie Schutzgebiete, Schilfgürtel oder Laichplätze von Fischen nicht beeinträchtigt werden. Kritischer sehe er es, wenn man das Wasser für eine Kühlung nutze, weil es dann wärmer in den See zurückgeleitet werde, der aufgrund der Klimaerwärmung ohnehin schon erwärmt sei.
Kann und darf der Bodensee also als Wärmespeicher genutzt werden?
Der „Wächter“ des Bodensees, Dr. Martin Wessels vom Institut für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Langenargen, erklärt dazu: „Der Klimawandel ist am Bodensee angekommen. Der See verändert sich, es ist mehr Wärme vorhanden als früher, deswegen sind wir auch nicht traurig, wenn etwas Wärme aus dem Gewässer entnommen wird. Damit das vernünftig vonstattengeht, stellen wir die Weichen dafür.“ Die Nutzung des Bodensees als Energiequelle sei ein Projekt, das von den Anrainerländern gemeinsam und koordiniert angegangen werden müsse. Natürlich habe man sich im Institut für Seenforschung bereits überlegt, wie man eine Wärmeentwicklung im Bodensee möglich machen könne und sich mit der IGKB (internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee) abgestimmt, die sich seit 1959 um den ganzheitlichen Schutz des Bodensees kümmert. Österreich, Schweiz, Bayern und Baden-Württemberg sind in der IGKB quasi Paten für den Bodensee und machen gemeinsamen Gewässerschutz. Einige Vorgaben gebe es zur Nutzung des Bodensees als Wärmequelle. So sind beispielsweise die oberen zwanzig Meter für die Ökologie reserviert. Unter vierzig Metern Wassertiefe wird der Bodensee intensiv für Trinkwasser genutzt – über fünf Millionen Menschen trinken aus dem Bodensee. Die zwanzig Meter dazwischen, also zwischen zwanzig und vierzig Metern, das ist die potenziell richtige Schicht, um die Seewärme zu nutzen. Professor Jonny Wüest, Vollblutforscher und Umweltphysiker der Eawag, habe überschlagen, dass alle Bewohner rund um den Bodensee mit Wärme versorgt werden könnten und dabei das Wasser nur um 0,2 Grad abgekühlt werden würde, erzählt Martin Wessels. Die Bodenseerichtlinien zur thermischen Nutzung des Bodensees sollen ein verlässliches Instrument für die Planer und ein Beurteilungsinstrument für die Genehmigungsbehörden, also für die Landratsämter und Kantone sein. Im Kataster der Wärmenutzungen am Bodensee sei ersichtlich, dass Bodenseewasser bereits vielfältig genutzt werde. Die MTU in Friedrichshafen nutze es schon sehr lange als Kühlwasser für ihre Motorenprüfstände, die Uni Konstanz nutze zur Kühlung ebenfalls Bodenseewasser.
Wenn wir es schaffen, die Seewärme in die Altstadt zu bringen, bleiben ihr Flair und ihre Optik erhalten.
Robert Scherer
Moderne Technologie in historischen Häusern
Robert Scherer, Bürgermeister von Meersburg, ist ein großer Freund der Seewärme. Die Stadt hat eine Machbarkeitsstudie bei RBS Wave in Auftrag gegeben und: „Wir haben unsere Pläne im Umweltministerium vorgestellt. Wir wären eines der größten Projekte zum Thema Seewärme in ganz Deutschland.“ Im Zuge der Konzeptionierung der Therme Meersburg habe man den Fokus auf Nachhaltigkeit gelegt, und da sei das Thema Seewärme aufgekommen. Ihm gehe es aber um viel mehr: „Unser Ziel ist es, die Altstadt mitzuversorgen.“ Die Meersburger Altstadt ist das älteste geschützte Gesamtensemble in Baden-Württemberg. „Wenn wir es schaffen, die Seewärme in die Altstadt zu bringen, bleiben ihr Flair und ihre Optik erhalten, und im Hintergrund haben wir dennoch eine zukunftsweisende, neue Technologie. Deshalb suchen wir neue Wege, und ich bin überzeugt, dass wir die Seewärme hinbekommen“, sagt Robert Scherer optimistisch. Die Studie von RBS Wave besagt, dass die Quagga-Muschel, die den Bodensee invasionsartig besetzt habe, ein Problem sei, das sich wirtschaftlich schwer berechnen ließe. Aber: „Wir werden doch nicht wegen der Quagga-Muschel aufgeben“, sagt Robert Scherer kämpferisch. Rainer Schellenberg kann beruhigen: „Es gibt technische Möglichkeiten im Kampf gegen die Quagga-Muschel. Sie ist kein Hinderungsgrund.“
Eine Region kann damit durchaus energetische Selbstständigkeit erreichen.
