Wie widerstandsfähig ist der Bodensee?

Der Förderverein Seenforschung Bodensee hatte zu einer öffentlichen Veranstaltung nach Langenargen eingeladen. Unter der Überschrift „Herausforderungen und Perspektiven für den Bodensee im Klimawandel“ nahmen Experten und kommunale Vertreter Stellung zu verschiedenen Themen.

Der Bodensee ist eines der bestuntersuchten Ökosysteme der Welt. Seit den 1960er-Jahren wird ein regelmäßiges, länderübergreifendes chemisch-physikalisches und biologisches Monitoring des Freiwassers durch die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB) durchgeführt. Vor dem Hintergrund der Veränderungen des Sees müsse man das bestehende Monitoring aber kritisch betrachten und die komplexen Vorgehensweisen bei der Erhebung von Daten anpassen, sagte Heinz Ehmann vom Amt für Umwelt des Kantons Thurgau. So ließen sich mit den erhobenen Daten auch zukünftig Fragen beantworten, die man heute noch nicht kenne.

Vor welche Herausforderungen ein solches Basismonitoring-Konzept die Wissenschaftler stellt, zeigte Ehmann eindrücklich anhand der vielen Parameter, die es dabei zu berücksichtigen gibt. Alleine die Masse der Untersuchungsinhalte der verschiedenen Komponenten, von der Topografie über die Verbauung der Uferlinie und Auswirkungen des Wellenschlags über Wasserstände, Trübung und Sichttiefe, bis hin zu Algenpigmenten, Bakterien und Zooplankton, scheint grenzenlos.

Als wäre das nicht genug, muss für jede Komponente entschieden werden, wie und wo sie untersucht werden soll. Messstellen müssen festgelegt und eingerichtet und die Untersuchungsintervalle definiert werden. Vom Verknüpfen der Daten ganz zu schweigen.

Klimawandel – was bedeutet das für den Bodensee?
Die Erderwärmung setzt dem See zu. Noch schneller als die Lufttemperatur geht die Wassertemperatur nach oben. Zwischen 1960 und 1990 lag die durchschnittliche Wassertemperatur in einem halben Meter Tiefe bei etwas weniger als elf Grad Celsius. In den vergangenen 30 Jahren ist sie bereits um mehr als ein Grad angestiegen, und die Kurve zeigt weiter nach oben. 2020 wurden bereits Temperaturen von 14 Grad erreicht.

Doch dieser Wärmeeintrag betrifft nicht nur die Oberfläche, er macht sich auch in einer Tiefe von 250 Metern bemerkbar. In demselben Zeitraum stieg die Durchschnittstemperatur von etwa 4 Grad auf 5 Grad im Jahr 2020 an. Und 2022 war ein überdurchschnittlich warmes Jahr.

Zunehmend warme Winter verhindern das Abkühlen des Oberflächenwassers. Doch nur im Winterhalbjahr kann das Wasser von der Oberfläche bis auf den Seegrund zirkulieren und so tiefergelegene Regionen mit Sauerstoff versorgen. Bereits jetzt breiten sich die sauerstoffarmen Bereiche aus. Daher ist es wichtig, die Phosphorkonzentration konstant niedrig zu halten. Denn mehr Phosphor bedeutet mehr Algen und andere Mikroorganismen im See. Sterben diese ab, sinken sie auf den Seeboden und werden dort unter Sauerstoffverbrauch von Bakterien abgebaut. Die Sauerstoffwerte in der Nähe des Seegrundes können dann in den Jahren mit schlechter Zirkulation kritische Werte erreichen.

Warme Winter ohne Schnee führen aber auch zu höheren Wasserständen als der zwischen 1850 und 2021 errechnete Mittelwert. Trockene Sommer lassen ihn dagegen unter diesen Wert sinken. Kommt es dann, wie in den letzten Jahren, zu Starkregenereignissen, werden vermehrt Nährstoffe über die trockenliegenden Uferzonen ins Wasser gespült, und die Reduktion des Sauerstoffs durch Zersetzung von Algen schreitet voran. Seit 2006 ist die Konzentration von Phosphor sowie Phyto- und Zooplankton konstant. Doch was sich verändert, sind die Arten.

Quaggamuschel – die unheimliche Invasion
„Vermutlich sind wir erst am Anfang einer dramatischen Entwicklung“, sagt Harald Hetzenauer. In einer Tiefe von 20 bis 30 Metern sei der Seegrund bereits flächendeckend mit mehr als 10.000 Muscheln pro Quadratmeter bedeckt, berichtet der Leiter des Instituts für Seenforschung in Langenargen. Seit ihrem ersten Fund im Jahr 2016 verbreitet sich die Quaggamuschel mit rasender Geschwindigkeit. Wurden 2016 im Jahresschnitt noch 83 Larven pro Kubikmeter Wasser gezählt, waren es 2021 bereits 2177.

Kein Wunder. Der Einwanderer reproduziert, anders als andere Muschelarten, das ganze Jahr über, und die frei im Wasser treibenden Larven setzen sich überall fest. Auch in großer Tiefe sind sie inzwischen anzutreffen. Sie filtern das Wasser und stehen somit in Nahrungskonkurrenz zu anderen Arten im See, beispielsweise auch Zooplankton-Organismen, die wiederum vielen Fischen als Nahrung dienen.

