Die Frage nach ihrem Alter beantwortet sie lachend mit „Ich bin der beste Jahrgang, ich bin die Revolution!“, und zur ersten Premiere in der neuen Spielzeit wird sie provokativ Stiefel mit der US-amerikanischen Flagge darauf tragen. Karin Becker regt gerne zum Nachdenken an, ohne jedoch den Spaß am Leben zu vergessen. Die neue Intendantin am Theater Konstanz im Gespräch mit akzent über Leben, Lachen und was es mit den Stiefeln auf sich hat.
akzent: Warum Konstanz?
Karin Becker: Es ist eine wahnsinnig schöne Stadt. Zudem wollte ich mal wieder an ein kleineres Schauspielhaus. Einfach raus aus dem Hamsterrad, nicht immer schneller, weiter, höher. Ein Theater, bei dem ich näher an den Menschen bin, wo ich etwas bewegen und viel diskutieren kann. Wo ich einfach sagen kann, jetzt machen wir mal ne Runde um den See und denken nach. Nachdenken und zuhören ist wahnsinnig wichtig – das wird ganz gerne vergessen … Außerdem ist die Kombination von Schauspiel und Junges Theater hier für mich ideal, da ich Kinder- und Jugendtheater schon lange unterstütze. Da liegt meine heimliche Leidenschaft.
akzent: Haben Sie je selbst einmal auf der Bühne gestanden?
Karin Becker: (lacht) Das wollen Sie nicht wirklich wissen. Ja, ich war in der Schwäbischen Laientheatergruppe von St. Theresia … und in allen Schultheatergruppen. Hab mich durchgehangelt und ausprobiert und habe auch Regie geführt. Aber irgendwann war mir klar, dass mir das zu wenig ist, dass ich professionell am Theater arbeiten möchte. Ja … und an der Landesbühne Esslingen. Da hatte man damals noch die Spielverpflichtung im Vertrag stehen (lacht) ich war u.a. „Die Schwarze Witwe“ …
akzent: Von Hamburg nach Konstanz: im Norden am Wasser, im Süden am Wasser – welche Rolle spielt Wasser in Ihrem Leben?
Karin Becker: Eine wahnsinnig große! Ich lebe sehr gerne am Wasser. Wasser fließt, Wasser ist in Bewegung. Das empfinde ich für mein Leben, aber auch für meinen Beruf als wichtig. Wasser ist nie gleich. Es verändert sich Tag für Tag. Und so sehe ich auch Theaterarbeit. Wenn ich stehen bleibe und nichts mehr verändern kann, dann ist die Zeit vorbei – dann gehe ich.
akzent: Welche Menschen haben Sie geprägt?
Karin Becker: Wahnsinnig viele! Das fing mit meinem Vater an, der mich mit neun Jahren mitnahm ins Opernhaus in Stuttgart. Wir haben Wagners „Der fliegende Holländer“ gesehen. Auf einem Stehplatz hinter einer Säule – mehr konnten wir uns damals nicht leisten, aber ich fand es total faszinierend. Oder auch Friedrich Schirmer, der Intendant, bei dem ich ganz jung am Theater Esslingen angefangen hatte. An jeder Station begegnen einem Menschen, die einem künstlerisch etwas mit auf den Weg geben. Man sieht aber auch Dinge, die man danach anders machen möchte. Jede Station war für mich wichtig. Nur manchmal hätte ich vielleicht früher aufstehen und gehen sollen …
akzent: Sie sind einfach mit 18, ohne entsprechende Ausbildung und entgegen den Willen der Mutter, in die Württembergische Landesbühne Esslingen gestolpert, um ihren Traum zu verwirklichen, am Theater zu arbeiten. Der damalige Intendant stellte sie sofort als Dramaturgie-Assistentin an. Wie hatten Sie ihn überzeugt?
Karin Becker: (lacht) Ich bin rein und hab gesagt „Guten Tag, ich möchte am Theater arbeiten“. Dann kam mir Friedrich Schirmer entgegen. Wir haben uns anderthalb Stunden unterhalten, in einem Büro voller Stapel an Textbüchern. Und am Ende hab ich ihn gefragt, wer er denn überhaupt ist und was er macht – ich war 18 … Er hat mich jedenfalls nicht rausgeworfen, sondern am nächsten Tag durfte ich als Dramaturgie-Assistentin und Springerin anfangen.
akzent: Ohne jegliche Vorbildung in Sachen Theater?
