Nichtalkoholische Getränke, nach den Bieren nun auch in den Bereichen Wein, Sekt und Cocktails, werden immer beliebter – gerade (aber nicht nur) bei den Jungen. Die Umsatzzuwächse bei den entsprechenden Herstellern belegen einen Trend, der den lange als selbstverständlich hingenommenen gesellschaftlichen Zwang zum Alkoholkonsum fröhlich ignoriert. Weltweit ist der Markt der alkoholfreien Getränke um mehr als 32 Prozent gewachsen. Der Dry January ist heute für viele eine Einstiegsrampe in einen bewussteren Umgang mit Alkohol.
Feiern ja, aber bitte mit klarem Kopf. Schließlich will man am nächsten Morgen frisch sein beim Joggen. Die Zeiten haben sich geändert: Wer ehemals bei der Party oder im Club bei alkoholischen Getränken dankend abwinkte, musste sich meist irgendwie rechtfertigen. „Muss noch fahren“ oder „bin schwanger“ gehörten zu den gebräuchlichsten Antworten auf die Fragen der anderen („Alles in Ordnung mit dir?“). Die immer öfter so genannte Generation Dry will Spaß, zeichnet sich aber vor allem durch ein gewachsenes Körper- und Fitnessbewusstsein und die Lust an der Selbstoptimierung aus. Bewusste Ernährung und ein gesunder Lebensstil sind heute wichtige Themen, und junge Menschen suchen nach Wegen, um ihre Freizeitaktivitäten und ihren sozialen Lebensstil mit diesem Trend in Einklang zu bringen. Alkohol und Zigaretten? Boomer-Zeugs! Mindful Drinking ist angesagt.
Gesellschaftsfähig ohne Alkohol
Aber es sind nicht nur die Jungen, die den Trend zu alkoholfreien Getränken befeuern. Generell sind sie ein Angebot für Menschen, die den Geschmack und das Ambiente von Wein, Sekt und Cocktails genießen möchten, ohne sich den negativen Auswirkungen von Alkohol auszusetzen. „Alkoholfreie Weine und Schaumweine sind auch für Menschen interessant, die – aus welchen Gründen auch immer – grundsätzlich keinen Alkohol trinken und es schätzen, bei Festen nicht mehr mit dem Orangensaft in der Hand herumstehen zu müssen“, sagt Claudia Stehle, Marketingleiterin bei Biowein-Importeur Riegel in Orsingen. Nicht die klassischen Weintrinker also. Kein Wunder, dass Bars und Restaurants zunehmend auf den Zug aufspringen und alkoholfreie Getränke anbieten, deren Qualität obendrein immer besser wird.
Beim Bier, insbesondere beim Weißbier, sind die alkoholfreien Versionen schon lange gesellschaftlich akzeptiert. Das Zauberwort heißt hier: isotonisch. Wer alkoholfreies Bier trinkt, geht als Sportskanone durch. In Deutschland gibt es 700 alkoholfreie Biermarken! Wobei: Bier hat’s da einfacher. Es muss nicht von zwölf, sondern eher von fünf Volumenprozent Alkohol befreit werden. Die im Bier enthaltenen Aromen können wohl auch bei über 40 Grad weitgehend ohne Qualitätseinbußen hinübergerettet werden. Das ist bei Wein und Sekt nicht möglich.
Immer bessere Qualitäten
Der Sekt, Inbegriff des gepflegten Kontrollverlustes, macht sich dank neuer Technologien auch in alkoholfreier Version sehr gut – auf jeden Fall viel besser als früher. Der Verband Deutscher Sektkellereien (VDS) verzeichnete im Jahr 2021 ein ansehnliches Absatzplus von 7,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gemäß der Fachzeitschrift „Wein + Markt“ gehören alkoholarme und alkoholfreie Weine sowie Schaumweine aktuell zu den wenigen Wachstumstreibern im deutschen Weinhandel. Auch international gewinnt das griffig „No & Low“ genannte Segment an Bedeutung. Dabei gilt Deutschland in Europa – was die Menge anbelangt – als führend bei der Entalkoholisierung.
Die hierzulande am meisten genutzte Methode ist die Vakuumdestillation. Möglichst niedrige Temperaturen gelten beim Entalkoholisieren von Wein als Qualitätsmerkmal. Die Weinaromen und den Alkohol trennt man – je nach verwendeter Apparatur
– meist bei Temperaturen um die 30 Grad Celsius aus dem Wein. Die verdampften Aromen werden aufgefangen und in den entalkoholisierten Wein zurückgeführt. Die Grundweine sind im Idealfall aromatisch, aber nicht allzu säurebetont und werden bereits im Weinberg auf nicht zu hohe potenzielle Alkoholgrade getrimmt, etwa durch Maßnahmen wie Ertragssteuerung mit selektiver Lese und Reifeverzögerung durch Entblättern. Ein wichtiger Aspekt bei der Auswahl des Grundweins: Alle verbleibenden, also nicht flüchtigen, nicht destillierbaren Komponenten im Grundwein werden beim Entalkoholisierungs-Prozess konzentriert. Anders gesagt: Das Entalkoholisieren kann zur Betonung von Fehlern führen. Bei den Schaumweinen fällt das laut Claudia Stehle nicht so auf, da die spritzige Kohlensäure einiges kompensiert. Auf jeden Fall erfordert der ganze Prozess viel Expertise und Fingerspitzengefühl. Manche glauben übrigens, dass man anstelle von alkoholfreiem Wein genauso gut Traubensaft trinken könne. Was nicht stimmt, denn der weinige Geschmack entsteht erst durch die Gärung.
