… und eine kriegerische Idylle

Die Firma Liebherr in Lindenberg, neben der ich aufgewachsen bin, war in meiner Kindheit ein Angstthema, denn die Erwachsenen sagten „die stellen Kriegsflugzeuge her. Wenn es wieder einen Krieg gibt, fallen uns die Bomben zuerst auf den Kopf.“  Nun sitze ich Lothar Höfler gegenüber. Der 79-Jährige widmet seinen Lebensabend der Information der Öffentlichkeit über die Rüstungsindustrie am Bodensee. 2010 hat er, mit einem ehemaligen Pfarrer aus Friedrichshafen, die Initiative „Keine Waffen vom Bodensee“ gegründet.

Hinter der schönen touristischen Hochglanzfassade versteckt sich ein schmutziger Hinterhof

akzent: Herr Höfler, sehe ich, wie stark Friedrichshafen im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde, beschleicht mich das Gefühl, dass die Ängste meiner Kindheit berechtigt waren.

Lothar Höfler: Ja, und sie sind es bis heute. Friedrichshafen wurde seiner Lage wegen erst 1944 zerbombt. Die alliierten Bomber-Armadas konnten zuvor zwar anfliegen und die Bomben abwerfen, aber der Treibstoff reichte nicht, um wieder sicher nach Hause zu kommen. Erst als die Alliierten in Italien und Frankreich ihre Flugplätze errichtet hatten, begann das massive Bombardement auf Friedrichshafen. Dass es Friedrichshafen traf – und wieder treffen würde – ist logisch. Denn die herbeigeredeten möglichen Feinde wissen sehr genau, wo sich die Rüstungsindustrie am Bodensee befindet. Sie erfahren es aus den Medien, über ihre Geheimdienste, aber auch auf den exklusiven Kriegswaffenmessen der Welt, wo Freund und Feind zusammenkommen, ihre famosen Produkte eindrucksvoll den Militärs und Rüstungs-Politikern demonstrieren und auf dicke Exportgeschäfte hoffen.

akzent: Sie haben 15 Jahre als Ingenieur bei Liebherr in der Rüstungsindustrie gearbeitet.

Lothar Höfler: Ich suchte nach meinem Maschinenbaustudium 1967 eine Stelle, die „irgendwie“ mit Flugzeugen zu tun hatte, und landete eher zufällig in Lindenberg bei Liebherr Aerotechnik. Die Firma und speziell die Entwicklungsabteilung befanden sich noch im Aufbau. Es war eine spannende Zeit für einen jungen, technikbegeisterten Ingenieur – ich war damals 26 Jahre alt. Wir waren eine kleine neue Abteilung und hatten viele Freiheiten.

akzent: Wofür waren Sie zuständig?

Lothar Höfler: Ich begann in der Entwicklungs-Konstruktion. Nach etwa zwei Jahren wechselte ich in die Serviceabteilung, wo ich mit Schadensuntersuchungen, Verbesserungsvorschlägen an Schadgeräten und Sonderaufgaben beschäftigt war. In diese Zeit fiel eine grundlegende Umstrukturierung mit der Einführung der EDV für das Beschaffungswesen und die Dokumentation unter dem neuen Überbegriff „Logistik“ bei der Luftwaffe. Als Auftragnehmer und Partner der Luftwaffe musste Liebherr sich diesen Neuerungen anpassen. Das wurde mein langfristiges Aufgabengebiet. Zu meinen Aufgaben gehörten auch Koordinationsaufgaben mit den Lizenzgeberfirmen, zuständigen militärischen Fachstellen und später den Entwicklungspartnern für das militärische Mehrzweckkampfflugzeug MRCA Tornado und den zivilen Airbus.

akzent: Wann und warum setzte Ihr Umdenken ein?

Lothar Höfler: Ein Bericht zur Lage der Menschheit. Energieverknappung, Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Klimawandel, die Vernichtung der Regenwälder, der Rückgang der landwirtschaftlichen Flächen etc. – die besorgniserregende ökologische Entwicklung der Welt wurde schon damals wissenschaftlich untermauert aufgezeigt. Das Buch war für mich eine Offenbarung – mit ihm habe ich den Bazillus des gesellschaftlichen Mitdenkens und Engagements eingesogen. Es hat mich aufgewühlt und politisch aktiviert.

akzent: Ließ sich das noch mit Ihrer Arbeit bei Liebherr vereinen?