Karin Becker: Ich hatte Ideen, was ich am Theater später machen möchte, eventuell studieren, dafür musste ich aber erst Geld verdienen. Das hatte ich ihm gesagt. Als Schirmer wegging, bin ich dann nach Wien ans Jura-Soyfer-Theater. Das war nach etwa vier Jahren.
akzent: Sie haben also einfach Ihr Ding gemacht. Haben Sie mit der Intendanz jetzt ihr Ziel erreicht?
Karin Becker: Ich würde es nicht Ziel nennen, sondern ich gehe eine Wegstrecke. Irgendwann war mir klar, dass ich Intendantin werden möchte. Aus all den Stationen und Begegnungen mit Menschen hatte ich eine Menge gelernt, aber auch eine Menge gesehen, wie ich es nicht machen möchte. Und dann muss man sich irgendwann selber sagen „ok, es geht nicht mehr weiter“ und du wirst Kassiererin am Theater oder zapfst Bier in ner Kneipe – oder du machst es eben selber. Und dann hab ich gesagt, ich probier’s. Man kann nicht immer nur sagen, was nicht geht. Man muss auch selbst Verantwortung übernehmen.
akzent: Welches Stück würden Sie gerne mal machen, was bisher noch nicht auf Ihrem Plan war?
Karin Becker: (schmunzelt) Das kann ich schlecht verraten, sonst lesen das die anderen und machen das dann in Baden-Baden, Ravensburg oder Hamburg … Ich habe hier einen Vertrag für fünf Jahre. Da gibt es eine lange Liste von mir. Und es gibt ein tolles Team, die haben auch tausend Ideen. Da muss man sich mit Argumenten durchsetzen und zieht auch mal den Kürzeren. Aber es ist schön, nicht allein zu sein – auch wenn es manchmal anstrengend ist. Die Eröffnungspremiere, der Fallada, ist jedoch auf meinem Mist gewachsen. Das war mein absoluter Wunsch, mit diesem Stück unsere erste Spielzeit zu beginnen.
akzent: Es gab viel Diskussionen, um die Schauspielverträge, die beim Intendantenwechsel nicht verlängert wurden. Wie bringen Sie Ruhe ins Ensemble?
Karin Becker: Ich habe keine Strategie – die Menschen werden es lösen. Wenn man die Menschen denken und sprechen lässt, dann werden sie zusammenfinden. Es wird aber auch viel Lachen und Freude geben. Wir werden uns zusammenraufen. Aber dass man beim Intendantenwechsel auch eigene Künstlerinnen und Künstler mitbringt, ist im Übrigen nicht ungewöhnlich. Wir haben zudem auch neue Teammitglieder rekrutiert und ich habe auch viele Kolleginnen und Kollegen von hier übernommen. Es ist ja nicht so, dass ich alles neu, besser, anders machen wollte. Die sind jetzt alle mit Überzeugung an Bord.
akzent: Wie beschreiben Sie ihre persönliche künstlerische Handschrift in drei Worten?
Karin Becker: Politisch, streitend – dürfen es auch vier Worte sein? (lacht) – zuhörend, lachend. Lachen darf man auch! Das ist so wichtig im Leben. Ich lache wahnsinnig gerne. Lachen bringt so vieles Schönes, denn das Leben zeigt einem ja eh auch so genügend sch… Schlechtes. In dem kleinen Zeitfenster, in dem man auf dieser Erde ist, kann man auch lachen. Aber man muss dennoch respektvoll sein! Und zur Premiere werde ich übrigens Stiefel tragen – ich liiiiebe Stiefel – mit der amerikanischen Flagge drauf. Ich sage dann immer „Leute, das sind meine Wacht-auf-und-denkt-nach-Gedächtnis-Schuhe“. Sprich: Geht man zur Wahl? Was für eine Frage! Was wählt man? Oder wen wählt man? Zur Wahl gehen zu können, ist so ein kostbares Gut unserer Demokratie. Schauen Sie sich doch die Wahlen zum Beispiel in Belarusa an… das beschäftigt mich sehr.
akzent: Ihr Vorgänger Christoph Nix war sehr umstritten, hat polarisiert, war im Clinch mit den Amtsinhabern der Stadt – ein schweres Erbe?
