Anna von Boetticher ist Deutschlands erfolgreichste Apnoe-Taucherin. Sie stellte 34 deutsche Rekorde auf. In einer Disziplin kam sie bis auf 125 Meter hinunter. Einmal hat sie über sechs Minuten lang die Luft angehalten. Seit Jahren bringt sie den angehenden Tauchern der Marine bei, wie man in Extremsituationen unter Wasser Panik vermeidet. Im Interview mit Susi Donner erzählt die „Astronautin des Wassers“ von ihren schönsten Erlebnissen unter Wasser und von der neuen vierteiligen Doku-Serie „Waterwoman“, in der sie die Zuschauer in ihre Welt schauen lässt.
akzent: Frau von Boetticher, stimmt es, dass Sie im Bodensee das Tauchen gelernt haben?
Anna von Boetticher: Ja, meinen ersten richtigen Tauchschein habe ich mit 17 im Bodensee gemacht – im Oktober, bei vier Grad Wassertemperatur, Nieselregen und unter Wasser praktisch null Sicht. Ich sah einen Aal aus dem Schlamm kucken und dachte, das ist das Wundervollste, das ich je erlebt habe.
akzent: Ihre Doku-Serie – was für ein Abenteuer, was für Bilder, wunderschön, aber auch wie mutig! Warum haben Sie denn keine Angst? Vor dem Unbekannten, der Luftlosigkeit?
Anna von Boetticher: Unterwasser hatte ich tatsächlich noch nie Angst, ich weiß auch nicht, warum das so ist. Das Unbekannte fasziniert mich und zieht mich an – ich möchte diese Welt entdecken. Was die Luftlosigkeit angeht: An die tastet man sich ja sehr, sehr langsam heran. Man erweitert seine Zeiten und Tiefen in winzigen kleinen Schritten.
akzent: Was bedeutet Ihnen „Waterwoman“?
Anna von Boetticher: Die Filme bedeuten mir sehr viel, denn sie sind so geworden, wie ich es immer wollte. Sie reflektieren meine Sicht auf die faszinierende, wunderschöne Welt. Henning Rütten (Anmerkung der Redaktion: Autor und Regisseur bei NDR und ARD, er sagt: „Anna ist die neugierigste Person, die ich kenne“) hat alle vier Destinationen perfekt erzählt und eingefangen – die Begegnungen unter Wasser sind dabei genauso wichtig wie die mit den Menschen, die wir treffen.
akzent: Einer Ihrer Tauchanzüge hat die Farbe von Haifischen – schützt das?
Anna von Boetticher: Das liegt nicht daran, dass mich die Farbe vor den Haien schützt, sondern es ist eine bewusste Wahl: Ich möchte Teil der Umgebung werden, in der ich mich befinde, mich in sie einfügen. Daher bin ich auf den Azoren silbern wie die Haie. In Mexiko passte Gold zu den Farbtönen – das Grün des Urwalds und der Mangroven, das bräunliche Seegras, die braun-grünen Krokodile. In Island passte Silber zum recht monochromen Hintergrund von Schnee, Eis, schwarzem Sand und grauem Himmel, in Budapest zu den hellgrau/weißen Wänden der Mine.
akzent: Was sind die extremen Herausforderungen an Körper und Geist beim Apnoetauchen?
Anna von Boetticher: Der Mensch ist nicht dafür gemacht, ohne Atem auszukommen, aber er hat trotzdem die Fähigkeit, sich mit seiner Physis an die Welt unter Wasser anzupassen. Wer Apnoe trainiert, wird entdecken, dass die natürlichen Schutzfunktionen, die wir alle haben und die uns überleben lassen, wenn wir nicht atmen können, stärker werden. Diese Anpassung braucht allerdings Zeit und ist eine Herausforderung für Körper und Geist. Wenn man aber erlebt, dass man zwei, drei Minuten unter Wasser sein kann, ohne Stress, ohne atmen zu müssen, ist das schon sehr besonders.
akzent: Gab es denn Gefahrensituationen, in denen Sie sich gefragt haben, was Sie da eigentlich tun?
Anna von Boetticher: Ich hatte schon verschiedene Male schwierige Situationen unter Wasser, tatsächlich meistens bei dem recht anspruchsvollen Tauchen mit Flaschen, das ich extrem gemacht habe. Aber ich hatte nie wirklich Angst, eher immer den klaren Gedanken: „Aha, diese Situation musst du jetzt managen.“ Ich konnte das auch immer und habe nie mein Leben so aufs Spiel gesetzt, dass ich mich gefragt habe, was ich da tue. Das ist nicht das, was ich suche. Allerdings ist das Training für das Apnoetauchen, wie bei jedem Sport, oft ganz schön anstrengend und macht auch nicht immer Spaß – da fragt man sich genauso wie jemand, der für einen Marathon oder Ähnliches trainiert, wieso man an diesem Sonntagmorgen nicht einfach Kaffee trinken geht!
akzent: Können Sie mir zwei Ihrer schönsten Augenblicke unter Wasser beschreiben?
Anna von Boetticher: In Ägypten bin ich mal an einem schönen Korallenriff getaucht, als ich eine Schildkröte entdeckt habe, die gemütlich die Korallen mampfte. Ich habe mich neben sie auf den Sand gelegt und ihr zugesehen, sie hat sich gar nicht stören lassen. Nach einer Weile war es Zeit für mich zu atmen und ich fing an, mich nach oben treiben zu lassen. Genau in diesem Moment tauchte auch die Schildkröte auf, holte oben neben mir Luft und tauchte mit mir wieder ab. Wunderbar! 2015 bin ich in Norwegen getaucht, im November. Dort versammeln sich in den Wintermonaten große Heringsschwärme, die wiederum Buckelwale und Orcas anziehen, die sie fressen. Einmal konnten wir die Rufe der Orcas hören, die Gruppe aber noch nicht sehen. Ich tauchte einfach so in etwa zehn Meter Tiefe ab und hing reglos im kalten Wasser. Auf einmal sah ich ein riesiges Orca-Männchen aus der Dunkelheit auf mich zuschwimmen. Er kam ganz nah heran. Ich spürte, wie er mich mit seinem Echolot abtastete, spürte ein Vibrieren in der Brust, wie Bässe im Club. Er umkreiste mich und schwamm dann wieder zurück zu seiner Gruppe aus Müttern und Kälbern. Solche Erlebnisse vergisst man nie.
akzent: Waren Sie schon als Kind abenteuerlustig und furchtlos?
Anna von Boetticher: Die unbekannte, weite Welt dort draußen hat mich schon als Kind magisch angezogen. Ich wollte unbedingt Astronaut werden oder aber mit einem U-Boot die Tiefen der Meere erkunden. Tauchen war einfacher, als ins Weltall zu fliegen, also ging mein Weg unter Wasser.
Waterwoman“ – eine Doku-Serie von Henning Rütten, Unterwasserfotograf war Daan Verhoeven. Die ersten vier Folgen der Doku-Reihe „Waterwoman“ werden am 27. und 28. Juli sowie am 3. und 4. August jeweils um 21 Uhr im NDR gezeigt. Zudem sind sie in der ARD-Mediathek verfügbar unter https://www.ardmediathek.de/suche/Waterwoman.
Beitragsbild: Anna von Boetticher auf den Azoren mit einem Blauhai | (c) Daan Verhoeven