Lothar Höfler: Natürlich war zunehmend die Mitarbeit an Geräten für die Rüstung nicht mehr vereinbar mit meinen neuen Interessen. Mir wurde klar, dass ich etwas ändern musste. Noch in den 1970er-Jahren verweigerte ich nachträglich den Wehrdienst. Immerhin habe ich mich Anfang der 1960er für vier Jahre freiwillig bei der Luftwaffe verpflichtet. 1980, da kam gerade mein drittes Kind zur Welt, bin ich bei Liebherr ausgeschieden. Ich begann mein neues Leben in der Selbständigkeit mit alternativen Energien.

Initiative „Keine Waffen vom Bodensee“

akzent: 2010 haben Sie die Initiative „Keine Waffen vom Bodensee“ mitgegründet, die 2014 zum Verein wurde und etwa 60 Mitglieder aus den drei Anrainerländern zählt. Was tut der Verein?

Lothar Höfler: Unser Verein möchte bei der Entwicklung und Wiedererstarkung der Rüstungsindustrie am Bodensee nicht tatenlos zusehen. Nach zwei von Deutschland im 20. Jahrhundert angezettelten Weltkriegen mit 60 bis 80 Millionen Toten kann es doch nicht weitergehen, als wäre nichts passiert. Waffen und Rüstungsgüter vom Bodensee töten wieder mit in aller Welt. Wir leisten Friedens- und Aufklärungsarbeit nach dem Motto „Den Opfern eine Stimme, den Tätern Name und Gesicht“ der bundesweiten Aktion „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“. Die Täter, die Lieferanten der Waffen und des Kriegsmaterials, sitzen auch direkt vor unserer eigenen Haustüre. Sie, die Firmen, ihre Produkte und ihre verantwortlichen Leitungen, wollen wir mit ihren Namen und Gesichtern öffentlich machen. Das ist hart und kann unangenehm sein – für beide Seiten. Mit diesem Ansatz unterscheiden wir uns von anderen Friedensgruppierungen. Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir konkret werden und ein paar Leuten auf die Füße treten. Viele Einheimische kennen zwar die Namen der Rüstungsfirmen und Menschen, die dort arbeiten. Sie wissen aber meist nicht, was real dort geforscht, entwickelt und gebaut wird und welche Gefahren von den Produkten ausgehen. Wir versuchen, das zu recherchieren und über unsere Website, Flyer und Veranstaltungen öffentlich zu machen. Auf unserer Bodensee-Rüstungskarte auf unserer Website und unserem Flyer zeigen wir die Firmen und Dienstleister in den drei Anrainerstaaten, die für die Rüstung und die Kriegswirtschaft arbeiten, zeigen, welche Produkte sie herstellen und ob sie eventuell in verbotene Länder exportieren.

akzent: Wieso gibt es gerade in der Bodenseeregion ein solches Cluster der Rüstungsindustrie?

Lothar Höfler: Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) ist nicht nur der Vater des Zeppelinbaus. Er ist auch der Gründer der heutigen Rüstungsindustrie am Bodensee. Ende des 19. Jahrhunderts kam er nach Friedrichshafen mit der Idee, steuerbare Starrluftschiffe zu bauen. Er hat die Zeppeline nicht erfunden, ihre Entwicklung aber maßgeblich komplettiert und ihnen letztlich seinen Namen gegeben. Will man einen Zeppelin steuern, braucht man Antriebs-Motoren, Getriebe und Steuerorgane. Zeppelin holte den Motorenbauer Maybach aus dem Stuttgarter Raum an den Bodensee – daraus wurde die heutige Rolls-Royce/MTU. Zum Bau der Getriebe und Transmissionen wurde die Zahnradfabrik Friedrichshafen – die heutige ZF gegründet. Das notwendige Trägergas Wasserstoff produzierte schon der Vorgänger des heutigen Wasserstoffwerks Friedrichshafen. Schon bald zu Beginn des Ersten Weltkriegs beauftragte Zeppelin einen seiner Konstrukteure, Claude Dornier, mit der Entwicklung und dem Bau kriegstauglicher Flugzeuge. Daraus wurden später die selbstständigen Dornier-Flugzeugwerke. Aus den ständig wachsenden technischen Bedarfen entstand eine umfangreiche neue Unternehmensstruktur in und um Friedrichshafen. Ganz wesentliche Entwicklungsschübe brachte der Erste Weltkrieg mit dem Bau von annähernd hundert Kriegszeppelinen.

akzent: Das Projekt Zeppelin war von Beginn an also kein Zivilprojekt, wie viele Menschen glauben?