Karin Becker: Herr Nix ist Herr Nix. Und ich heiße Becker und das ist auch gut so. Er ist ein anderer Mensch als ich. Ich sehe da kein schweres Erbe. Es ist sein Kapitel in Konstanz, damit habe ich ja nichts zu tun. Vor allem hat er tolle Zuschauerzahlen gehabt und vieles bewegt in dieser Stadt. Damit kann man nur mit Respekt umgehen.
akzent: Zum Abschluss bitte einen Blick in die neue Spielzeit.
Karin Becker: Es wird eine Vielfalt von wichtigen, neuen und auch intelligent-unterhaltenden Stücken mit spannenden neuen Regiehandschriften geben. Das Theater auf dem Münsterplatz sowie das Projekt „Theater im Gefängnis“ werden weitergeführt. Im Juni werden wir dann eine Koproduktion mit der Südwestdeutschen Philharmonie in der Spiegelhalle machen. Da müssen wir allerdings noch daran arbeiten – dann kann ich’s genau verraten (schmunzelt). In den kommenden Jahren werden wir auch sicher für Koproduktionen ins Ausland reisen, in der ersten Spielzeit jedoch wollen wir alle erst hier ankommen und die Stadt und unser Publikum kennenlernen. So können wir auch raus in die Welt und etwas von Konstanz erzählen. Getreu unserem Spielzeitmotto „Einmal Welt, bitte!“. Ankommen ist sehr wichtig, denn dann gibt man sich auch die Zeit, anderen Menschen zuzuhören. Momentan werde ich auch schon mal auf dem Wochenmarkt zwischen Gemüse und Gurken einfach angesprochen. Das finde ich sehr schön. Oder kürzlich hat ein Abonnent uns geschrieben, was ihm nicht gefällt. Da habe ich ihn einfach angerufen. Dem ist zwar fast der Hörer aus der Hand gefallen, aber so bin ich halt. Ich bin sehr direkt, auch mit den Mitarbeitern.
akzent: Da ecken Sie doch sicher auch an?
Karin Becker: Sicher, aber das finde ich ehrlicher. Alles andere ist verschwendete Lebenszeit. Und ja, ich kann auch mal unbequem sein, und ich kann mal nicht recht haben, und ich kann mal schlecht gelaunt sein – ich bin ja auch nur ein Mensch mit seinen Macken. Ich hab ja nicht immer recht, nur weil da Intendantin an der Türe steht. Wichtig ist nur, dass ich immer die Verantwortung übernehme.
neue Spielzeit ab 26.09.
Theater Konstanz, D-78462 Konstanz, +49 (0)7531 900 21 50
Ein Leben fürs Theater
Die gebürtige Stuttgarterin bringt über 30 Jahre Theatererfahrung mit nach Konstanz. Willens, etwas am Theater bewegen zu können, nutzte die gelernte Arzthelferin und Rettungssanitäterin als 18-Jährige die Chance, an der Württembergischen Landesbühne Esslingen als Dramaturgie-Assistentin quereinsteigen zu können. Stationen am Jura-Soyfer-Theater in Wien und dem Theaterhaus Stuttgart folgten. Später dann Produktionsleiterin und Disponentin am Schauspiel des Staatstheaters Stuttgart sowie Produktionsleiterin am Deutschen Schauspielhaus Hamburg. Ab 2009 war Karin Becker dann schließlich künstlerische Betriebsdirektorin und stellvertretende Geschäftsführerin am Schauspiel Hannover und seit November 2015 künstlerische Betriebsdirektorin am Thalia Theater Hamburg. Am Theater Konstanz startet sie mit der Spielzeit 2020/21 in ihre erste Intendanz.
Interview von Tanja Horlacher, Fotos: Michael Schrodt, Ilja Mess