So funktioniert Seewassernutzung
Die im Seewasser enthaltene Energie kann beispielsweise Unternehmen und Wohnquartiere versorgen. Dazu wird Seewasser mit einem sogenannten Seiher (ein sehr großes Sieb) in geeigneter Tiefe (im Bodensee liegt sie zwischen 20 und 40 Metern) gefasst. Über ein geschlossenes Rohrleitungssystem wird es in eine Seewasserzentrale gepumpt. In einem Wärmetauscher wird die Wärmeenergie des in dieser Tiefe 4 bis 10 Grad warmen Seewassers auf ein Kältemittel in einem separaten Kreislauf übertragen. Das Seewasser wird nach dem Durchlaufen des Kreislaufs sauber, leicht abgekühlt und unversehrt wieder zurück in den See geleitet. Das im Wärmetauscher temperierte Kühlmittel durchströmt einen Kompressor, verdampft, erhöht dabei seine Temperatur und verflüssigt sich wieder. Dabei wird in einem weiteren Wärmetauscher die Wärmeenergie aus dem Kühlmittel an das Heiz- und Brauchwarmwasser weitergegeben. Eine Wärmepumpe hebt die Temperatur auf das nötige Niveau, meist 40 bis 65 Grad, und leitet es in die angeschlossenen Haushalte. Dasselbe Prinzip – nur umgekehrt – wird bei der Kühlung angewendet. Wichtig zu wissen: Das Kältemittel zirkuliert ebenfalls in einem geschlossenen Kreislauf und kommt weder mit dem Seewasser noch mit dem Heiz- und Brauchwarmwasser je in Berührung.
Ökologischer und wirtschaftlicher Nutzen auf einen Blick
Dass dem Seewasser Wärmeenergie entzogen wird, kann laut der Studie des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag und des Instituts für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Langenargen der Klimaerwärmung entgegenwirken, die in vielen Gewässern die Temperatur ansteigen lässt. Seewasser kann zusätzlich im Sommer zur Raumkühlung eingesetzt werden. Das genutzte Seewasser nimmt dann allerdings die Wärme der zu kühlenden Gebäude auf und wird leicht erwärmt in den Bodensee zurückgeleitet. Hier müssen die ökologischen Auswirkungen sorgfältig geprüft und strenge Vorgaben eingehalten werden. Wird das genutzte Wasser in der sogenannten Sprungschicht, das heißt in einer Tiefe von 20 bis 40 Metern, zurückgegeben, wäre die Nutzung von Seewasser im Sommer wahrscheinlich ohne negative Auswirkungen auf das Ökosystem möglich. Um einen Seewasserverbund wirtschaftlich zu betreiben, sollte er möglichst viele Verbraucher auf möglichst kleinem Raum versorgen. Folglich eignet sich die Seewassernutzung vor allem für Städte und Gemeinden, die direkt oder sehr nahe am Bodensee liegen. Der Anschluss an ein thermisches Netz benötigt kaum Installationen. Eine Wärme-Übergabestation benötigt wenig Platz. Gerade an Standorten mit hohen Bodenpreisen sind damit relevante finanzielle Vorteile verbunden. Zudem fallen kaum Kosten für Unterhalt oder Wartung an. Und: Die Energiepreise für Seewasser-Energie sind sehr stabil und nicht von einem Weltmarkt abhängig wie etwa bei einer fossilen Heizung – eine Region kann damit durchaus energetische Selbstständigkeit erreichen. Den Bodensee darf man also künftig nicht nur als hübsche Kulisse betrachten, sondern auch als attraktiven erneuerbaren Energiespeicher.
- www.lubw.baden-wuerttemberg.de
- www.konstanz-klimapositiv.de
- www.bodenseeonline.de
- www.meersburg.de
- www.eawag.ch
- www.ewz.ch
Die komplette Studie
des Kantons Thurgau:
Kanton Thurgau (tg.ch)
Text: Susi Donner