Lothar Höfler: Ohne den Ersten Weltkrieg gäbe es wohl keine Zeppeline. Das Militär – hauptsächlich das Heer und die Marine – hatte den Nutzen der starren Luftschiffe erkannt. Wenn das Militär Interesse hat, fließen die Gelder in Forschung, Entwicklung und Produktion. Das ist unverändert bis heute so. Die Zeppeline wurden zur Beobachtung und als Aufklärer eingesetzt, aber auch als Bomber. London, Paris und Brüssel wurden aus den Luftschiffen bombardiert. Die dortige Bevölkerung hat die riesigen „Zigarren“ gefürchtet. Wie unheimlich muss das gewesen sein, wenn plötzlich leise diese riesigen Apparate aus den Wolken auftauchten und Tod und Verwüstung brachten?

akzent: 1919 wurde aber der Friedensvertrag von Versailles geschlossen, der den Wiederaufbau der deutschen Streitkräfte massiv einschränkte.

Lothar Höfler: Die Rüstungsindustrie hat sich nicht immer an den Friedensvertrag gehalten, sondern nach Schlupflöchern gesucht und sie gefunden. Claude Dornier zum Beispiel umging das Verbot, indem er seinen Flugzeugbau nach Spanien, nach Italien und danach nach Altenrhein an das Schweizer Bodenseeufer gegenüber von Friedrichshafen verlegte. Mit einer neuen zivilen Gesellschaft und neuer Führung (Zeppelin war 1917 verstorben) begann ab Mitte der 1920er-Jahre der zivile Luftschiffbau. Mit den Groß-Zeppelinen „Graf Zeppelin“ und „Hindenburg“, die um die ganze Welt flogen, war der Gipfel der zivilen Luftschifffahrt erreicht. Diese Epoche endete mit dem Absturz der „Hindenburg“ am 6. Mai 1937 in Lakehurst/USA.

akzent: Und parallel entwickelte sich die Rüstungsindustrie weiter?

Lothar Höfler: Der absolute Höhepunkt der Rüstungsindustrie am Bodensee war mit dem Zweiten Weltkrieg erreicht, was Friedrichshafen mit seiner nahezu völligen Zerstörung büßte. Mit den Nationalsozialisten begann in den 1930er-Jahren eine gigantische Aufrüstung. Friedrichshafen wurde zu einem der kriegswichtigsten Rüstungsstandorte des Reiches. So wurden bei Maybach sämtliche Motoren für die Panzer und Kettenfahrzeuge der Wehrmacht gebaut. Über 160.000 Stück. Unvorstellbare Mengen. Der Zeppelin- Leichtmetallbau produzierte Gehäuseschalen für die geheimen V2-Raketen. Im Wald bei Unterraderach, nahe Friedrichshafen, später durch eine Mülldeponie teilweise überdeckt, befanden sich mehrere V2-Motoren-Prüfstände. Über zehntausend Fremd- und Zwangsarbeiter sowie KZ-Häftlinge schufteten in den Rüstungsbetrieben, bis im Frühjahr 1944 die Alliierten mit dem Bombardement die Betriebe im Zentrum der Stadt in Schutt und Asche legten. Im Jahr zuvor wurde in Überlingen-Goldbach mit Hunderten KZ-Häftlingen noch damit begonnen, einen Melasse-Hügel auszuhöhlen, um Teile der Rüstungsproduktion aus Friedrichshafen bombensicher zu verlagern. Dafür mussten Dutzende Häftlinge ihr Leben lassen.

akzent: Warum floriert trotz dieser schrecklichen Geschichte die Rüstungsproduktion bis heute an unserem idyllischen Bodensee?

Lothar Höfler: Wir dürfen nicht vergessen: Die verantwortlichen Macher in den Betrieben und Verwaltungen sind immer auf Größe, Arbeitsplätze, hohe Steuern, ihr persönliches Ansehen und Einkommen, Macht, Ruhm, Einfluss und Prestige aus. Das ist der Antrieb auch der bösen Tat. 1945 schworen viele Deutsche: „Nie wieder Waffen – nie wieder Krieg!“Doch am Bodensee war das schnell vergessen. Nach zwei Weltkriegen und zwei Niederlagen ging das Rüsten munter weiter. Wir können sogar sagen, dass in der Bodenseeregion wieder eines der größten Rüstungscluster in Deutschland entstanden ist. Wir haben grob überschlagen. Die betreffenden Firmen bieten rund 25.000 bis 30.000 Arbeitsplätze. Davon können etwa 7.000 der Rüstungsproduktion zugeschrieben werden. Und so haben wir eine kriegerische Idylle am schönen Bodensee. Hinter der schönen touristischen Hochglanzfassade versteckt sich ein schmutziger Hinterhof.

akzent: Warum sagen die Menschen nicht einfach nein zu dieser tödlichen Industrie?