Der Schaden ist aber nicht nur ökologischer Natur. Auch auf wirtschaftlicher Ebene ist das Tier mehr als ein Ärgernis. „Wir entnehmen in Sipplingen täglich etwa 400.000 Kubikmeter Wasser, in dem bis zu 1,5 Milliarden Larven schwimmen“, sagt Roland Schick, Leiter der Qualitätssicherung beim Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung. Vier Mitarbeiter seien nur damit beschäftigt, Rohre und Behälter des Wasserwerks zu reinigen. Jetzt sollen drei neue Wasserwerke zwischen Sipplingen und Ludwigshafen entstehen, die, mit Ultrafiltrationsanlagen ausgerüstet, in der Lage sind, die mikroskopisch kleinen Larven herauszufiltern. Eine gewaltige Investition.

Der Einwanderer reist als blinder Passagier und ist vermutlich mit Wasserfahrzeugen eingeschleppt worden. Damit die Quaggamuschel nicht auf andere Seen übertragen wird, weist die IGKB darauf hin, dass Boote, Kajaks, SuP-Boards, aber auch Taucher- und Angelausrüstung kontrolliert und mit heißem Wasser oder einem Hochdruckreiniger aufs Gründlichste von jeglicher Verschmutzung befreit werden müssen.

Mikroplastik – wie Kunststoff zum Problem wird
Deutschland ist in Europa Spitzenreiter. In keinem anderen Land wird so viel Plastikmüll produziert.Weit ragt der rote Balken des Diagramms, das Udo Gattenlöhner, Geschäftsführer des Global Nature Fund in Radolfzell, an die Wand projiziert, über die Linie des europäischen Durchschnitts hinaus. Achtlos weggeworfen, zersetzen sich große Kunststoffteile in immer kleinere Partikel. Sind sie kleiner als fünf Millimeter, werden sie als Mikroplastik bezeichnet. Inzwischen findet man die bunten Teilchen nicht nur in den Weltmeeren, auch im Bodensee konnten sie bereits nachgewiesen werden. Mikroplastik wird aber auch in Form von Granulaten, sogenanntes primäres Mikroplastik, industriell hergestellt und als „Schleifmittel“ sogar kosmetischen Produkten beigemengt. Nicht nur beim Waschen von Textilien aus Kunstfasern, auch durch die Benutzung von Sportplätzen mit Kunstrasen und bei der Abfallentsorgung wird Mikroplastik freigesetzt. Den allergrößten Anteil macht jedoch der Reifenabrieb aus.

Mikroplastik, das in noch kleinere Partikel zersetzt zu Nanoplastik wird, wird kaum abgebaut und ist damit schlecht aus der Umwelt zu entfernen. An seinen Oberflächen können sich Schadstoffe und Bakterien festsetzen, und am Ende landet es in der Nahrungskette. In geringen Mengen wurde Mikroplastik bereits in Fischen und Vögeln nachgewiesen, doch wie aus dem Faktenblatt der IGKB aus dem Jahr 2020 hervorgeht, stellt die aktuelle Konzentration noch keine relevante Beeinträchtigung der Trinkwasserqualität dar. Aber wie lässt sich zukünftig der Reifenabrieb verringern? Welchen Beitrag können die Gemeinden leisten, um Plastik einzusparen? Hier forderte Gattenlöhner ein Seenpapier mit konkreten Handlungs- und Lösungsansätzen zum Schutz der Gewässer.

Thermische Nutzung – muss ökologischen und ökonomischen Grundsätzen genügen
Wie viel thermische Nutzung verträgt der See? War sie bis 2014 am Bodensee verboten, so ist sie jetzt vor dem Hintergrund der geforderten Klimaschutzmaßnahmen unter strikten Auflagen erlaubt und rückt durch explodierende Energiepreise weiter in den Vordergrund.

Doch der Zustand des Sees und seiner Lebensgemeinschaften darf weder in seiner Gesamtheit noch regional nachteilig beeinträchtigt werden. Und als oberster Grundsatz gilt: Keinesfalls darf warmes Wasser in den See geleitet werden. Das Potenzial ist riesengroß. Gemäß einer theoretischen Abschätzung, und Harald Hetzenauer betont, dass sie wirklich theoretisch ist, könnten mit einer Temperaturdifferenz von 0,2 Grad Celsius alle Einwohner am Bodensee mit Wärme versorgt werden. Mit einer Differenz von 1,2 Grad, die gesamte Schweiz.
Und wie soll das funktionieren? Robert Scherer, Bürgermeister von Meersburg, erklärt, was in seiner Stadt bereits seit 2019 in Planung ist. Durch etwa 60 Meter lange Rohre wird aus dem See Wasser mit einer Temperatur von 5 Grad entnommen und in einen Wärmetauscher an Land geleitet. Dieser entzieht dem Wasser Energie, die in ein Nahwärmenetz eingeleitet und von dort an die angeschlossenen Objekte verteilt wird. Das jetzt auf 3 Grad abgekühlte Wasser geht zurück in den See, wo es sogar die klimabedingte Erwärmung reduzieren könnte.

www.freunde-isf-bodensee.de
www.globalnature.org

Text: Anette Bengelsdorf
Beitragsbild: Durch UV-Licht, Wellenschlag, Sand und Steine wird Makroplastik in kleine Teile zerlegt. Später ist der Schlappen als Mikroplastik im Magen von Fischen zu finden. | (c) Anette Bengelsdorf