Traubensaft-Image adé
Am Beispiel des Biowein-Importeurs Riegel lässt sich exemplarisch die Entwicklung alkoholfreier Weine und Schaumweine darstellen. Seit 2018 habe sich die Nachfrage verfünffacht, sagt die Marketingleiterin. Zum ersten Mal verkostete in diesem Jahr eine Jury bei der Mundus Vini-Frühjahrsverkostung alkoholfreie Weine in einer eigenen Kategorie. Für das Orsinger Unternehmen war der Wettbewerb ein großer Erfolg: Zwei alkoholfreie Produkte, der rote „Bock auf Null Alkohol Vinsenza“ und der Engel Riesling Sekt alkoholfrei, wurden mit Gold ausgezeichnet. Mit den Prämierungen bestätigte die Jury, dass Null Prozent durchaus zu 100 Prozent Genuss führen kann. Generell wurde den alkoholfreien Produkten eine spürbar verbesserte Qualität bescheinigt. Dass dies insbesondere auf das Sortiment bei Riegel Bioweine zutrifft, bestätigt die Mundus Vini-Sonderauszeichnung als „Bester Händler für alkoholfreie Weine“.
Bei so viel Interesse an „No & Low“ muss natürlich auch die Spirituosen-Industrie mitziehen. Schließlich sind ihre Produkte wesentlicher Bestandteil der alkoholfreien Cocktails, die rund um den Globus gemixt werden. Ihr unschlagbarer Vorteil ist, dass sie von den jungen Hedonisten zu allen Tageszeiten getrunken werden können. Ein paar Cocktails, verteilt über den Nachmittag? Da kann am Abend auch noch der ein oder andere Gin oder Highball getrunken werden, ohne einen Absturz befürchten zu müssen. Mit Verzicht hat das nichts zu tun, eher mit Entscheidungsfreiheit.
Wo gibt’s was? Ein paar Beispiele aus der Region
Alkoholfreie Cocktails gibt es beispielsweise bei der US-Mex Terraza am Kreuzlinger Seeufer und in Steckborn. Barman Martin mixt in Kreuzlingen aus Martini Vibrante, Grapefruitsaft und Mineralwasser den „Vibrante“ und aus Martini Floreale und Tonic den „Floreale“. Einfach, lecker, erfrischend.
Erim Türkmen, der Barchef in der Friedrichs-Bar im Hotel 47 ° in Konstanz mixt seinen Cocktail „Karibik“ mit Giffard Blue Curacao – unter anderem. Bei ihm kann man auch das Cocktailmixen erlernen.
Die alkoholfreien, aus Mammern stammenden Tröpfel-Schaumweine haben schon lange einen guten Namen in der Region. Hergestellt werden sie aus einheimischen Früchten und Kräutern. www.troepfel.ch
Auch die Rimuss Kellerei in Hallau bietet ein ganzes Sortiment an nichtalkoholischen Schaumweinen an. Für alle Gelegenheiten. www.rimuss.ch
Die bekannte Mosterei Möhl in Arbon hat einen „Easy Apple Cider“ entwickelt. Sehr erfrischend! www.moehl.ch
Das Weingut Markgraf von Baden in Salem hat einen „Secco alkoholfrei“ in sein Sortiment aufgenommen. Die Kurzbeschreibung: feine Perlen, erfrischende Zitrusaromen und apfelige Noten. www.markgraf-von-baden.de
Eine große Auswahl an entalkoholisierten Weinen und Schaumweinen führt Riegel Bioweine in Orsingen. www.riegel.de
Wein oder Lebensmittel?
Vor Dezember 2021 war entalkoholisierter und alkoholreduzierter Wein ein „Getränk aus Trauben“ und galt rechtlich nicht als Wein, sondern als Lebensmittel. Inzwischen sind (laut EU-Weinrecht) „entalkoholisiert“ oder „teilweise entalkoholisiert“ die üblichen Verkehrsbezeichnungen. Produkte mit weniger als 0,05 Volumenprozent – und nur diese – dürfen als „ohne Alkohol“ ausgewiesen werden. „Alkoholfrei“ darf sich alles nennen, was weniger als 0,5 Volumenprozent Alkohol enthält. Nur: Weiterhin in den Fallstricken der EU-Gesetzgebung verfangen ist der alkoholfreie Biowein. Während die konventionell hergestellten alkoholfreien Weine nun unter das Weinrecht fallen, dürfen die biologisch hergestellten weiterhin unter dem Lebensmittelrecht in den Verkehr gebracht werden. Die erlaubte Verkehrsbezeichnung lautet in diesem Fall: alkoholfreies Getränk aus Biowein oder schäumendes alkoholfreies Getränk aus Biowein.