Lothar Höfler: Ja, warum? Diese Frage lässt mich nicht los. Wolfgang Borchert gab mit seinem eindrücklichen Anti-Kriegsgedicht „Sag Nein!“ nach 1945 die treffendste Antwort.

Doch die Menschen sind nicht willens oder fähig, diese Konsequenzen zu ziehen. Sie sind sicher keine bösen Menschen, sehr wahrscheinlich gute Eltern und nette Nachbarn. Für sie zählt mehr, dass die Rüstungsindustrie am Bodensee schon so lange besteht und so selbstverständlich ist. Die Arbeitsplätze sind sauber, gut bezahlt und (tod-)sicher. Die Arbeit wird als normal – nicht als ehrenrührig empfunden. Die Firmen agieren nicht im Geheimen und genießen unverständlicherweise hohes Ansehen. Die MitarbeiterInnen sind stolz darauf, in diesen traditionsreichen Firmen zu arbeiten. Der militärische Anteil ist in manchen Betrieben oder zu manchen Zeiten gering. Diehl in Überlingen zum Beispiel ist ein 100-prozentiger Rüstungsbetrieb, nach konservativer Definition eines jener hochgepriesenen, familiengeführten, mittelständischen Unternehmen, Stütze unserer Gesellschaft. Diehl hat sich Technologie für Frieden und Freiheit auf die Fahne geschrieben. Nach außen sauber, gepflegt, nichts qualmt, nichts stinkt. Die Hälfte der Überlinger Bevölkerung arbeitet dort. Doch Diehl-Produkte, Raketen für alle Waffengattungen, töten, wenn sie einmal abgeschossen sind, immer direkt. Ihre Entwickler brüten jeden Tag darüber, wie sie ihr Portfolio noch effizienter, also noch tödlicher machen können!

… unseren Wohlstand, unsere Gesundheit und Sicherheit bezahlen anderswo Menschen teuer mit Hunger, Elend, Tod und Vertreibung

Lothar Hoefler, Protest Diehl

akzent: Also kollektives Wegschauen?

Lothar Höfler: Irgendwie ja! 120 Jahre Waffen- und Rüstungsproduktion am Bodensee. Annähernd 100 Millionen Tote, Invaliden, Zerstörungen und Leiden der Opfer in zwei Weltkriegen sind eine gewaltige Schuld. Haben wir keine Moral, keine ethischen Grundsätze, die uns ein „weiter so“ verbieten? Sind wir unfähig zu lernen? Ist uns alles egal? Nichts hören, nichts sehen, nichts wissen wollen? Bei öffentlichen Straßenaktionen interessieren sich wenige für unsere Arbeit. Von Firmenmitarbeitern werden wir oft beschimpft. Andere sind folgenlos entsetzt. Junge Leute interessieren und engagieren sich nicht für diese Arbeit, trotz der massiven Bedrohungen. Die neuen Waffensysteme sind beängstigend. Satellitenbasierte Kontrolle der Flugzeuge, ein Heer von Kampfdrohnen, die durch Algorithmen gesteuert selbstständig ihre Opfer suchen und vernichten. Szenarien, wie aus aberwitzigen Science-Fiction-Filmen.

akzent: Wie begegnen Sie dem Spruch „wenn wir’s nicht machen, machen’s die anderen“?

Lothar Höfler: Das ist leider so. Deshalb sind der Anstand und die Moral jedes Einzelnen gefragt. Wir versuchen, den Menschen klarzumachen, dass mit ihrer Arbeit und mit den von ihnen produzierten Waffen und Dienstleistungen anderswo in der Welt Menschen und deren Heimat vernichtet werden, dass anderswo Menschen mit Hunger, Elend, Tod und Vertreibung für unser Einkommen, unseren Wohlstand, unsere Gesundheit und Sicherheit teuer bezahlen. Wie wäre es anders herum? Wenn wir, unsere Kinder und Enkelkinder die Opfer wären? Wäre es dann auch noch egal?

akzent: Was können wir gegen die tödlichen Waffen vom Bodensee tun?

