Das erfolgreiche theaterpädagogische Projekt des Theaters Konstanz, das in Gefängnissen durchgeführt wird, geht dank der erneuten Förderung durch die Baden-Württemberg Stiftung in Höhe von über 400.000 Euro in den kommenden beiden Spielzeiten weiter. Die Gesamtfördersumme liegt damit bereits bei über einer Million. Seit mehr als sieben Jahren realisiert das Theater Konstanz Theaterprojekte in Strafvollzugseinrichtungen in Baden-Württemberg, seit vier Jahren unterstützt von der Stiftung.
Bei der Bekanntgabe der neuen Förderzusage gaben neben der Intendantin Karin Becker auch Christoph Dahl, Geschäftsführer der Baden-Württemberg Stiftung, der Landtagsabgeordneten Nese Erikli MdL (Bündnis 90/Die Grünen), die sich seit Jahren für das Projekt einsetzt, sowie Projektleiterin Mela Breucker und ihrem Team Einblicke in die bisherige Arbeit.
Wir freuen uns riesig über die erneut hohe Förderung. ,Theater hinter Gittern‘ ist ein immens wichtiges Projekt abseits der Bühne.
Karin Becker
Was geschieht, wenn Öffentlichkeit und Kunst in Räume gebracht werden, in denen sie sonst kaum existieren? Seit fünf Jahren untersucht das Theater Konstanz in Kooperation mit vier Strafvollzugsanstalten diesen vermeintlichen Widerspruch. Theaterpädagoginnen gehen in die Gefängnisse mit dem Angebot, gemeinsam Stücke zu erarbeiten. Sie wollen damit Insass*innen helfen, sich ihrer theatralen Freiheit bewusst zu werden, stoßen Veränderungen in Strukturen an und geben Denkimpulse. Bislang werden in den Justizvollzugsanstalten Konstanz, Ravensburg, Adelsheim und Schwäbisch Gmünd Workshops im Rahmen des Schulunterrichts der Justizvollzugsanstalten durchgeführt, aber auch langfristige Formate angeboten, die in eine abschließende Aufführung münden.
Freiheitsentzug trifft auf theatrale Freiräume
Seit der Spielzeit 21/22 wird beispielsweise mit 16 jugendlichen Inhaftierten des Schreinereibetriebes der JVA Adelsheim ein Theaterprojekt durchgeführt. Im Juni 2022 wurde das Ergebnis des Theaterprojekts, die Stückentwicklung „Alharih – Das Reich der Vögel“ gezeigt. Begleitend zur Theaterarbeit wurde mit einem Teil der Theatergruppe auch tänzerisch und choreografisch gearbeitet, um den Inhaftierten neben dem schauspielerischen Handwerkszeug ebenso Tanz als künstlerisches Ausdrucksmittel näherzubringen. Tanz als Angebot zur Erweiterung des gewohnten Bewegungsrepertoires. Vielleicht sogar, um so für einen Moment den stark reglementierten Gefängnisalltag zu vergessen. Das hier entstandene Tanzvideo wurde im öffentlichen Raum gezeigt, um auf das Projekt aufmerksam zu machen.
Um auf die Situation der Gefangenen hinzuweisen und das Projekt in die Öffentlichkeit zu tragen, entstand im Sommer 2021 eine Installation mit künstlerischen Arbeiten zum Thema „Isolation“: Auf dem Konstanzer Münsterplatz wurde ein Container aufgebaut, in dessen Inneren eine Haftzelle mit 13 Quadratmetern nachgebaut wurde. Wer eintrat, konnte Bildern und Texten Inhaftierter folgen, die darauf warteten, gesehen und gelesen zu werden. Es war sogar möglich, sich einschließen zu lassen.
Auch Schuhkartons, in denen Gefangene ihre Wunschzelle bastelten, wurden ausgestellt. Im Juli 2022 fand in Konstanz eine Fachtagung zum Thema „Kunst und Kultur in Gefängnissen“ statt, um die gewonnenen Erfahrungen weiterzugeben. Dieser Fachaustausch soll nun alle zwei Jahre weitergeführt werden.
Durch die Theaterarbeit im Gefängnis können sich die Teilnehmer*innen selbst anders reflektieren. Sie haben die Möglichkeit, ihre eigene Rolle in der Gesellschaft neu zu definieren und ihre Selbstwahrnehmung zu verändern.
Zitat Nese Erikli
„Theater hinter Gittern“ möchte der marginalisierten Gruppe von Menschen in Gefängnissen, als Teil unserer Gesellschaft, mehr Präsenz geben. Gleichzeitig geht es aber auch um Resozialisierung, die in der Haftanstalt beginnen muss, um die Rückfallquote zu senken. Das Projekt will Strafgefangenen helfen, Alternativen zum bisherigen Leben zu entwickeln. Die Theaterpädagoginnen berichten, dass Teilnehmer durch das Projekt Bestätigung erfahren, die im bisherigen Leben oft gefehlt hat.
Anfangs noch zögerlich, sind die Teilnehmer in der Regel schnell ambitioniert dabei und begeistern auch Mithäftlinge für das Projekt. Für sie ist Theaterspielen nicht nur eine Abwechslung im Gefängnisalltag, sie sind stolz auf ihre Leistung und freuen sich, das erarbeitete Stück am Ende vor Angehörigen aufführen zu können. „Theater hinter Gittern“ kommt gut an bei den Insassen. Erste Erfolge seien eine Verbesserung des Gruppenklimas im Hafthaus und eine Reduzierung des Gewaltpotenzials in den Gruppen.
Insbesondere jungen Gefängnisinsassen wollen wir auf ihrem Weg zurück in ein Leben ohne Straftaten unterstützen und sie dazu befähigen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Dazu leistet ,Theater hinter Gittern‘ einen wichtigen Beitrag.
Zitat Christoph Dahl
Zukünftig will man sich innerhalb der Gefängnisse noch künstlerisch weiterentwickeln und auch mit Gästen wie mit Dramaturg*innen oder Kostümbildner*innen zusammenarbeiten. Auch Projekte in weiteren Haftanstalten sind geplant. Wunsch des Teams wäre es, dass auch andere Pädagog*innen und Theater sich auf den Weg machten und sich in diesem Bereich engagierten.
Theater Konstanz
www.theaterkonstanz.de
Text: Stefanie Göttlich
Beitragsbild: (c) Theater Konstanz