Lothar Höfler: Es gibt nur einen Weg: sich entziehen – NEIN sagen. Ich habe mich entzogen nach der Einsicht, dass Rüstungsarbeit schlechte Arbeit ist. Ich wollte etwas Sinnvolles machen, etwas Leben-Erhaltendes. Als moralische und verantwortungsbewusste Menschen, Eltern, Vorbilder für andere, können wir uns nicht an der Herstellung von Mitteln zum Töten anderer Menschen beteiligen. Wir müssen uns das in unsere Gehirne einbrennen, sonst wird es niemals Frieden geben. Wir müssen der Diplomatie höchste Priorität verordnen. Krieg darf nie die Fortsetzung der Diplomatie sein. Und denken wir nie: „Da kann man nichts dagegen tun!“ Es gibt so viele Menschen guten Willens. Sie müssen sich zusammenschließen, gemeinsam sind wir stark, und wir können den Kriegstreibern die Genehmigungen, Gelder, Waffen, Mittel und vor allem die willigen Menschen zur Führung neuer Kriege verweigern.

www.keinewaffenvombodensee.de

Zur Person

Lothar Höfler, 1941 im Sudentenland geboren, lebt in Lindau. „Es hat mich geprägt, dass meine Eltern sich in der Nachkriegszeit lange mühen mussten, um genug Essen für die siebenköpfige Familie auf den Tisch zu bekommen“, erzählt Lothar Höfler. Andererseits erinnert er sich an eine schöne Kindheit, wenig enge Erziehung, viel Freiheit, spielen mit vielen anderen Kindern, große Freiräume – das pralle Leben. „Das hat den Freigeist in mir angelegt.“ Nach der Hauptschule absolvierte er eine Lehre zum Stahlbauschlosser. „Ich war völlig ungeeignet. Aber damals fragte niemand ‚Bub, was willst du denn werden?‘.“ Es folgte eine lange Orientierungszeit.

Das einzige Interesse, das von Anfang an da war, waren Flugzeuge. Lothars Lösung war die Bundeswehr. 1959/60 verpflichtete er sich freiwillig für vier Jahre zur Luftwaffe. Die überwiegende Zeit verbrachte er auf dem Fliegerhorst Memmingen. „Ich wollte nie fliegen – ich wollte an Flugzeugen herumschrauben.“

Seine militärische Laufbahn war nicht von Ehrgeiz geprägt. Während der Bundeswehrzeit heiratete er und sein erster Sohn kam zur Welt. Nach Ende der Bundeswehrzeit studierte er Maschinenbau, fand Anstellung im Rüstungsbetrieb Liebherr Aerotechnik in Lindenberg. 1972 markierte sein politisches Erwachen und den Beginn seines zivil-gesellschaftlichen Engagements, unter anderem in der Friedens- und Anti-Atomkraftbewegung. 1979 war er Mitgründer der Grünen im Landkreis Lindau. 1980 folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. Zunächst im Bereich Biogas und bald darauf in der Planung und dem Bau von Blockheizkraftwerken.

„Es war die energetische Gründerzeit. Alle, die in Deutschland mit „Alternativen Energien“ (Photovoltaik, Solarthermie, Windenergie, Wasserkraft, Biogas, BHKW) anfingen, kannten sich. Trafen sich auf den ersten BIO-Messen. „Abends saßen wir auf Strohballen und tranken das erste Öko-Bier von Lammsbräu. Die Ökobauern hatten ihre alten Ziegen- und Schweinerassen mitgebracht.“ Das sei eine pralle Epoche gewesen. Nachkriegs- und Wiederaufbauzeit. Rock’n’Roll, die 1968er-Bewegung. Die Fress-, Möbel- und Reisewelle wogten über Deutschland hinweg. Daneben: die Wiederaufrüstung einer deutschen Armee und der „Kalte Krieg“. Franz-Josef Strauß und die Atomkraftwerke. Zunehmende Politisierung, Engagement und Widerstand bei Anti-Kernkraft, NATO-Nachrüstung, Wackersdorf, attac, Friedens- und Ökobewegung, Grüne und schließlich der Verein „Keine Waffen vom Bodensee“.

Lothar Höfler immer irgendwie dazwischen und mehr oder weniger aktiv dabei. Das ist geblieben bis heute. „Leider stecken zu viele Leute in ihren Komfortzonen fest – interessieren sich wenig für Politik, Gesellschaft, Gemeinwohl und ihre Zukunft. Urlaub, Party, Sport und vieles mehr sind ihnen wichtiger“, sagt er schulterzuckend, aber nicht enttäuscht. Für ihn gilt weiter Erich Kästners Einsicht: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Und kritisch ergänzt er: „Warten wir ab, was die Zeit nach Corona bringt.“

Text & Portätfotos: Susi Donner